Während der Corona-Pandemie haben viele Länder digitale Gesundheitslösungen eingesetzt – von Warn-Apps bis hin zu digitalen Arztbesuchen. In China zeigt sich das deutlich an den Nutzerzahlen digitaler Angebote: Allein im Januar – und damit kurz nach Ausbruch des Erregers - verzehnfachte sich die Zahl der neuen Nutzer der E-Health-Plattform „Good Doctor“ des Versicherers Ping An im Vergleich zum Vormonat.
Über solche Gesundheitsplattformen können Nutzer Rezepte für bereits diagnostizierte Krankheiten empfangen und per Video mit ihrem Arzt sprechen. Bruce Aylward von der Weltgesundheitsorganisation schätzte in einem Interview in der New York Times, dass etwa die Hälfte der Gesundheitsversorgung vom Arzttermin bis zur Rezeptausstellung in der Hochphase der Covid-19-Krise online stattfand.
Neue Gesundheitslösungen boomen weltweit
Zu Digital Health - also dem Einsatz von IT im Gesundheitswesen - zählen mehr als digitale Plattformen. Dazu gehören etwa auch Wearables wie Fitnesstracker, smarte Hörgeräte oder Herzschrittmacher, die den Gesundheitszustand ihrer Träger im Blick behalten. Pflegeroboter unterstützen bei der Patientenbetreuung. Auch die Prozesse im Gesundheitssystem optimiert Digital Health– von Online-Sprechstunden bis zum papierlosen Krankenhaus.
Die Prognosen für die Branche sind gut: Marktforscher von VynZ Research bewerten den globalen Digital-Health-Markt 2019 mit 111,4 Milliarden US-Dollar. Bis 2025 soll er voraussichtlich auf 510,4 Milliarden US-Dollar wachsen. Die 2020er Jahre könnten die Dekade sein, in der digitale Technologien die Gesundheitssysteme neu formen, schätzt auch die Gesundheitsorganisation WHO.
Digitale Technik unterstützt in der Coronakrise
In der Coronakrise verfolgen verschiedene Länder Infektionsketten mithilfe digitaler Technologien. Polen beispielsweise überprüft seit Mitte März per App, ob Patienten sich an die häusliche Quarantäne halten. Mehrfach täglich fordert die App Aplikacja Kwarantanna domowa die Betroffenen in unregelmäßigen Abständen auf, ein Selfie von sich zu senden – wer dieser Aufforderung nicht innerhalb von 20 Minuten nachkommt, erhält eine Warn-meldung und dann Besuch von den Behörden. Seit Juni gibt es zudem die App ProteGo Safe. Ähnlich wie in Deutschland informiert sie mittels Bluetooth, wenn sich Smartphone-Nutzer in der Nähe von Erkrankten aufgehalten haben oder Kontakt zu ihnen hatten.
Auch für Länder mit weniger weit entwickelten Gesundheitssystemen sind die digitalen Helfer eine Option: In Vietnam zählen vor allem Covic-19-Tracking-Apps, aber auch andere Gesundheits-Apps aktuell zu den meistabgerufenen Mobilanwendungen. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlichster Gesundheitsangebote für das Smartphone, von Fitness- und Mutter-Kind-Apps bis hin zur virtuellen Klinik.
Nicht alles läuft rund
Das Bewusstsein für den Schutz persönlicher Daten ist dabei in Vietnam wie in vielen anderen Ländern nur in Ansätzen vorhanden und führt in der Regel nicht dazu, dass sich Menschen digitalen Neuerungen verweigern. Dennoch kann der Umgang mit sensiblen medizinischen Daten ein Knackpunkt für die digitale Gesundheitsbranche sein. In China müssen dort erhobene Gesundheitsdaten prinzipiell im Land gespeichert werden, wobei Kunden- und Verschlüsselungsdaten auf Aufforderung an zuständige Behörden herauszugeben sind.
Daneben fehlt oft schlicht der technische Spielraum für digitale Anwendungen.. Selbst in den USA – eigentlich für ihre Vorreiterrolle bekannt - lassen sich nicht alle Lösungen einfach in bestehende Prozesse integrieren, es fehlen Datenschnittstellen und eine nationale Plattform für den Datenaustausch. Zudem sind manche Krankenhäuser gar nicht an interoperablen Produkten außerhalb ihrer eigenen Klinikmauern interessiert. Und Patienten wiederum sind häufig nicht bereit, für Produkte wie eine elektronische Patientenakte zu bezahlen.
Vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern sind Papier und Stempel meist noch die Regel. Oft sind für digitale Lösungen technische Voraussetzungen nötig wie ein breiter Internetzugang der Bevölkerung. Indien hat hier beachtliche Erfolge erzielt: Fast 90 Prozent der Bevölkerung haben inzwischen einen Internetzugang per Handy. Digital Health kann also an eine bestehende technische Infrastruktur andocken - für die Dienste gilt allerdings „Mobile First“, wenn nicht gar „Mobile Only“. Noch in diesem Jahr will das Land ein einheitliches System für die Verwaltung von Patientenakten einführen.
Digitalriesen schon lange im Geschäft
Der Umbau zu den digitalen Lösungen kostet zwar, doch auf lange Sicht rechnet sich die Investition: Wearables können helfen, Krankheiten schon im Vorfeld zu vermeiden. Durch Telemedizin kann teure medizinische Infrastruktur eingespart werden. Dieses enorme Potenzial haben viele der großen Player der Digitalbranche bereits vor Jahren erkannt. In China ist Alibaba seit 2014 mit AliHealth am Markt. Kunden können darüber Pharmazieprodukte kaufen, dazu gibt es Online-Sprechstunden und Medikamentenverschreibung. Tencent – Betreiber von WeChat und Videospielanbieter – erreicht nach eigenen Angaben mit seinem Start-up WeDoctor Healthcare mehr als 27 Millionen aktive Nutzer.
Als Teil der langfristigen Strategie Healthy China 2030 will die Volksrepublik Big Data und KI im Gesundheitssektor vorantreiben. Dazu rechnen einige Branchenkenner in den nächsten Jahren mit einer noch stärkeren Zusammenarbeit zwischen privaten Internet- sowie Versicherungsgiganten und dem Staat. Vor allem für Versicherer wie Ping An sind die Möglichkeiten enorm: Sie haben große Mengen an Patientendaten und beherrschen das traditionelle Versicherungsgeschäft der Risikoanalyse. Mit Big Data und KI sowie verschiedenen Angeboten können sie Patienten noch stärker an sich binden.
Vorreiter USA
Auch in den USA sind Digitalgiganten wie Apple längst im Geschäft. Mit der Gesundheits-App lassen sich elektronische Gesundheitsakten auf dem iPhone speichern. Auch Konkurrent Amazon mischt mit und hat Ende 2019 das Programm Transcribe Medical gelauncht, eine selbstlernende Spracherkennungssoftware für die klinische Dokumentation. Sie soll zum Beispiel Gespräche zwischen Arzt und Patient in Textform überführen – so können diese später analysiert werden oder in eine elektronische Patientenakte fließen.
Neben künstlicher Intelligenz setzt die Branche hohe Erwartungen in die Zukunftstechnologie Quantencomputing. Der US-Kongress soll eine Verdopplung der Forschungsausgaben für die Quanten-Informationstechnologie auf 850 Millionen US-Dollar genehmigen. Durch neue Einblicke in Gehirnfunktionen könnten quantenoptische Verfahren die Diagnose von Krankheiten revolutionieren – so die Hoffnung.
Flut an Informationen
Auf den Technologien ruhen große Hoffnungen, viele Fragen sind aber noch offen. Zwar seien digitale Technologien wirksam bei der Bekämpfung von Covid-19, sagt etwa Hans Henri Kluge von der WHO. „Doch dieselben Technologien haben uns auch einer Flutwelle von Informationen ausgesetzt und eine Vielzahl von Fragen in Bezug auf Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre aufgeworfen“, so Kluge. Digitale Technologien sollten zwar weiter genutzt werden, aber mit Umsicht und gemeinsam mit der Öffentlichkeit und Patienten. Die offenen Fragen rund um Patientendaten zu klären, sei jetzt Aufgabe der Staaten. Zudem müssten das Thema Zugang zu digitaler Gesundheit auf die Agenda, meint Kluge: „Wir können es uns nicht leisten, dass es Menschen gibt, die sich digitale Gesundheit nicht leisten können.“
(Mit Texten von Corinne Abele, Heiko Steinacher, Frau Schmitz-Bauerdick, Boris Alex, Niklas Becker. Dieser Text ist eine adaptierte Version aus: Markets International)
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