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Wirtschaftsausblick | Libyen

Politische Lage lastet weiter auf der Wirtschaft

Bei anhaltend hohen Ölpreisen wird sich die libysche Wirtschaft in den nächsten Jahren stabil entwickeln. Soziale Proteste und die politische Teilung verdüstern aber den Ausblick.

Von Verena Matschoß | Tunis

Top-Thema: Ausländische Großprojekte im Gassektor

Libyen verfügt über die größten Ölreserven Afrikas – bei den Gasreserven liegt das Land auf dem afrikanischen Kontinent auf Platz 5. Bereits vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zählte Libyen zu den Top-10-Lieferländern von Rohöl für die Europäische Union. Je weiter sich die EU von den russischen Rohstofflieferungen löst, desto mehr könnte davon auch Libyen profitieren. 

Derzeit bezieht die EU aus Libyen vor allem Erdöl. Aber auch die Erdgasexporte über die Greenstream-Pipeline nach Sizilien könnten zunehmen. Denn der italienische Energiegigant ENI plant 8 Milliarden US-Dollar (US$) in zwei neue Gasfelder zu investieren — seit 20 Jahren das erste internationale Großprojekt. Ab 2026 soll das Gas gefördert werden. 

Das Unternehmen Saipem, ebenfalls aus Italien, hat einen Auftrag in Höhe von 1 Milliarde US$ erhalten, um die Plattformen und Anlagen am Offshore-Gasfeld Bouri zu modernisieren. Darüber hinaus nehmen weitere internationale Energieunternehmen ihre Explorationsaktivitäten in Libyen wieder auf. So will die österreichische OMV nach zehn Jahren Pause im Sirte-Becken wieder nach Öl bohren. 

Die Öl- und Gasförderung ist allerdings immer wieder Ziel von sozialem Unmut. So kam es Anfang Januar 2024 nach Protesten von Bewohnern des Gebiets Fessan zu einer zweiwöchigen Schließung des Ölfelds Sharara, dem größten des Landes. 

Solche Proteste könnten auch das Projekt von ENI gefährden. Protestierende drohten mit einer Blockade der Gasförderung am Melittah-Komplex – einem Joint-Venture zwischen ENI und der nationalen Ölgesellschaft NOC. Sie forderten die Absetzung des NOC-Geschäftsführers Bengdara und stellen seine Befugnis infrage, internationale Verträge zu schließen.

Wirtschaftsentwicklung: Alles hängt vom Öl ab

Internationale Beobachter wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Economist Intelligence Unit (EIU) gehen davon aus, dass Libyen 2024 ein reales Wirtschaftswachstum von über 7 Prozent erreichen könnte. Für die nächsten Jahre sehen beide Institutionen die Wirtschaftsentwicklung positiv - vorausgesetzt der Ölpreis bleibt hoch und die Sicherheitslage im Land stabil. 

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Die Entwicklung der libyschen Wirtschaft hängt in hohem Maße von der Ölförderung ab. Über 90 Prozent der Exporte und Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Nach einer dreimonatigen Ölblockade ab Frühjahr 2022 hat sich die Produktion wieder stabilisiert. Im Jahr 2023 förderte das nordafrikanische Land 1,2 Millionen Barrel Öl pro Tag. Investitionen in die veraltete Infrastruktur wären dringend nötig, um das Ziel der Regierung zu erreichen, bis 2030 eine tägliche Fördermenge von rund 2 Millionen Barrel zu erreichen. Die größte Herausforderung bleibt allerdings die Diversifizierung der Wirtschaft.

Auswirkungen der Flutkatastrophe noch unklar

Im 1. Halbjahr 2023 wurden laut libyscher Zentralbank Waren in einem Wert von 17 Milliarden US$ exportiert. Das waren 12 Prozent weniger als noch im 1. Halbjahr 2022. Dies hängt vor allem mit dem im Vergleich zum Vorjahr niedrigeren Ölpreis zusammen. Deutschland war zweitwichtigster Abnehmer – insgesamt stehen die Länder der EU für 70 Prozent der Exporte. Da die lokale Produktion abgesehen von fossilen Brennstoffen gering ist, ist Libyen stark von Importen abhängig. Hauptlieferländer waren im 1. Halbjahr 2023 die Türkei und China. 

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Die Teilung des Landes in zwei konkurrierende Regierungen verhindert weiterhin eine einheitliche Wirtschaftspolitik. Zudem gibt es keinen verabschiedeten Staatshaushalt und wann Wahlen wirklich stattfinden, bleibt ungewiss. Trotz hoher Öleinnahmen investiert der Staat kaum in den Wiederaufbau des Landes. Ein Großteil der Ausgaben fließt in die Gehälter der Staatsbediensteten und in Subventionen für die Bevölkerung. 

Während die Flutkatastrophe im nordostlibyschen Derna im September 2023 mindestens 4.000 Menschen das Leben gekostet hat, sind die wirtschaftlichen Auswirkungen noch unklar. Die Ölinfrastruktur war allerdings nicht betroffen und Derna trägt nur einen geringen Teil zum libyschen Bruttoinlandsprodukt bei. 

Positive Signale in Bezug auf die Stabilität

Im Jahr 2023 gab es einige positive Signale in Bezug auf die politische und wirtschaftliche Stabilität. So vereinigten sich im August die beiden Flügel der libyschen Zentralbank. Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt fanden im März 2023 auch wieder Artikel-IV-Konsultationen mit dem IWF statt. Trotzdem bleibt die politische Pattsituation bestehen und die Sicherheitslage ist weiterhin volatil.

Einige größere Projekte werden gerade auch jenseits des Öl- und Gassektors vorangetrieben. Im Februar 2023 hat das italienische Unternehmen Aenes mit den Arbeiten am Tripoli International Airport begonnen, Mitte dieses Jahres sollen diese abgeschlossen sein. Auch beim Bau der dritten Ringstraße in Tripolis gibt es Fortschritte und der erste Block des neuen Gaskraftwerks Tobruk wurde im November 2023 an das Stromnetz angeschlossen. 

Deutsche Perspektive: Drittes Wirtschaftsforum in Tripolis geplant

Die meisten deutschen Unternehmen sind bei der Aufnahme wirtschaftlicher Aktivitäten in Libyen zurückhaltend. Gründe dafür sind unter anderem fehlende Risikoabsicherungen und Zahlungsausfälle lokaler Geschäftspartner. Einige Unternehmen beobachten die Lage vor Ort aber genau. Seit 2016 haben sich rund 30 Firmen dem Experten-Forum Libyen angeschlossen. Gemeinsam mit der Arab-German Chamber of Commerce and Industry (Ghorfa) und libyschen Partnern soll Ende April 2024 erneut ein deutsch-libysches Wirtschaftsforum in Tripolis veranstaltet werden. In diesem Rahmen ist eine Unternehmerreise geplant, bei der deutsche Unternehmen die Möglichkeit zu B2B-Gesprächen mit libyschen Unternehmen erhalten.

Libyen spielt für Deutschland vor allem als Lieferant von Rohöl eine Rolle. Von Januar bis November 2023 importierte die Bundesrepublik 7 Millionen Tonnen Rohöl aus Libyen — 60 Prozent mehr als in den ersten elf Monaten 2022. 

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