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Special Vereinigtes Königreich Brexit

Brexit: Entwurf des Austrittsabkommens in weiten Teilen recht konkret

Übergangsphase als "quasi-Mitgliedschaft" ausgestaltet / Von Karl Martin Fischer

Bonn (GTAI) - Am 19. März 2018 haben die Europäische Union (EU) und das Vereinigte Königreich (VK) den Entwurf eines Austrittsabkommens veröffentlicht. Die Einigung auf der Arbeitsebene - gekennzeichnet durch grün hinterlegten Text - ist schon recht weitgehend. Dieser Artikel beleuchtet einige dieser "grünen" Regelungen etwas näher. Gleichwohl gilt nach wie vor: nichts ist vereinbart, so lange nicht alles vereinbart ist. Das Abkommen kann also noch scheitern.

Besondere Bedeutung für die Arbeitnehmerfreizügigkeit

Das Schicksal derjenigen, die von ihrem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch gemacht haben, behandelt der Entwurf am Anfang - gleich nach den einleitenden Vorschriften - und in einem eigenen Kapitel. Dies verdeutlicht, dass dieser Themenbereich von besonderer Bedeutung ist.

Recht auf Aufenthalt soll erhalten bleiben

Inhaltlich dürfte der Entwurf viele Arbeitgeber zunächst einmal beruhigen. Denn für alle EU-Bürger, die derzeit legal im VK wohnen und arbeiten, wird sich nach dem Brexit und auch nach dem Ende der Übergangsphase nicht viel ändern. In zeitlicher Hinsicht bedeutet dies: wer bis zum 31. Dezember 2020 legal seinen Wohnsitz im jeweils anderen Gebiet genommen hat, hat auch nach diesem Datum im Wesentlichen die gleichen Rechte wie davor. Diese Rechte sind in der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG konkretisiert. Zu nennen sind zum Beispiel das Recht auf Einreise und Aufenthalt (insbesondere Artikel 5, 6 und 7), das Recht auf Daueraufenthalt nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts (Artikel 16), sowie das Recht auf Gleichbehandlung (Artikel 24).

Einige praxisrelevante Änderungen dürfte es auf Wunsch der britischen Seite gleichwohl geben: wurde bislang das Recht auf Daueraufenthalt nach fünf Jahren automatisch erworben, will das VK ab dem Jahr 2021 einen neuen Aufenthaltsstatus einführen: den so genannten "settled status". Hier wird es voraussichtlich keinen Automatismus mehr geben, sondern es muss ein Antrag gestellt werden. Wer dies nicht tut, wird Gefahr laufen, seine Rechte zu verlieren. Entsprechendes gilt für EU-Staatsangehörige, die zum Ende der Überleitungsphase weniger als fünf Jahre im VK ansässig sind: in diesem Fall ist ein Antrag auf einen "temporary residence status" vorgesehen. Derzeit ist geplant, dass die entsprechenden Anträge bis spätestens 30. Juni 2021 gestellt werden müssen. Außerdem müssen sich EU-Staatsangehörige, die während der Übergangsphase im VK ihren Wohnsitz nehmen, dort registrieren, wenn sie länger als drei Monate bleiben. Bislang ist eine solche Registrierung optional.

Integration in das Arbeitsleben wird nicht beeinträchtigt

Auch die Garantien hinsichtlich der Gleichbehandlung beim Zugang zur Beschäftigung, bei den Arbeitsbedingungen sowie im Arbeits- und Sozialrecht bleiben erhalten, wie sie in Artikel 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und in Verordnung (EU) 492/2011 enthalten sind. Entsprechendes gilt für Selbständige. Voraussetzung ist auch hier, dass die betroffene Person vor dem Ende der Übergangsphase rechtmäßig im VK ansässig oder als Grenzgänger tätig war.

Bezüglich der Sozialversicherung gelten die Verordnungen über die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme (das sind insbesondere die Verordnungen (EG) 883/2004 und (EG) 987/2009) für diejenigen, die von diesen Regelungen betroffen sind, fort. Dies ist besonders wichtig für die Zusammenrechnung und Auszahlungen von Rentenansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und für die Krankenversorgung im europäischen Ausland durch die europäische Krankenversicherungskarte (EHIC).

Bezüglich auf europäischem Recht beruhender Anerkennungen geschützter Berufsbezeichnungen (wie zum Beispiel "Architektin" oder "Rechtsanwalt") in einem anderen Mitgliedsstaat der EU sieht der Entwurf vor, dass die Gültigkeit der Anerkennungen erhalten bleibt, wenn sie bis zum Ende der Übergangsphase erfolgt ist. In diesen Fällen soll auch die fortdauernde Ausübung des Berufs zu den gleichen Bedingungen, die auch für heimische Berufsträger gelten, gewährleistet sein.

Übergangsregelung für Güter auf dem Markt und Zollverfahren

Wenn ein Gut vor dem Ende der Übergangsphase erstmals auf dem europäischen oder britischen Markt zur Verfügung gestellt wurde, dann soll es auch über das Ende der Übergangsphase hinaus zwischen den Märkten zirkulieren, bis es seinen Endnutzer erreicht hat, und in Betrieb genommen werden dürfen. Dies wird komplett nach den derzeit für beide Seiten geltenden europäischen Produktregulierungs-Standards abgewickelt werden, so dass beispielsweise keine Um-Etikettierung oder gar Modifikation erforderlich sein wird. Allerdings müssen diejenigen, die sich auf diese Regelung berufen, auch beweisen, dass die fraglichen Güter schon vor dem Ende der Übergangsphase auf dem Markt waren.

