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Rechtsbericht │ Armenien │ Coronavirus

Armenien: Coronavirus und Verträge

Vertragsparteien sollten eine Vertragsanpassung in Betracht ziehen. Die IHK Armeniens kann Force-Majeure-Zertifikate ausstellen. 

Von Dmitry Marenkov | Bonn

Klauseln im Vertrag beachten

Grenzüberschreitende Verträge beinhalten zumeist eine Klausel über höhere Gewalt (Force-Majeure). Solche Force Majeure-Klauseln nennen konkrete Tatbestände (z.B. Naturkatastrophen, Kriege etc.) und deren Folgen für die Vertragsabwicklung. Die Vertragsklauseln gehen den gesetzlichen Vorschriften vor und sind daher für die Auswirkung von Ausfällen oder Verzögerungen bei Warenlieferungen und Zahlungen auf die vertraglichen Verpflichtungen primär heranzuziehen. Zunächst wäre also zu fragen, ob die Vertragsklausel den Ausbruch einer Epidemie oder Pandemie sowie behördliche Anordnungen ausdrücklich regelt oder Begriffe enthält, die entsprechend ausgelegt werden können. Die Klausel kann eine Pflicht zur Benachrichtigung über die Umstände sowie die Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung vorsehen. Eine ausführliche Regelung von derartigen Situationen ist zu empfehlen.

Vertragsanpassung in Erwägung ziehen

Die Vertragsparteien sollten bei drohenden oder eingetretenen Störungen des Vertragsverhältnisses infolge der COVID19-Maßnahmen eine einvernehmliche Vertragsanpassung in Betracht ziehen, die einen Gang vors Gericht erspart. Dabei kann es sich beispielsweise um Verlängerung von Fristen für die Erfüllung vertraglicher Pflichten, Zahlungsaufschub und Nichtanwendung von Vertragsstrafen handeln.

Anwendung des armenischen Rechts

Normen des armenischen Rechts finden dann Anwendung, wenn der Vertrag eine entsprechende Rechtswahlklausel enthält oder mangels einer solchen die Regeln des Internationalen Privatrechts zur Geltung des armenischen Rechts führen, vor allem bei Importverträgen, die eine Lieferung aus Armenien nach Deutschland vorsehen. Zu beachten ist, dass Deutschland und Armenien Vertragsstaaten des UN-Kaufrechtsübereinkommens (CISG) sind. Daher finden Normen des armenischen Zivilgesetzbuches dann Anwendung, wenn die Vertragsparteien die Geltung des CISG ausgeschlossen haben oder das CISG keine Regelung enthält (z.B. Verjährungsfragen).

Vorschriften des armenischen Rechts

Gemäß Art. 417 Abs. 3 Zivilgesetzbuch (ZGB) haftet eine Person, die eine unternehmerische Tätigkeit ausübt, für Nicht- oder Schlechterfüllung ihrer Verpflichtungen, sofern sie nicht Beweis dafür erbringt, dass die ordnungsgemäße Erfüllung infolge von höherer Gewalt, d.h. von außerordentlichen und unabwendbaren Umständen, unmöglich geworden ist. Die Vorschrift stellt klar, dass Pflichtverletzungen seitens der Vertragspartner des Schuldners, das Fehlen von für die Erfüllung notwendigen Waren auf dem Markt sowie Geldmangel nicht zu solchen Umständen gehören.

Die armenischen Gerichte haben drei Kriterien formuliert, die für eine Haftungsbefreiung nach Art. 417 Abs. 3 ZGB erfüllt sein müssen:

▪ höhere Gewalt muss als objektives Hindernis eine angemessene Erfüllung von vertraglichen Pflichten unmöglich machen;

▪ dieses Hindernis muss durch außerordentliche Umstände bedingt sein, d.h. durch äußere Einwirkung, die objektiv nicht auf den Willen von Rechtssubjekten zurückzuführen ist;

▪ Diese Einwirkung muss unabwendbar sein, d.h. angemessene und rechtmäßige Handlungen eines Rechtssubjekts reichen für die Überwindung dieser Hindernisse nicht aus.

Haben sich Umstände, auf deren Grundlage der Vertragsabschluss zustande gekommen ist, schwerwiegend verändert, kann der Vertrag gemäß Art. 467 ZGB geändert oder aufgehoben werden, wenn sich aus dem Vertrag und seinem Wesen nichts anderes ergibt. Die Änderung von Umständen gilt als schwerwiegend, wenn sie sich derart verändert haben, dass die Parteien, sofern sie dies hätten vernünftigerweise vorhersehen können, den Vertrag zu ganz anderen Bedingungen oder gar nicht abgeschlossen hätten.

Wenn die Vertragsparteien keine Einigung über eine Vertragsanpassung oder -aufhebung erzielt haben, kann die Aufhebung und Anpassung vor Gericht bei Vorliegen folgender Voraussetzungen beantragt werden:

▪ Die Parteien sind bei Vertragsschluss davon ausgegangen, dass eine solche Änderung der Umstände nicht eintritt;

▪ Die Änderung der Umstände erfolgte aus Gründen, die die betroffene Vertragspartei bei Anwendung der nach Vertrag und Verkehrssitte erforderlichen Sorgfalt nicht überwinden konnte;

▪ Die Vertragserfüllung würde das Verhältnis der wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien stören und die betroffene Partei derart benachteiligen, dass sie den beim Vertragsschluss erwarteten Vorteil im Wesentlichen verlieren würde;

▪ Aus dem Wesen des Vertrages und den Handelsbräuchen folgt nicht, dass die einschlägige Partei das Risiko der Änderung der Umstände trägt.

Nach Art. 339 ZGB ist die Verjährung gehemmt, wenn die Rechtsverfolgung aufgrund höherer Gewalt unmöglich war. Ab dem Tag, an dem der Umstand höherer Gewalt nicht mehr besteht, läuft die Verjährungsfrist weiter.

Zertifikat über Umstände höherer Gewalt

Bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Armeniens kann ein Zertifikat über das Vorliegen von Umständen höherer Gewalt beantragt werden (armenisch / russisch / englisch). Bei Antragstellung ist eine Kopie des Vertrages beizufügen. Das Datum des Vertragsschlusses und die Force-Majeure-Klausel im Vertrag sind dabei von besonderer Bedeutung. Die IHK entscheidet innerhalb von fünf Werktagen über die Ausstellung eines Zertifikats oder Ablehnung des Antrages.

Die IHK Armeniens definiert Umstände höherer Gewalt als außerordentliche und unüberwindbare Fälle und Umstände, die unabhängig vom Willen der Vertragsparteien entstanden sind und die Pflichterfüllung seitens der Vertragsparteien trotz entsprechender Bemühungen verhindert haben. Dazu zählen: Pandemien und Epidemien, außerordentliche und unüberwindbare Fälle und Umstände infolge von Natur- und technologischer Katastrophen, Erdbeben, Streiks, Unruhen, Terroranschläge, Aufstände, Unterbrechung der Gasversorgung etc.


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