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Interview | Schiedsgerichtsbarkeit

„New Yorker Übereinkommen ist die Keimzelle moderner Schiedsgerichtsbarkeit“ – Interview mit Dr. Reinmar Wolff, Philipps-Universität Marburg

Interview geführt von Dmitry Marenkov (GTAI Bonn) im Mai 2018

Dr. Wolff Dr. Wolff | © Dr. Wolff

Dr. Reinmar Wolff, Philipps-Universität Marburg, ist Mitglied des Beirats der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit, Herausgeber eines Kommentars zum New Yorker Übereinkommen und Mitglied der Arbeitsgruppe des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Überprüfung des deutschen Schiedsverfahrensrechts (§§ 1025 ff ZPO)


Wie bewerten Sie die Bedeutung des New Yorker Übereinkommens für die Entwicklung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und des Welthandels?

Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit war und ist ein Wegbereiter des Welthandels, denn andernfalls müssten Ansprüche stets vor den staatlichen Gerichten durchgesetzt werden. Und Ansprüche sind wenig wert, wenn diese staatlichen Gerichte nicht neutral und unabhängig entscheiden. Für die Entwicklung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit wiederum war das New Yorker Übereinkommen von kaum zu überschätzender Bedeutung. Das gilt zunächst für die Vollstreckung von Schiedssprüchen im Ausland, die das New Yorker Übereinkommen in inzwischen 159 Ländern ermöglicht. Damit können Schiedssprüche in fast allen Ländern der Welt nach einheitlichen Standards vollstreckt werden. Die Vollstreckung von Schiedssprüchen im Ausland ist damit viel einfacher als die von Urteilen staatlicher Gerichte, für die von Land zu Land unterschiedliche Voraussetzungen gelten und die vielfach gar nicht möglich ist. Die Bedeutung des New Yorker Übereinkommens geht aber weit darüber hinaus. Denn es enthält in den Gründen, aus denen die Vollstreckung ausnahmsweise verweigert werden darf, in knappen Worten bereits die wichtigsten Verfahrensregeln für das Schiedsverfahren selbst. Das New Yorker Übereinkommen ist damit die Keimzelle moderner Schiedsverfahrensrechte.

Das New Yorker Übereinkommen ist seit 60 Jahren unverändert. Sehen Sie Bedarf, einzelne Aspekte des Übereinkommens zu modernisieren?

Das New Yorker Übereinkommen ist nicht perfekt. Es ist ein Kind seiner Zeit, wie etwa die Vorschrift über Schiedsvereinbarungen in gewechselten Telegrammen in Art. II zeigt. So eine Regelung ist im digitalen Zeitalter anachronistisch. Außerdem passen einige Vorschriften nicht recht zusammen, weil die Regelungen über Schiedsvereinbarungen erst am Schluss der New Yorker Konferenz überhaupt eingefügt wurden und der übrige Text, der zunächst nur Schiedssprüche betraf, unverändert blieb. Trotzdem ist das Übereinkommen aus gutem Grund bislang nicht geändert worden: Es würde ewig dauern, bis alle 159 Vertragsstaaten einer Änderung zugestimmt haben. Bis dahin würde Rechtszersplitterung statt Rechtsentwicklung eintreten. Und die bestehenden Defizite lassen sich auch auf anderem Weg überwinden, die antiquierten Formvorschriften beispielsweise durch eine Auslegungsempfehlung, die die Handelsrechtskommission der Vereinten Nationen (UNCITRAL) 2006 beschlossen hat.

Welche Versagungsgründe des New Yorker Übereinkommens werden in der Praxis am häufigsten geltend gemacht?

Dazu fehlen (bislang) verlässliche Statistiken. Es ist aber anzunehmen, dass die Verletzung des rechtlichen Gehörs und der öffentlichen Ordnung (ordre public) an der Spitze stehen.

Bestehen regionale Unterschiede bei der Auslegung und Anwendung des New Yorker Übereinkommens?

