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Branchenbericht Russland Wasserfahrzeuge

Punktesystem für russische Schiffe belohnt Inlandskomponenten

Russlands Schiffe sollen künftig aus mehr einheimischen Komponenten bestehen. Dafür wird ein Punktesystem eingeführt. Deutsche Zulieferer haben aber weiter Absatzchancen.

Von Gerit Schulze | Moskau

Wie in der Automobilindustrie führt die russische Regierung für den Schiffbau ein Punktesystem ein, um den Lokalisierungsgrad zu erhöhen. Im Mai 2021 wurden dafür mit der Verordnung Nr. 758 die Vorschriften für die Importsubstitution konkretisiert. Demnach muss ein neu gebautes Schiff mindestens 1.950 Punkte erreichen, um eine staatliche Förderung zu bekommen. Je nach Schiffstyp liegt die Hürde höher. Der Wert wird schrittweise angehoben. Je mehr Punkte erreicht werden, desto höher ist die staatliche Förderung beim Kauf von Wasserfahrzeugen.

Zentrum für Lokalisierung kümmert sich um Umsetzung

Auf der Sankt Petersburger Schiffbaumesse Neva im September 2021 stellte das vom Industrieministerium beauftragte Zentrum für Importsubstitution und Lokalisierung von Schiffskomponenten (Zentr SKO) das Konzept vor.

Insgesamt fallen 75 Schiffstypen und Meerestechnik unter die neue Punkteregel, darunter Tanker, Trawler, Passagier- und Kreuzfahrtschiffe, Schlepper, Schiebe- und Lotsenschiffe, Kutter, Schwimmkräne, Förderplattformen und Forschungsschiffe.

Notwendige Punktzahl zur Erfüllung der Lokalisierungsanforderungen im russischen Schiffbau

Schiffstyp

bis 30. Juni 2023

ab 1. Juli 2023

ab 1. Juli 2025

Fluss-Passagierschiffe ohne eigenen Antrieb

1.400

1.550

1.700

Schwimmdocks, Bargen

1.750

2.000

2.250

Luftkissenboote

1.950

2.200

2.550

Große Seeschiffe

2.100

2.700

3.200

Öl- und Gastanker

2.200

2.800

3.200

Fischfangschiffe

2.300

2.900

3.400

Passagier-, Fracht-, Schleppschiffe

2.400

3.100

3.600

Forschungsboote, Flusstanker und Versorgungsschiffe

2.450

3.150

3.650

Eisbrecher, Gefrierschiffe, Seefähren

2.500

3.200

3.750

Quelle: Zentrum für Importsubstitution und Lokalisierung von Schiffskomponenten (Zentr SKO)

Punkte gibt es für den Einsatz von insgesamt 253 Komponenten und Materialien. Die Hälfte davon wird nur mit bis zu 30 Punkten angerechnet, sodass Experten hier wenig Anreize für den Aufbau einer einheimischen Fertigung sehen. Das gilt unter anderem für Alarmsysteme, Echolote oder bestimmte Pumpen.

Für kritische Komponenten, die unter Sanktionen fallen könnten oder eine hohe Wertschöpfung erzielen, will das Industrieministerium deshalb die Punktezahl erhöhen, sagte Dmitri Stojanow, Vizedirektor des Lokalisierungszentrums Zentr SKO, auf der Schiffbaumesse. Das soll vor allem für komplexe Systeme gelten. So ist vorgesehen, für ein komplettes Brückensystem aus russischer Herstellung 1.200 Punkte zu vergeben, für ein einheimisches Funk- und Navigationssystem 800 Punkte. Für Einzelelemente gibt es sehr wenig Anreize, beispielsweise 15 Punkte für Geräte zum Seefunkverfahren Digital Selective Calling.

Ob Schiffskomponenten tatsächlich aus russischer Produktion stammen, können die Werften über das Register der industriellen Produkte erfahren. Dort werden alle Güter aus einheimischer Fertigung erfasst.

