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Special | Brasilien | Handelspolitik

Marktöffnung mit Hindernissen

Brasilien entbürokratisiert - das vereinfacht den Außenhandel. Doch Zollsenkungen und die Rückführung von Schutzmaßnahmen stehen zunehmend in der Kritik.

Von Gloria Rose | São Paulo

Über das Portal Único de Comércio Exterior digitalisiert Brasilien den Außenhandel seit 2015. Das vereinfacht und beschleunigt Prozesse zunehmend: Nicht automatische Einfuhrlizenzen werden schneller erteilt und für weniger Produkte vorausgesetzt, wodurch Gebühren entfallen. Allein 2021 wird die Wirtschaft um über 500 Millionen US-Dollar (US$) entlastet, so die Regierung. Laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) könnten die Kosten im Außenhandel durch die Entbürokratisierung um bis zu 14,5 Prozent sinken. Brasilien spricht sich für die beschleunigte Umsetzung des Übereinkommens über Handelserleichterungen der Welthandelsorganisation WTO aus. Nach dem Gesetz für wirtschaftliche Freiheit aus 2019 passte Brasilien den Gesetzesrahmen für das Beschaffungswesen an. Weitere Erleichterungen bringt das neue Gesetz zur Verbesserung des Geschäftsumfelds.

Regierung treibt die Marktöffnung durch die Hintertür voran

In der Pandemie beschleunigte das Wirtschaftsministerium unter Paulo Guedes die Marktöffnung. WTO-Berichten zufolge erließ Brasilien deutlich mehr Maßnahmen für Handelserleichterungen als alle anderen G20-Staaten. Die stärkere Einbindung in den internationalen Handel ist eines der wirtschaftspolitischen Ziele der brasilianischen Regierung. Eine ausgewogene Strategie zur Marktöffnung blieb das Wirtschaftsministerium jedoch schuldig. Stattdessen wählte Guedes Schleichwege, also punktuelle Zollsenkungen für einzelne Warengruppen und die Genehmigung von Zollsenkungen in großem Umfang über das sogenannte "Ex-Tarifário"-Zollregime für Maschinen- und IT-Importe.

Um die Einfuhr hochmoderner Produktionstechnik und die Modernisierung der Industrie zu stimulieren, erweiterte die Regierung 2019 die Kriterien des Regimes. Vorübergehende Senkungen der Mercosur-Einfuhrzölle von den üblichen 14 Prozent oder 16 Prozent auf bis zu 0 Prozent können seitdem beispielsweise genehmigt werden, wenn nationale Technik mehr als 5 Prozent teurer oder qualitativ minderwertiger ist oder eine längere Lieferzeit erfordert als das Importprodukt. Zudem wurde das Genehmigungsverfahren vereinfacht, sodass unter der Regierung Bolsonaro fast 10.000 Produkte in den Genuss von Zollerleichterungen kamen.

Krise im Mercosur verunsichert

Durch die drastische Abwertung der brasilianischen Währung verteuerten sich die Importe 2020 schlagartig. Aufgrund neuer Preisgrenzen können Importeure das Ex-Tarifário-Regime für einige Produkte nicht mehr nutzen. Für Unsicherheit sorgt zudem der Zwiespalt in der Zollunion Mercosur. Die Entscheidung, ob und wie Brasilien das Sonderregime Ex-Tarifário ab 2022 weiterhin für Zollerleichterungen anwenden kann, steht noch aus. Mit Zustimmung von Uruguay und Paraguay will die brasilianische Regierung den gemeinsamen Zolltarif Tarifa Externa Comum (TEC) in zwei Stufen um 20 Prozent senken. Dadurch würde der durchschnittliche Importzoll von derzeit 11,7 Prozent auf 9,5 Prozent reduziert. Argentinien setzt jedoch auf eine protektionistische Handelspolitik und lehnt Zollsenkungen auf Industrieprodukte eher ab. 

Ein zweites Streitthema ist die Flexibilisierung der Zollunion. Während Brasilien und Uruguay auch unilateral Freihandelsabkommen verhandeln möchten, sprechen sich Argentinien und Paraguay dagegen aus. Seit April 2020 beteiligt sich Argentinien nicht mehr an den Verhandlungen neuer Abkommen mit Südkorea, Kanada, Indien, Libanon und Singapur. Dennoch nahm der Mercosur 2020 die Verhandlungen mit Indonesien und Vietnam auf. An dem Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union (EU) hält die argentinische Regierung bislang fest. 

Industrie kritisiert Wirtschaftspolitik

In der brasilianischen Industrie regt sich immer öfter Unmut gegenüber den Regierungsplänen. Statt einseitiger Zollsenkungen fordert der Industrieverband CNI die Verhandlung von Freihandelsabkommen, und zwar zusammen mit den anderen Mercosur-Staaten, um die Zollunion nicht zu schwächen. Allerdings spricht sich CNI offen gegen Abkommen mit Südkorea, Indonesien und Vietnam aus, die insbesondere die brasilianische Elektroindustrie, den Maschinenbau, Hersteller von Kfz und -teilen sowie von Textilien, Bekleidung und Lederwaren treffen würden.

CNI kritisiert das Wirtschaftsministerium auch bezüglich der Handhabung von Schutzinstrumenten. In 2019 und 2020 wurden 18 von 51 Antidumping-Maßnahmen nicht fortgesetzt. Profitiert haben davon insbesondere chinesische Importe. Im Gegenzug führten allein 2020 zwölf Länder 27 Schutzmaßnahmen gegen brasilianische Produkte ein. CNI schätzt die Exporteinbußen auf insgesamt 856 Milliarden US$. Drei Viertel der Summe basiert auf Restriktionen der USA.

Länderimage belastet die internationale Kooperation

Für Brasiliens Industrieverband CNI hat die Ratifizierung des EU-Mercosur-Abkommens in der internationalen Agenda die höchste Priorität. An zweiter Stelle folgt die Anerkennung Brasiliens als Mitgliedsstaat der OECD. Das Land erfüllt mittlerweile 40 Prozent der Anforderungen und ist somit im Beitrittsprozess deutlich weiter als alle anderen Kandidaten, darunter Argentinien. Im Bereich Umweltschutz muss Brasilien noch besonders viele Maßnahmen umsetzen. 

Unter Präsident Jair Bolsonaro verschlechterte sich das bereits angeschlagene Länderimage rapide. Sowohl das EU-Mercosur-Abkommen als auch die OECD-Vollmitgliedschaft kommen kaum voran. Dabei gab Bolsonaro 2019 Brasiliens Status als Entwicklungsland und die damit verbundenen WTO-Privilegien auf, um die Unterstützung der USA für den OECD-Beitritt zu sichern.

Aufgrund anstehender Wahlen in Europa und in Brasilien ist vor 2023 nicht mit einer Ratifizierung des EU-Mercosur-Abkommens zu rechnen. Die Ursache sehen die Südamerikaner im europäischen Protektionismus, dem die Umweltpolitik der Bolsonaro-Regierung ein einwandfreies Argument liefere, um die Ratifizierung zu blockieren. Ob die politische Konstellation in den Handelsblöcken im Jahr 2023 eine Ratifizierung ermöglichen wird, ist ungewiss.

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