Dem New Yorker Übereinkommen fehlt eine Instanz, die die einheitliche Auslegung und Anwendung sicherstellt, wie der Europäische Gerichtshof das für europäisches Recht tut. Für ein dezentrales System funktioniert die einheitliche Auslegung und Anwendung allerdings verblüffend gut, sogar in Bereichen, die – wie die Schiedsfähigkeit oder der ordre public – ausdrücklich dem nationalen Recht unterstellt sind. Natürlich gibt es Ausreißer, aber das sind verhältnismäßig wenige.

In welchen Ländern ist die Vollstreckbarkeit besonders schwierig?

Hier werden häufig Länder wie China, Indien, Russland oder die Türkei genannt.

Wie kann die Auslegung des New Yorker Übereinkommens im globalen Kontext harmonisiert werden?

Das zentrale Werkzeug für eine einheitliche Auslegung ist die Erschließung von Entscheidungen und juristischem Schrifttum zum New Yorker Übereinkommen. Hier hat sich in den letzten zehn Jahren viel getan: Es sind Kommentare zum Übereinkommen erschienen, die UNCITRAL hat einen New York Convention Guide erstellt und unter newyorkconvention1958.org sind über 2000 gerichtliche Entscheidungen zum New Yorker Übereinkommen kostenfrei verfügbar. Diese Werkzeuge vermitteln Zugang zu den relevanten Quellen und geben diejenigen, die das Übereinkommen anwenden, ein wertvolles Hilfsmittel an die Hand.

Was sollte das Schiedsgericht tun, um die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruches zu sichern?

Eine Gewähr, dass ein Schiedsspruch in allen Ländern der Welt vollstreckt wird, kann niemand übernehmen. Das Schiedsgericht muss aber vor allem ausreichend rechtliches Gehör gewähren, um einen wichtigen Grund für die Anerkennungsversagung zu vermeiden.

In den vergangenen Jahren wurde über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit in Verbindung mit Investitionsschiedsverfahren zum Teil negativ berichtet – wie sehen Sie diese Entwicklung?

Die Kritik an der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit hat sicherlich einen berechtigten Kern, aber die Diskussion wurde und wird häufig sehr unsachlich geführt. Vor allem aber ist die Kritik an der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit auf die Handelsschiedsgerichtsbarkeit übergeschwappt, obwohl beide nicht an denselben Maßstäben gemessen werden können: In einem Investitionsschiedsverfahren, an dem ein Staat beteiligt ist, gibt es ein berechtigtes öffentliches Interesse an Transparenz. Wenn zwei Unternehmen miteinander streiten, existiert ein solches Interesse nicht.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Fehlvorstellungen über die Schiedsgerichtsbarkeit?

Vereinzelt wird die Schiedsgerichtsbarkeit nicht als Instrument der bindenden und abschließenden Streitentscheidung eingeordnet, sondern als unverbindliches Vorverfahren. Umgekehrt passiert es nicht selten, dass schiedsunerfahrene Parteien und ihre anwaltlichen Vertreter das für die staatlichen Gerichte geltende Prozessrecht unzutreffend für anwendbar halten. Häufiger ist auch zu beobachten, dass parteibenannte Schiedsrichter als Interessenvertreter der Partei im Schiedsgericht begriffen werden, und zwar sowohl von den benennenden Parteien als auch von den benannten Schiedsrichtern. Das ist ein gefährlicher Irrtum, weil er das gesamte Schiedsverfahren in Frage stellen kann.

In welchen Wirtschaftsbranchen werden Schiedsklauseln besonders häufig verwendet? Welche weiteren Bereiche, in denen die Schiedsgerichtsbarkeit bislang eine untergeordnete Rolle spielt, könnten Ihres Erachtens noch dazu kommen?

In grenzüberschreitenden Verträgen sind Schiedsklauseln inzwischen zum Standard geworden. Im nationalen Bereich finden sich Schiedsklausel vor allem im Gesellschafts- und Transaktionsrecht (wegen der Vertraulichkeit) und im Baurecht (wegen der Expertise des Schiedsgerichts), häufiger auch im Vertrieb. Hier gibt es in anderen Gebieten noch Wachstumspotential.

