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Wirtschaftsausblick | Belarus
Hohe Exportzuwächse stützten die belarussische Wirtschaft 2021. Sanktionen, die anhaltende politische Krise und drohende Exportrückgänge verursachen 2022 heftigen Gegenwind.
04.01.2022
Von Fabian Nemitz | Kiew
Die Konjunktur in Belarus entwickelte sich 2021 deutlich robuster als erwartet. Laut Angaben des Statistikamts Belstat stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den ersten elf Monaten 2021 real um 2,3 Prozent. Wichtigste Stützen des Wachstums waren die Auslandsnachfrage und Zuwächse bei der Industrieproduktion. Die Binnennachfrage hingegen zeigte sich schwach.
Zuletzt deutete sich allerdings eine Abkühlung der Exportkonjunktur ab. Die Aussichten für 2022 sind mit großen Unsicherheiten verbunden. Dies gilt gleichermaßen für die Entwicklung der politischen Krise, die Auswirkungen der Sanktionen und die Erholung der Weltwirtschaft.
Die Risiken spiegeln sich in der großen Spannbreite der Prognosen wider. Während die Weltbank 2022 mit einem Rückgang des BIP um real 2,8 Prozent rechnet, gehen der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Eurasische Entwicklungsbank (EDB) von Zuwächsen um 0,5 beziehungsweise 0,7 Prozent aus. Am optimistischsten ist die Regierung; sie erwartet ein Plus von 2,9 Prozent.
Seit den mutmaßlich gefälschten Präsidentschaftswahlen im August 2020 und der anschließenden Welle an Gewalt und Repressionen gegen Andersdenkende im Land haben westliche Staaten mehrere Sanktionspakete gegen Belarus erlassen. Betroffen sind vor allem große Staatskonzerne, der Düngemittel- und Petrochemiesektor, Banken sowie die Tabakindustrie. Weitere Maßnahmen könnten folgen.
Auslöser für die harten Wirtschaftssanktionen waren die erzwungene Landung einer Ryanair-Maschine am Flughafen Minsk im Mai 2021 mit der anschließenden Verhaftung eines Dissidenten und die von Belarus an der Grenze zur Europäischen Union (EU) provozierte Migrationskrise. Die belarussische Regierung reagierte auf die Sanktionen mit einem Einfuhrverbot für zahlreiche Lebensmittel ab dem 1. Januar 2022.
Bislang haben die Sanktionen des Westens keine erhebliche Wirkung entfaltet. Dies dürfte sich jedoch noch 2022 ändern. Zwar ist der Umfang der Sanktionen gegen die Petrochemie- und Düngemittelindustrie begrenzter als ursprünglich geplant, jedoch sind die Sanktionen und die politische Krise eine große Belastung für das Konsum-, Geschäfts- und Investitionsklima.
Die Finanzlage stellte sich 2021 besser dar als erwartet. Im Gegensatz zu früheren Krisen setzte die Nationalbank die stabilitätsorientierte Geldpolitik fort. Sorgen bereitet aber die hohe Inflation. Bei der Refinanzierung der Auslandsschulden ist Belarus auf die Unterstützung Russlands angewiesen. Der Zugang zu westlichen Kapitalmärkten ist versperrt. Der Refinanzierungsbedarf beträgt 2022 rund 3,3 Milliarden US-Dollar (US$).
Indikator | 2020 | 2021 | Vergleichsdaten Deutschland 2020 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. US$) | 60,2 | 65,8 1) | 3.806,0 |
BIP pro Kopf (US$) | 6.398 | 7.032 1) | 45.770 |
Bevölkerung (Mio.) | 9,4 | 9,4 1) | 83,1 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 US$ = Belarus-Rubel (BYN)) | 2,4349 | 2,5388 2) | - |
Die Bruttoanlageinvestitionen sanken in den ersten elf Monaten 2021 real um 6,2 Prozent. Der weitere Ausblick ist trüb: Die politische Krise, der Imageschaden und die westlichen Sanktionen belasten das Investitionsklima. Die Weltbank rechnet 2022 mit einem realen Rückgang der Bruttoanlageinvestitionen um 9,8 Prozent. Ein weiterer Grund für das erwartete Minus liegt an der weitgehenden Fertigstellung großer Investitionsprojekte wie des Kernkraftwerks bei Astrawez.
Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) und die Europäische Investitionsbank (EIB), die ihr Engagement in Belarus erst im Zuge des Tauwetters seit 2016 wieder aufgenommen hatten, legen ihre Aktivitäten auf Eis. Im Jahr 2019 hatte die EBWE noch 390 Millionen Euro investiert. Belarus hofft nun auf weitere Kredite der EDB.
