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Russlands neue Regierung will die nationalen Projekte umsetzen und soziale Wohltaten finanzieren. Doch die Coronavirus-Krise und der Ölpreiskrieg durchkreuzen die Pläne.
24.03.2020
Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau
Die neue Regierung von Ministerpräsident Michail Mischustin hat seit ihrem Amtsantritt am 21. Januar 2020 gleich alle Hände voll zu tun. Zu den wichtigsten Zielen gehören die Steigerung des Wirtschaftswachstums, die Umsetzung der nationalen Projekte und die Finanzierung der Sozialprogramme, die Präsident Wladimir Putin in seiner Jahresansprache vor der Föderationsversammlung angekündigt hatte. Seit 16. März 2020 überlagern jedoch die Sofortmaßnahmen gegen die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie, die Russland in diesem Jahr eine Rezession bescheren wird, alles andere.
Präsident Putin möchte Russland trotz der aktuellen Wirtschaftskrise bis 2024 unter die fünf größten Volkswirtschaften bringen, gemessen an der Kaufkraftparität. Dazu muss das Land ab 2021 ein Wirtschaftswachstum erreichen, das über den Zuwachsraten der Weltwirtschaft liegt, also 3 Prozent oder mehr. Der mit Abstand wichtigste Wachstumstreiber sollen die nationalen Projekte werden. Dabei fließen etwa 370 Milliarden Euro in Infrastruktur-, Sozial-, und Industrieprojekte. Vizepremierminister Andrei Belousow erhoffte sich vor Ausbruch der Coronavirus-Krise durch die nationalen Projekte einen zusätzlichen Wachstumseffekt von 1,0 Prozent im Jahr 2020 und von 1,6 Prozent im Jahr 2021.
Unter der Vorgängerregierung Medwedew hinkte die Umsetzung der Projekte dem Zeitplan massiv hinterher. Der schwerfällige Verwaltungsapparat hatte es 2019 nicht geschafft, alle bereitgestellten Gelder für die nationalen Projekte auszugeben. Etwa 2,2 Milliarden Euro wurden nicht abgerufen und mussten ins Jahr 2020 überführt werden. Ministerpräsident Mischustin nannte dies inakzeptabel und regte an, die staatliche Beschaffung effizienter, einfacher und schneller zu machen. Vor allem die langen Abstimmungsprozesse sind dem Premierminister ein Dorn im Auge.
Zur besseren Kontrolle und Koordination der Umsetzung der nationalen Projekte richtete die Regierung im März 2020 ein Projektbüro unter Leitung von Denis Tichonow, der zuvor in der Regierung der Stadt Moskau für Wirtschaftspolitik zuständig war, ein. Daneben soll eine Kommission unter Leitung von Vize-Premierminister Marat Chusnullin die Umsetzung der nationalen Projekte in den Regionen überwachen.
Zusätzliche Mittel zur Finanzierung der nationalen Projekte soll der Verkauf der staatlichen Sberbank freisetzen. Das Finanzministerium übernimmt Russlands größtes Geldhaus von der Zentralbank - für etwa 2,45 Billionen Rubel aus dem Wohlstandsfonds. Die Auszahlung der ersten Tranche wurde wegen der Coronaviruskrise vom 1. Juni auf 1. Dezember 2020 verschoben. Die Zentralbank schüttet ihre Gewinne in den Staatshaushalt aus, dessen Mittel der Regierung zur freien Verfügung stehen, im Gegensatz zu dem an bestimmte Ausgabezwecke gebundenen Wohlstandsfonds.
Eine weitere Hauptaufgabe der Regierung ist, neue Investitionen in Gang zu setzen. Bis 2024 soll der Anteil der Anlageinvestitionen auf 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen; sie sollten 2020 eigentlich um 5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr wachsen. Bei Investitionen will sich die Regierung auf Branchen mit nicht ausgelasteten Kapazitäten und kurzen Investitionszyklen konzentrieren, wie den Automobil- und den Landmaschinenbau, erklärte der stellvertretende Wirtschaftsminister Aser Talybow am 18. Februar 2020 auf der Russlandkonferenz der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK). Doch durch die Coronavirus-Pandemie werden neue Projekte vorerst auf Eis gelegt.
Um die geringen privaten Investitionen in die russische Wirtschaft zu erhöhen, hat die Regierung am 19. März 2020 ein neues Investitionsschutzabkommen verabschiedet. Investoren erhalten bis zu 20 Jahre lang - abhängig von der Investitionssumme - gleichbleibende steuerliche Rahmenbedingungen garantiert. Mit diesem Mechanismus sollen bis zu 30 Billionen Rubel angeworben werden. Am 1. Juli 2020 soll das Abkommen in Kraft treten. Doch Experten der Beratungsfirma InfraOne dämpfen die Erwartungen und erwarten keinen sprunghaften Anstieg privater Investitionen.
Bis Ende März 2020 erwartet die Regierung von den zuständigen Fachministerien zudem Vorschläge, wie Föderale Zielinvestitionsprogramme (FAIP) und Föderale Zielprogramme (FZP) effizienter umgesetzt werden können.
Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt der neuen Regierung liegt auf der Umsetzung der sozialen Programme, die Präsident Putin in seiner Jahresansprache an die Föderalversammlung Mitte Januar 2020 angekündigt hatte. Ziel ist eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung durch die Steigerung der frei verfügbaren Einkommen, welche 2019 auf niedrigem Niveau stagnierten. Das Geld für der Geburt eines Kindes (Mutterkapital) wird erhöht und die Renten werden regelmäßig an die Inflation angepasst. Zur Finanzierung der Sozialausgaben hat Präsident Putin am 18. März 2020 die Aufstockung des Haushalts der Jahre 2020 bis 2022 bestätigt. Die zusätzlichen Ausgaben belaufen sich auf etwa 1,85 Billionen Rubel, wobei 2020 etwa 353 Milliarden Rubel ausgegeben werden sollen.
Die sozialen Ausgaben können dem Konsum zwar kurzfristig einen Impuls verleihen. Doch reichen diese Gelder nicht aus, um die Armut im Lande dauerhaft zu bekämpfen, kritisierte der Leiter des Rechnungshofs, Alexei Kudrin.
Die makroökonomischen Voraussetzungen zur Umsetzung der Ziele waren zu Jahresbeginn 2020 gut. Im Nationalen Wohlstandsfonds steckten am 1. März 2020 etwa 123 Milliarden US-Dollar. Zudem hat Russland Gold- und Devisenreserven von etwa 570 Milliarden US-Dollar angehäuft. Doch die Coronavirus-Pandemie und der Ölpreisabsturz versetzen der russischen Wirtschaft derzeit einen Doppelschock und machen alle Wachstumshoffnungen zunichte.
Die Haushaltsausgaben Russlands werden im Jahr 2020 trotz des Rückgangs der Ölpreise nicht gesenkt, sagte der Leiter der Rechnungskammer, Alexei Kudrin, auf einer Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzmärkte des Föderationsrates am 22. März 2020. Das Ausgabenvolumen bleibt bestehen, wird jedoch gezielter auf die Prioritäten verteilt. Die Ausgaben des Nationalen Wohlstandsfonds für Infrastrukturprojekte müssen größtenteils verschoben werden. Finanzminister Anton Siluanow bekräftigte jedoch, dass die Reserven ausreichen würden, um zumindest die Einnahmeausfälle für mindestens sechs Jahre ausgleichen und alle sozialen Versprechen erfüllen zu können.