Punktevergabe für Komponenten aus russischer *) Produktion (Auswahl)

Komponent

Mögliche Punktzahl

Lenksäulen für Schlepper

350

Metall (wenn mindestens 75 Prozent der Masse des Schiffskörpers aus russischer Produktion)

300

Kabelstränge (wenn mehr als 75 Prozent Wertanteil aus Russland *)

250

Wasserstrahlantriebe für Schiebeschiffe

200

Lacke und Farben (wenn mehr als 75 Prozent Wertanteil aus Russland *)

200

Kompositmaterialien (wenn mehr als 75 Prozent Wertanteil aus Russland *)

200

Notstrom-Ausrüstung

150

Schiffskran

120

Hauptschaltschränke

70

Deck-Beschichtung

25

Anker, Liegeplatz- und Abschleppausrüstung

20

Ankerkette

20

Lüftungsrohre

20

Schwimmwesten

10

Auslöser für Rettungsboote

10

Rettungsringe

5

*) oder in einem anderen Mitgliedsstaat der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU)Quelle: Regierungsverordnung Nr. 758 vom 19. Mai 2021

Abhängigkeit von ausländischen Lieferungen ist groß

Nach Berechnungen der Marktforschungsagentur Infoline ist Russland bei wichtigen Schiffbaukomponenten zu 40 bis 90 Prozent abhängig von ausländischen Lieferanten. Besonders groß ist der Importbedarf bei Hilfsmotoren, Turboladern und Ausrüstungen zur Einhaltung von Umweltnormen, bei Technologien für die Wasseraufbereitung sowie bei kryogenen Kühlsystemen für Gastanker.

Lokalisierungsexperte Stojanow sagte bei der Messe Neva, dass Russland den Zugang zum Markt nicht beschränken und auch keine Produkte verbieten wolle. „Wir eröffnen lediglich die Möglichkeit, die Nachfrage nach russischen Komponenten zu erhöhen.“

Problem sind die geringen Stückzahlen

Schon früh auf eine lokale Fertigung in Russland gesetzt hat der österreichische Kranhersteller Palfinger. Die drei Werke sollen 2022 über 2.700 Kräne produzieren, die auch auf Schiffen verbaut werden. Allerdings sei es schwierig, im Inland identische Materialien und Zubehörteile zu beschaffen, sagte Wladimir Awdejtschik, technischer Direktor bei Palfinger Marine Rus bei einer Präsentation auf der Schiffbaumesse Neva. Da es noch an Serienaufträgen aus dem Schiffbau mangele, seien die Stückzahlen niedrig. „Für russischer Zulieferer sind kleine Stückzahlen aber nicht interessant, zum Beispiel bei Elektromotoren“, erklärte Awdejtschik. Die russischen Anforderungen an eine lokale Fertigung berücksichtigten oft nicht die ausländische Produktionsstruktur.

Besonders für kleine Zulieferer der maritimen Wirtschaft bleibt Russland daher zwar ein wichtiger Absatzmarkt, aber kein attraktiver Produktionsstandort. Das bestätigten die meisten der 16 Unternehmen, die sich vom 21. bis 24. September 2021 am deutschen Gemeinschaftsstand bei der Schiffbaumesse Neva in Sankt Petersburg präsentierten. Darunter waren Hersteller von Pumpen, Elektronik, Schiffsmotoren, Sicherheits- und Feuerschutztechnik. Die meisten von ihnen liefern bereits an die Werften der staatlichen Schiffbauholding OSK oder an die neue Großwerft Swesda im Fernen Osten.

Deutsche Hersteller wollen nicht lokalisieren

Dabei arbeiten die deutschen Unternehmen in der Regel mit russischen Vertriebspartnern, die den Kontakt zu den großen Werften halten. Auf eigene Lager oder Servicezentren verzichten die meist mittelständischen Betriebe. „Unser Unternehmen hat rund 100 Mitarbeiter, da können wir nicht überall in der Welt Produktionsstätten aufbauen“, sagte Thomas Held, Prokurist bei Separ Filter. Der Hattinger Hersteller verkauft in Russland unter anderem Wasserabscheider und Kraftstofffilter an die Werftenindustrie. „Das Land ist neben den USA und der EU unser stärkster Auslandsmarkt“, erklärte Vertriebsexperte Held.

Einen anderen Weg gehen die beiden Elektrotechnikhersteller Hensel und Mennekes. Für das Russlandgeschäft haben sie ihre Vertriebsaktivitäten in einer gemeinsamen Gesellschaft Hensel + Mennekes Elektro gebündelt. Von Sankt Petersburg aus beliefern sie unter anderem Werften und Häfen mit Technik für die Energieverteilung. Außerdem lassen sie einzelne Bauteile vor Ort in Russland montieren, um eine lokale Wertschöpfung nachweisen zu können.

Linktipp: Regierungsverordnung Nr. 758 vom 19. Mai 2021

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