In ihrem Entwicklungsplan 2021 bis 2025 kündigte die Regierung an, die Investitionen deutlich auszuweiten. Allerdings bleibt unklar, woher die Mittel kommen sollen.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mio. US$) | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Ausbau und Modernisierung der Petrochemie | 8.800 | Vorstellung des Entwicklungspogramms im Dezember 2020; Sanktionen können Umsetzung belasten | Belneftekhim und Tochterunternehmen; Belneftekhim steht auf der Sanktionsliste der EU und der USA |
Bauprojekt "North Shore" in Minsk (neues Stadtviertel u.a. mit Ausstellungszentrum, Wohn-, Geschäfts- und Sportflächen) | rund 4.000 | Grundsteinlegung im Oktober 2020; Umsetzung bis 2040; Grundlage: Präsidialerlass Nr. 186 vom 13. Mai 2021 | Emirates Blue Sky und Dubai Waterfront (Vereinigte Arabische Emirate); beide Firmen stehen auf der Sanktionsliste der Vereinigten Staaten |
Entwicklungsprogramm für den Transportsektor 2021 bis 2025 (Eisenbahn, Straßen, U-Bahn, Binnenschiffahrt, Luftfahrt) | rund 3.000 | Umsetzung 2021 bis 2025; Grundlage: Regierungsverordnung Nr. 165 vom 23. März 2021; Grundlage Straßenbau: Regierungsverordnung Nr. 212 vom 9. April 2021 | |
Erschließung der Kalilagerstätte Starobin (Nezhinsky GOK) und Düngemittelproduktion | 2.000 | geplante Inbetriebnahme: 2023; China hat laut Medienberichten im Sommer 2021 die Finanzierung gestoppt | Slavkaliy; Unternehmenschef Michail Guzerijew verfügt über enge Verbindungen zu Lukaschenka und steht auf der Sanktionsliste der EU; Umsetzung mit Kredit der China Development Bank über 1,4 Mrd. US$; Generalauftragnehmer: Sinomec (China) |
Sanierung der Fernstraße M1 Brest (Grenze zu Polen) - Minsk - Kurgan (Grenze zu Russland) | 1.900 | geplanter Beginn der Bauarbeiten: 2. Halbjahr 2023 | |
Bau eines neuen Düngemittelwerks | 1.300 | in Vorbereitung; geplante Inbetriebnahme: 2025; im November 2021 Gespräche mit CITIC (China) | Grodno Azot; das Unternehmen steht auf der Sanktionsliste der EU und der USA |
Bau von Werken zur Produktion von Aminosäuren, Vitaminen und Futtermittelnzusatzstoffen | rund 700 | in Umsetzung | Belarusian National Biotechnological Corporation, Joint Venture des belarussischen Staats mit chinesischen und weiteren Investoren, darunter aus dem Umfeld des flüchtigen ehemaligen kirgisischen Präsidenten Kurmanbek Bakijew |
Bau einer Ethylen-Propylen-Anlage an der Raffinerie Naftan | 647 | Planungsphase; Suche nach Investoren laut Wirtschaftsfördergesellschaft Invest in Belarus | Naftan, Tochterunternehmen von Belneftekhim |
Bau eines neuen Steinbruchs und Produktion von Schotter an der Lagerstätte Sitnizkoje | 445 | in Diskussion | Staatliches Unternehmen Granit |
Bau einer Bahnverbindung vom Internationalen Flughafen Minsk zum Stadtzentrum | k. A. | in Vorbereitung; Grundlage: Präsidialerlass Nr. 165 vom 29. April 2021 |
Informationen zu Ausschreibungen bieten die staatlichen Ausschreibungsdatenbanken Icetrade und Goszakupki.
Informationen zu aktuellen geberfinanzierten Projekten bietet die GTAI-Länderseite unter "Ausschreibungen" und "Entwicklungsprojekte".
Die Umsätze im Einzelhandel sind in den ersten elf Monaten 2021 real um 1,3 Prozent gestiegen. Im Jahr 2022 erwartet die Weltbank einen Rückgang des privaten Konsums um real 1,8 Prozent. Die Verunsicherung der Verbraucher, die hohe Inflation und die geringen fiskalischen Möglichkeiten des Staates bremsen den Konsum. Hinzu kommt die Auswanderung hochqualifizierter und gut bezahlter Fachkräfte, allen voran aus dem IT-Sektor.
Die durchschnittlichen Bruttomonatslöhne sind in den ersten elf Monaten 2021 real um 4,6 Prozent gestiegen. Umgerechnet lag der Durchschnittslohn im genannten Zeitraum bei 557 US$.
Die Verbraucherpreise lagen im November 2021 rund 10,3 Prozent über dem Wert des Vorjahresmonats. Die Nationalbank erhöhte den Leitzins zuletzt im Juli 2021 auf 9,25 Prozent.
Nach den Einbußen im Coronajahr 2020 verzeichnete Belarus 2021 kräftige Zuwächse im Außenhandel. Laut Belstat legte die Wareneinfuhr in den ersten zehn Monaten 2021 nominal um 28,1 Prozent zu, die Warenausfuhr um 35,9 Prozent.
Für den Boom verantwortlich ist die günstige Preis- und Nachfrageentwicklung für belarussische Exportschlager wie Ölprodukte, Düngemittel und Holzwaren. Trotz der Abwanderung von Fachkräften wachsen auch die Ausfuhren von IT-Dienstleistungen. 2022 deutet sich aber eine Abschwächung der Exportnachfrage an. Die Weltbank rechnet mit einem realen Rückgang der Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen um 3,7 Prozent.
Die Aussichten für die Importe werden getrübt durch die erwarteten Rückgänge bei Investitionen und Konsum.
Westliche Anbieter sind von belarussischen Sanktionen betroffen. Im November 2021 hat Belarus das im Mai 2021 verhängte Importverbot gegen Waren der Unternehmen Beiersdorf, Liqui Moly und Skoda um weitere sechs Monate verlängert. Hinzu kommt das Einfuhrembargo gegen Lebensmittel seit Januar 2022.
Die ökonomische Anbindung an Russland nimmt zu.
2020 | Januar bis Oktober 2021 | Veränderung *) | |
---|---|---|---|
Warenimporte | 32,8 | 33,4 | 28,1 |
Warenexporte | 29,2 | 31,9 | 35,9 |
Handelsbilanzsaldo | -3,6 | -1,4 | - |