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Special | Russland | Konnektivität

Russische Arktis steht vor ungewisser Zukunft

Russland hat ehrgeizige Pläne zur Entwicklung des hohen Nordens. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine stehen viele dieser Pläne vor dem Aus.

Von Lukas Latz | Berlin

Russlands ehrgeizige Arktispläne drohen aufgrund des Angriffs auf die Ukraine zu scheitern. Im Jahr 2018 hatte Russlands Regierung verkündet, dass sie bis 2024 Investitionen in Höhe von 74 Milliarden Euro für den hohen Norden einwerben will. Bis 2050 will man 180 Milliarden Euro anziehen. Diese ohnehin sehr ehrgeizigen – Investitionsziele stehen nun mehr denn je auf der Kippe, denn seit dem Beginn des Ukrainekrieges dürften sich viele westliche Unternehmen als Technologiepartner zurückziehen. Dies betrifft alle wichtigen Wirtschaftssektoren des hohen Nordens: die Schifffahrt, die Öl- und Gasförderung und die Infrastruktur. Die Geschwindigkeit, mit denen sich Unternehmen aus Russland zurückziehen, kann jedoch in Einzelfällen stark variieren.

Westliche Firmen fahren Engagement in der Gasförderung zurück

Nach Informationen des staatlichen russischen Portals arctic-connect.ru werden 83 Prozent des in Russland geförderten Gases im hohen Norden gefördert. Die Region hat auch das landesweit größte Potenzial an unerschlossenen Ölfeldern. Da es schon seit 2014 Sanktionen gegen Russlands Öl- und Gassektor gibt, war eine komplette Hebung des Potenzials der Rohstofflagerstätten schon vor Ausbruch des Krieges unwahrscheinlich.

Seit Ausbruch des Krieges ist der Fortgang vieler Projekte in Gefahr. Ende April meldete der französische Energiekonzern Total, dass er im 1. Quartal des Jahres 2022 Investitionen in Höhe von 3,9 Milliarden Euro auf das Gasfeld Arctic-LNG-2 abgeschrieben hat. Arctic-LNG-2 wird betrieben von einem Joint Venture, das vom russischen Energiekonzern Novatek angeführt wird. Im Rahmen von Arctic-LNG-2 wollen Novatek und die französische Total auf der Gydan-Halbinsel Gas fördern und dieses Flüssiggas über das arktische Meer nach Asien und Westeuropa exportieren. Total begründete die Abschreibung mit US- und EU-Sanktionen. Diese Sanktionen sehen Exportverbote für Öl- und Gasförderungstechnologie vor. Hierdurch ist eine Vollendung des Projekts schwer vorstellbar.

Ein wichtiger Technologielieferant für Russlands Flüssiggasprojekte ist der deutsche DAX-Konzern Linde, der auch bei Arctic-LNG-2 als Aufragnehmer vorgesehen ist. In Pressestatements kündigte Linde an, das eigene Russlandgeschäft zurückzufahren und keine Neugeschäfte mehr abzuschließen. Ob die Lieferungen für Arctic-LNG-2 fortgesetzt werden, hat Linde bislang nicht klar erläutert. In ihrer bisherigen Form bedeuten die westlichen Sanktionen für die arktischen Projekte noch nicht das finale Aus. Aber: „Es bleibt eine offene Frage, inwieweit Russland seine Gasprojekte auch ohne westliche Investitionen und Technologien umsetzen kann“, erklärt Michael Paul, Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Marode Infrastruktur hemmt das Wachstum

Zentral für Russlands Arktispläne ist der Ausbau des Nördlichen Seeweges. Russland hat ehrgeizige Pläne zum Ausbau von Hafeninfrastruktur und zur Erhöhung des Transportvolumens. „Die Infrastruktur des Nördlichen Seeweges ist marode“, erklärt SWP-Fellow Michael Paul. Dazu zählt Paul die „spektakulären Effekte des auftauenden Permafrosts“, die neben der Küstenerosion auch die Hafenanlagen und die dort befindliche Industrie betreffen. Das Absinken der Permafrostböden führt jetzt schon dazu, dass die Wohn- und Industrieinfrastruktur des hohen Nordens Schaden nimmt.

Beschädigte Infrastruktur in Russlands hohem Norden (Anteil der durch Auftauen des Permafrosts deformierten Gebäude in Prozent)

Stadt

Einwohner

Anteil deformierter Gebäude

Jakutsk

284.000

9

Norilsk

205.000

10

Magadan

99.000

55

Vorkuta

71.000

80

Tschita

307.000

60

Quelle: Zeitschrift Osteuropa 7-9 2020, S. 276

Zu den wichtigsten Reedereien, die Russlands Nördlichen Seeweg als Transitroute nutzen, gehören auch zwei deutsche Schwergutreeder: Oldendorff Carriers aus Lübeck und United Heavy Lift aus Hamburg. Oldendorff Carriers gab keine Auskunft auf die Frage, ob man den Nördlichen Seeweg weiter befahren wolle. Dies seien „marktsensible Informationen“, die Oldendorff Carriers nicht öffentlich machen könne, heißt es in einer Stellungnahme. Auch die Schwergutreederei United Heavy Lift ließ Fragen zu ihren Arktisplänen unbeantwortet.

Wichtige Werft könnte Technologiepartner verlieren

Zu den Ausbauplänen Russlands in der Arktis gehört auch der Bau von Eisbrechern und großen eisfähigen Öltankern. Ein Schlüsselprojekt Russlands für die wirtschaftliche Erschließung der Arktis ist die Werft „Zvezda“ bei Vladivostok. In der Werft sollen große eisfähige Öl- und Gastanker gebaut werden, die das Heben der arktischen Ressourcen ermöglichen sollen. Die Werft ist notwendig, um Russlands Zielvorgabe bei der Auslastung des Nördlichen Seeweges zu erreichen. Bis 2025 soll über die Arktis ein Transportvolumen von 80 Millionen Tonnen erreicht werden. Zuletzt waren es knapp 30 Millionen Tonnen – das meiste davon Flüssigerdgas und Kohle.

Für den Betrieb der Werft ist Russland bislang auf Rohstoffe und Technologietransfer aus Südkorea angewiesen. Die Werft Samsung Heavy Industries ist ein wichtiger Technologiepartner. Auch der Stahl, der in den Schiffen verbaut wird, kommt aus Südkorea. Es ist unklar, inwieweit diese Kooperationen in Anbetracht des Ukrainekrieges fortgesetzt werden. „Wenn sich südkoreanische Firmen aus der Werft Zvezda zurückziehen und wenn auch die von Novatek und Sowkomflot im Ausland bestellten LNG-Tanker nicht geliefert werden, dann bekommt Russland ein echtes Problem“, sagt Sebastian Hoppe, Politikwissenschaftler am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin. Die Pläne zur wirtschaftlichen Erschließung der Arktis könnten dann kaum umgesetzt werden, schätzt Hoppe.

Seit Beginn des Ukrainekrieges sind die Aktienkurse der großen südkoreanischen Schiffbaukonzerne stark gestiegen. Beobachter bringen das damit in Verbindung, dass die weltweite Nachfrage nach LNG-Tankern ansteigen wird. Die globale Nachfrage macht Südkorea zunehmend unabhängig von russischen Großprojekten. Das könnte Südkorea, das die russische Regierung wie viele westliche Länder in eine „Liste unfreundlicher Staaten“ aufgenommen hat, zu strengen Sanktionen ermutigen.

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