Der Markt ist in der Pandemie gewachsen. Doch steigende Produktionskosten und die Konjunkturschwäche mahnen zur Vorsicht.
Kapazitätsauslastung für Basisglas bleibt niedrig
Brasiliens Basisglasproduktion nahm im Jahr 2022 um 4,5 Prozent ab. Der Absatz von Spiegeln an den Möbelsektor ging stark zurück. Aber auch der Bausektor, der den Großteil der Glasnachfrage ausmacht, trägt zu dem Negativtrend bei. Anders als Sicherheitsglas setzte Verbundglas, das insbesondere bei Fassaden zum Einsatz kommt, den Wachstumskurs zum dritten Jahr in Folge fort. Der Absatz an die Kfz-Industrie erholte sich nur wenig und belastet den Sektor weiter.
Angesichts der anhaltend hohen Zinsen zeichnet sich für 2023 kaum eine Verbesserung ab. Im März zog der Verkauf zwar drastisch an, doch lag der Absatz im 1. Quartal 2023 fast 15 Prozent unter dem Durchschnittswert des Vorjahres. Vier Fabriken sind derzeit nicht ausgelastet und produzieren somit suboptimal. Dennoch stieg der Glasimport, beispielsweise aus Malaysia, an. Das Unternehmen Guardian wird die Produktion in Tatuí (São Paulo) und der Hersteller Cebrace den Betrieb in Barra Velha (Santa Catarina) wegen Wartungen zwischenzeitlich aussetzen.
Primärrohstoffe produzieren nur noch fünf Unternehmen in Brasilien. Die Gesamtkapazität liegt seit 2018 bei 7.530 Tonnen pro Tag. Größter Produzent ist Cebrace mit einer Kapazität von 3.600 Tonnen pro Tag, gefolgt von AGC (1.450 Tonnen pro Tag), Guardian (1.400 Tonnen pro Tag), Vivix (900 Tonnen pro Tag) und Saint-Gobain Glass (180 Tonnen pro Tag). Das Traditionsunternehmen UBV stellte 2018 den Betrieb seiner Fabrik ein. Damit verbleibt Saint-Gobain als Brasiliens einziger Hersteller von Pressglas. Alle weiteren Fabriken verwenden das Floatglasverfahren. Trotz der geringen Auslastung und der hohen Unsicherheit kündigte Vivix an, seine Kapazitäten am Standort Goiania im nordöstlichen Staat Pernambuco bis 2025 auf 1.900 Tonnen pro Tag zu verdoppeln. Investitionsziel ist der Export nach Europa und in die USA.
Hohe Dynamik für Glasverarbeiter und Zulieferer
Energie, Vorprodukte und Maschinen für die Glasindustrie verteuern sich weiter. Im Laufe des vergangenen Jahres setzten die Basisglashersteller erneut drei Preissteigerungen durch. Damit stieg der Preis für Floatglas seit März 2020 um insgesamt 170 Prozent. Die rund 550 glasverarbeitenden Unternehmen sorgen sich um die steigenden Kosten. Die fehlende Planungssicherheit infolge kurzfristig angekündigter Preissteigerungen der Basisindustrie, aber auch die beeinträchtigte Kaufkraft schmälern die Gewinne der Glasverarbeiter.
Im Dezember 2021 eröffnete der italienische Ausrüstungshersteller Bavelloni eine Vertriebsniederlassung in São Bernardo do Campo. Im selben Jahr stellte die finnische Firma Glaston stellte den Betrieb seiner Maschinenfabrik in Diadema (São Paulo) ein und bedient den Markt nun über die Vertriebsunternehmen MM4Glass und LatamGlass. Weitere Lieferanten der Branche sind Diamanfer, Lisec und Sglass.
Aus dem Photovoltaikboom in Brasilien und dem Aufkommen der organischen PV-Integration können sich Wachstumschancen für die lokale Glasindustrie ergeben. Die transparenten OPV-Folien des brasilianischen Start-ups Sunew kommen bereits auf den Glasfassaden verschiedener Unternehmenszentralen und Shoppingzentren zum Einsatz.
Umsatz und Absatz von verarbeitetem Flachglas in Brasilien 1)
Kategorie | Umsatz 2021 (in Millionen US$) 2) | Reale Veränderung 2021/20 3) | Absatz (Millionen Quadratmeter) 2021 | Veränderung 2021/20 |
Vorgespanntes Einschichten-Sicherheitsglas | 754,6 | 23,7% | 35,0 | -0,6% |
Verbundglas (laminiert) | 260,0 | 34,2% | 7,7 | 11,6% |
Spiegel | 192,2 | 5,7% | 14,0 | -16,2% |
Arbeitsplatten, gebogenes, verziertes und kantenbehandeltes Glas | 23,0 | -22,3% | 2,2 | -22,6% |
Isolierglas | 38,3 | 36,0% | 0,3 | -1,3% |
Insgesamt | 1.268,1 | 21,5% | 59,2 | -4,5% |
1 ohne Kfz-Industrie; 2 umgerechnet zum Jahresdurchschnittskurs 2021: 1 US$ = 5,4 R$; 3 bezogen auf den Umsatz in R$.Quelle: Abravidro 2023
Verkauf von Keramikverkleidungen brach ein und bleibt 2023 schwach
Nach dem Rekordanstieg im Vorjahr erlebten Brasiliens Hersteller von Keramikverkleidungen im Jahr 2022 einen drastischen Einbruch des Verkaufs um 17,7 Prozent. Dabei war der Rückgang am Inlandsmarkt deutlicher als im Export. Die Produktion ging um 11,6 Prozent auf 927 Millionen Quadratmeter zurück. Bodenfliesen machten 57 Prozent, Wandfliesen 21 Prozent und Feinsteinzeug 19 Prozent der Produktion aus. Für 2023 erwartet der Herstellerverband Anfacer ein vielleicht noch schwierigeres Jahr.