Was Zollverfahren betrifft, ist eine ähnliche Regelung vereinbart: Unionsware, die vor dem Ende der Übergangsphase von einen Gebiet in das andere verbracht wird und nach dem Ende der Übergangsphase dort ankommt, soll nach den Regelungen des Unions-Zollrechts behandelt werden. Allerdings gibt es eine wichtige Änderung: außer bei bestimmten Luft- und Seetransportarten muss nachgewiesen werden, dass die Ware tatsächlich Unionsware ist. Die entsprechende Vermutung, die derzeit in Artikel 153 Absatz 1 des Unionszollkodex festgelegt ist, gilt dann nicht mehr.

Europäische Regelungen mit Bezug auf das Zivilrecht

Der Einigungsstand auf diesem Gebiet ist noch recht dünn. Allerdings gibt es einen Konsens darüber, dass die Rom-Verordnungen zur Festlegung des anwendbaren Rechts noch für alle diejenigen Verträge gelten sollen, die vor dem Ende der Übergangsphase geschlossen wurden, ebenso für diejenigen Schadensereignisse, die vor diesem Zeitpunkt eingetreten sind. Bezüglich der praxisrelevanten Themen Gerichtsstand sowie Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen gibt es - soweit bekannt - derzeit hingegen noch keine Einigung.

Laufende Vergabeverfahren sollen nach EU-Regelungen abgeschlossen werden

Vergaben der öffentlichen Hand oder anderer relevanter Auftraggeber werden oberhalb eines bestimmten Schwellenwertes nach europarechtlich geregelten Verfahren abgewickelt. Hier stellt sich die Frage, welche Regeln gelten, wenn ein solches Vergabeverfahren vor dem Ende der Übergangsphase beginnt und danach endet. Der Entwurf des Austrittsabkommens sieht hierzu vor, dass für solche Verfahren die Vorschriften des Europarechts weitergelten sollen.

Wenn Rahmenvereinbarungen abgeschlossen werden, soll es Sonderregelungen geben: europäisches Vergaberecht gilt für solche Rahmenvereinbarungen, die vor dem Ende der Übergangsphase abgeschlossen wurden, und ebenso für alle auf der Grundlage der Rahmenvereinbarung vergebenen Verträge. Wenn die Rahmenvereinbarung Teil eines anderen Vergabeverfahrens ist, das vor dem Ende der Übergangsphase begonnen hat, soll sie sogar dann nach europäischen Regelungen abgewickelt werden, wenn sie nach dem Ende der Übergangsphase abgeschlossen wurde.

Übergangsphase soll Zeit für weitere Verhandlungen schaffen

Die Parteien haben sich im Entwurf auf eine Übergangsphase geeinigt, während derer nahezu das gesamte europäische Recht fortgelten soll. Mehr noch - Änderungen des europäischen Rechts während der Übergangsphase sollen ebenfalls für das VK verbindlich sein.

Die Übergangsphase soll bis zum 31. Dezember 2020 andauern. Während dieser Zeit verbleibt das VK in Binnenmarkt und Zollunion, hat aber keine institutionellen Mitspracherechte mehr. Es wird so vom "rule maker" zum "rule taker". Einen wichtigen Vorteil bietet dieses Arrangement allerdings aus britischer Sicht: es können Handelsabkommen mit Drittstaaten verhandelt und auch abgeschlossen werden, um für die Zeit nach der Übergangsphase gerüstet zu sein.

Gleichzeitig ist vorgesehen, dass das VK an diejenigen Verpflichtungen gebunden bleibt, die aus von der EU abgeschlossenen Verträgen resultieren. Die EU will die Vertragspartner dieser Abkommen notifizieren und erreichen, dass das VK für die Dauer der Übergangsphase als Mitgliedsstaat behandelt wird. Allerdings sind die Vertragspartner nicht dazu verpflichtet, sich entsprechend zu verhalten. Die möglichen nachteiligen Folgen eines Szenarios, in denen eine solche Einigung nicht erzielt werden kann, behandelt der Artikel "Brexit kann Ursprungskalkulation beeinflussen" (http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Recht-Zoll/Zoll/suche,t=brexit-kann-ursprungskalkulation-beeinflussen,did=1914378.html) aus dem Zollbereich von Germany Trade & Invest.

Noch ein weiter Weg bis zum Abschluss des Abkommens

Das Austrittsabkommen muss, wenn es erfolgreich zu Ende verhandelt ist, sowohl im Vereinigten Königreich als auch in der Europäischen Union formell gebilligt werden, damit es in Kraft treten kann.

In der Europäischen Union

In der EU beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments (mit einfacher Mehrheit).

Im Vereinigten Königreich

Im VK ist derzeit geplant, nach Abschluss der Verhandlungen zunächst im Parlament eine Resolution zu verabschieden, mit der die Parlamentarier den Inhalt des Austrittsabkommens und der (noch zu verhandelnden) politischen Erklärung über die künftigen Beziehungen billigen. Die britische Regierung hat dem Parlament ein "meaningful vote" versprochen. Was genau das bedeutet, ist allerdings bislang noch nicht konkretisiert worden. Eine einfache "Ja-Nein" - Alternative, wie sie von der Regierung derzeit favorisiert wird, ist nicht unumstritten. Nach der Verabschiedung der Resolution soll ein Gesetz verabschiedet werden, welches das Austrittsabkommen in nationales Recht implementieren soll - die "Withdrawal Agreement and Implementation Bill". Danach soll dann die Ratifikation als internationales Abkommen erfolgen.

Auch wegen der Komplexität der Themen, des Fehlens von Präzedenzfällen und des erheblichen Zeitdrucks ist das Gelingen des geschilderten Prozesses nicht sicher - ein Scheitern oder Verzögerungen sind reelle Möglichkeiten.

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