Welche Vorteile bietet die internationale Schiedsgerichtsbarkeit? Was sind die Gründe für eine solche Verbreitung der Schiedsgerichtsbarkeit weltweit?

Der wohl wichtigste Grund ist, dass Schiedsgerichte häufig neutraler sind als die staatlichen Gerichte am Sitz einer der Parteien. Hinzu kommt, dass Schiedssprüche dank des New Yorker Übereinkommens leichter international vollstreckbar sind als Urteile staatlicher Gerichte. Außerdem können die Parteien Schiedsrichter ihres Vertrauens auswählen. Das Verfahrensrecht im Schiedsverfahren kann flexibel auf den jeweiligen Fall und seine Besonderheiten zugeschnitten werden; Schiedsgerichte müssen nicht auf das nationale Verfahrensrecht eines staatlichen Gerichts zurückgreifen. Insbesondere können Schiedsverfahren vertraulich geführt werden, was vor staatlichen Gerichten meist nicht möglich ist.

Was sind die Nachteile der Schiedsgerichtsbarkeit?

Schiedsverfahren werden von den Unternehmen häufig als zu lang und zu teuer empfunden. Weil die Schiedsvereinbarung grundsätzlich nur die Parteien bindet, ist es außerdem schwierig, beispielsweise Subunternehmer am Streit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu beteiligen.

Wie kann man Ihres Erachtens die Dauer und Kosten der Schiedsverfahren besser kontrollieren beziehungsweise reduzieren?

Hier ist in erster Linie das Schiedsgericht gefragt, Verzögerungstaktiken Einhalt zu gebieten und nicht jedem Wunsch nach längeren Fristen oder umfassenden Dokumentvorlageverlagen nachzugeben. Denn während die Parteien im Abstrakten Dauer und Kosten von Schiedsverfahren beklagten, sind es häufig aber gerade dieselben Parteien und ihre anwaltlichen Vertreter, die auf längere Fristen und ein aufwendigeres Verfahren drängen, um angesichts eines konkreten Rechtsstreits alle Chancen zu wahren.

Viele Schiedsordnungen sehen inzwischen Regeln vor, um das Schiedsverfahren schneller – und damit in der Regel auch kostengünstiger – abzuwickeln. Diese Vorgaben helfen, weil sich die Parteien auf die Schiedsordnung bereits in der Schiedsklausel und damit typischerweise dann einigen, wenn der Streit noch nicht entstanden ist. Effizient ist es auch, bei der Vergütung der Schiedsrichter zu berücksichtigen, wie straff und kostengünstig sie das Verfahren geführt haben, und sie damit zur Zeit- und Kostenkontrolle anzuhalten.

Was ist die Alternative zur Schiedsgerichtsbarkeit bei der Streitbeilegung im internationalen Wirtschaftsverkehr?

Statt vor Schiedsgerichten können Klagen stets auch vor staatlichen Gerichten verfolgt werden. Wie aussichtsreich das ist, hängt vom Einzelfall ab, nicht zuletzt von der Neutralität des staatlichen Gerichts und von den Möglichkeiten, das Urteil zu vollstrecken. Eine eher noch kleine Rolle spielt außerdem die Wirtschaftsmediation.

Welche aktuellen Entwicklungen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit würden Sie hervorheben?

Der Wettbewerb nimmt zu, und zwar sowohl zwischen Schiedsstandorten als auch zwischen Schiedsinstitutionen. Das führt zu Trends wie Eilschiedsrichter oder beschleunigte Verfahren. Daneben gibt es Modethemen wie die Prozessfinanzierung von Schiedsverfahren.

Wie beurteilen Sie den Schiedsort Deutschland im internationalen Vergleich?