Brasilien ist der weltweit zweitwichtigste Markt für Keramikverkleidungen, der drittwichtigste Produzent und der siebtgrößte Exporteur. Mit Abstand führend ist China. Die landesweit 60 Hersteller betreiben insgesamt 71 Fabriken, führen 137 verschiedene Marken und beliefern über 100 Auslandsmärkte. Regional konzentriert sich die Produktion auf den Südosten und Süden Brasiliens. Bedeutendster Industriestandort ist die Region um Santa Gertrudes (São Paulo).
Der Sektor zeichnet sich durch hohe Produktivität und Qualität sowie moderne Technologien und Design aus. Auch im Bereich der Zertifizierung und Qualitätskontrolle ist die Branche fortschrittlich. Um die Kosten weiter zu senken, investieren die Hersteller in die Automatisierung von Prozessen und Maßnahmen zur Energieeffizienz.
Nach der Chemieindustrie ist die Keramikindustrie der zweitgrößte Erdgaskonsument Brasiliens. Der stark gestiegene Erdgastarif setzt die Hersteller unter Druck. Um sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten, setzt die Branche auf Dekarbonisierung. Bis zum Jahr 2030 soll der Exportanteil an der Produktion von derzeit 13,3 Prozent auf 30 Prozent der Produktion steigen. Dafür soll die Hälfte des Gasverbrauchs durch Biomethan ersetzt werden. Zehn Fabriken in Santa Gertrudes riefen im März 2023 zusammen mit der lokalen Zucker-Ethanol-Industrie ein Pilotprojekt ins Leben, das bis 2025 umgesetzt wird. Das Biomethan wird aus Reststoffen gewonnen.
Der Marktführer Portobello sowie die Gruppe Dexco (vormals: Duratex; Handelsmarken Ceusa und Portinari) und Roca Brasil Cerámica (Tochter der spanischen Gruppe Roca) verzeichnen ein überdurchschnittliches Wachstum, gewinnen Marktanteile und investieren besonders intensiv. 2022 kündigte die Gruppe Eliane den Bau einer neuen Fabrik in Camaçari (Bahia) an.
Hohe Informalität und Zersplitterung bei Keramikziegeln
Brasiliens Ziegelstein- und Dachziegelindustrie ist stark zersplittert. Nach Angaben des Branchenverbandes Anicer erwirtschaften rund 6.900 Unternehmen, oftmals kleine Familienbetriebe, einen Jahresumsatz von rund 3,5 Milliarden US-Dollar (US$). Die Informalität ist sehr hoch und nur wenige Unternehmen können Qualität nachweisen. Anfang 2022 verfügten nur 86 der über 4.000 Hersteller von Back- oder Ziegelsteinen und nur 25 der etwa 2.500 Produzenten von Dachziegeln über ein Qualitätszertifikat. Nur rund 150 Fabrikanten sind dem Industrieverband Anicer angeschlossen. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Erhebung konjunktureller Daten.
Überschaubare Herstellerlandschaft bei Sanitärprodukten
Sanitärkeramik stellen in Brasilien laut dem Branchenverband Abceram nur zehn Unternehmen in landesweit 18 Betrieben her. Die dominierenden Player sind Deca (Tochter von Dexco) und die spanische Firma Roca, die in jeweils fünf Fabriken produzieren und gemeinsam über 65 Prozent des Marktes bedienen. Dabei schloss Roca 2020 mit der Übernahme von CSC am Standort Caucaia (Ceará) zum Marktführer Deca auf. Weitere Hersteller von Sanitärkeramik sind die Unternehmen Fiori (Tochter der US-Gruppe Kohler), Cerâmica Industrial de Taubaté (Hervy), Indústria Cerâmica Andradense (Icasa), Luzarte Estrela, Mari, Onix und Santa Clara.
Außer den erwähnten fünf Fabriken für Sanitärkeramik verfügt Deca über zwei Werke für Metallbeschläge in São Paulo. Roca produziert in Brasilien in neun Betrieben Sanitärkeramik sowie Keramikverkleidung, Metallarmaturen und weitere Badausstattung.
Auch der brasilianische Hersteller Lorenzetti gewinnt an Bedeutung. Der Marktführer für Duschen und Durchlauferhitzer verfügt landesweit über fünf Fabriken und verdoppelt die Produktionskapazität in Poços de Caldas (Minas Gerais) bis 2024.
Docol, zweitgrößter Hersteller von Metallarmaturen nach Deca und führender Exporteur, übernahm 2019 Mekal, den Marktführer für Spül- und Waschbecken aus Stahl. Zur Erweiterung des Produktportfolios plant Docol auch den Einstieg in den Keramikmarkt. Der Markt für Armaturen ist relativ zersplittert. Zu den rund 100 Produzenten gehören neben den großen Herstellern Deca, Docol, Roca, Eternit, Lorenzetti und Fabrimar auch viele Kleinunternehmen.
Von Gloria Rose
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São Paulo