Deutschland ist als Schiedsstandort gut aufgestellt. Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, ist es allerdings wichtig, den Standort besser zu vermarkten. Hier kann auch eine behutsame Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts helfen.

Inwieweit besteht Ihres Erachtens Reformbedarf hinsichtlich des deutschen Schiedsrechts im 10.Buch der ZPO?

Das deutsche Schiedsverfahrensrecht ist in einem guten Zustand, es entspricht internationalen Standards und wird von meist schiedsfreundlichen Gerichten angewandt. Gleichwohl wird Deutschland im internationalen Wettbewerb der Schiedsstandorte zurückfallen, wenn es sich auf dem Erreichten ausruht – gerade weil es anders als die Schweiz, Frankreich oder das Vereinigte Königreich nicht zu den traditionell starken Schiedsstandorten zählt. Es ist deshalb richtig, dass das Bundesjustizministerium eine Arbeitsgruppe zur Überprüfung des deutschen Schiedsverfahrensrechts eingesetzt hat. Neben einigen Feinkorrekturen wäre es für den Schiedsstandort Deutschland insbesondere hilfreich, wenn die Überprüfung von Schiedssprüchen bei einer noch kleineren Zahl von Gerichten mit größerer Expertise im Schiedsverfahrensrecht konzentriert würde. Außerdem wäre unter Wettbewerbsgesichtspunkten ein zumindest teilweise englischsprachiges Verfahren zu begrüßen, so dass den Parteien jedenfalls die Übersetzung langer Schiedssprüche ins Deutsche erspart bliebe.

Können Kammern für internationale Handelssachen an deutschen Landgerichten zur starken Konkurrenz für die Schiedsgerichtsbarkeit werden? Was ist die Gefahr der derzeitigen Abwanderung von Streitigkeiten in bestimmten Bereichen in die Schiedsgerichtsbarkeit?

Ich glaube nicht, dass die Kammern für internationale Handelssachen eine echte Konkurrenz für die Schiedsgerichtsbarkeit darstellen, selbst wenn sie einmal flächendeckend eingeführt sein sollten. Denn auch diese Kammern sind nach wie vor Spruchkörper eines nationalen Gerichts, sind zwingend an deutsches Prozessrecht gebunden und können nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandeln. Für den Justizstandort Deutschland wären solche Kammern aber eine Bereicherung, vor allem im Wettbewerb mit den staatlichen Gerichten anderer Länder.

Die sinkenden Fallzahlen der staatlichen Gerichte sind sicherlich nicht der Abwanderung in die Schiedsgerichtsbarkeit geschuldet – dafür ist die Zahl der Verfahren, die vor Schiedsgerichten geführt werden, einfach zu klein. Ein Problem ist es allerdings, wenn ganze Rechtsbereiche nur noch vor Schiedsgerichten verhandelt werden und der Rechtsfortbildung durch die staatlichen Gerichte vollständig entzogen sind. Das wird gern für Streitigkeiten aus Unternehmenskaufverträgen (Post-M&A-Streitigkeiten) behauptet, aber es gibt durchaus auch gegenteilige Erhebungen. Selbst wenn in einzelnen Rechtsbereichen die Rechtsfortbildung durch die staatlichen Gerichte vollständig zum Erliegen kommen sollte, gibt es aber wohl wenig, was dagegen getan werden kann. Gegen eine umfassende Veröffentlichung von Schiedssprüchen wehren sich die Unternehmen jedenfalls mit Zähnen und Klauen.

Wo sehen Sie die Handelsschiedsgerichtsbarkeit und das New Yorker Übereinkommen in zehn Jahren?

Mit der Ausweitung des internationalen Handels wird auch die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit weiter an Bedeutung gewinnen. Das New Yorker Übereinkommen wird weiterhin einer der zentralen Pfeiler der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit sein und in seiner Bedeutung eher noch wachsen. Allein im Jahr 2018 sind bereits zwei weitere Vertragsstaaten hinzugekommen. Größere weiße Flecken hat die Weltkarte der Vertragsstaaten nur noch in Afrika.

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