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Branchen | Tschechische Republik | Automobilindustrie

Tschechien im Umbruch zu umweltfreundlichen Antrieben

Die Elektromobilität beginnt sich real zu entwickeln, Projekte zur Wasserstoffmobilität werden entworfen. Neue EU-Gelder sollen beides vorantreiben. Doch reicht das aus?

Von Miriam Neubert | Prag

Kraftfahrzeugproduzenten und ihre Zulieferer leisten fast zehn Prozent der tschechischen Bruttowertschöpfung. Von der Zukunftsfähigkeit der Branche hängt die hochindustrialisierte Volkswirtschaft ab. Durch die schrittweise Umstellung der Hersteller auf emissionsarme Antriebe müssen sich viele Zulieferunternehmen in dem Markt eine neue Rolle suchen.

Daten aus dem Vorcoronajahr 2019, in dem die Kraftfahrzeugindustrie ihre bislang besten Zahlen vorlegte, zeigen: Von 1,26 Billionen Tschechischen Kronen, die sie umsetzte (rund 49,2 Milliarden Euro), entfiel mehr als die Hälfte auf die Herstellung von Verbrennungsmotoren, Teilen und Zubehör. Und das ist allein die Kraftfahrzeugindustrie im engeren Sinne der Kategorie NACE 29. In der Datenbank der Kfz-Zulieferer, die Tschechiens Investitionsförderagentur CzechInvest führt, sind über 900 Unternehmen registriert, darunter viele, die sich auf konventionelle Antriebe konzentrieren, wie bestimmte Motorkomponenten, Auspuffsysteme oder Kupplungen. Unter Elektromobilität fallen erst sehr wenige Firmen.

Wasserstoff wird sich zuerst im Verkehr lohnen

Bei der Diversifizierung und als Chance für innovative Unternehmen kommt neben der Elektromobilität auch der Energieträger Wasserstoff ins Spiel. Die Wasserstoffstrategie der Tschechischen Republik sieht die Vorteile einer möglichen Produktion von Wasserstofffahrzeugen und Komponenten für die Transformation der Kraftfahrzeugindustrie. Sie geht davon aus, dass Wasserstoff sich zuerst im Verkehr als wettbewerbsfähige Alternative zu fossilen Treibstoffen rechnen wird, was etwa 2027 eintreten dürfte. Früher kann es dort der Fall sein, wo Wasserstoff in der Nähe seiner Produktionsstätte getankt werden kann, sodass die Transportkosten entfallen.

Um Produktion und Nachfrage möglichst effizient aufeinander abzustimmen, wird bei der Entwicklung des Wasserstoffverkehrs zunächst eine Unterstützung in den Segmenten Ferngüterverkehr, Eisenbahn und städtische Busverkehre angestrebt. Potenzial sieht die Strategie auch im individuellen Personentransport, bei innerbetrieblichen Transporten und kommunalen Fahrzeugen.

Als größtes Hindernis für eine rasche Durchsetzung der Wasserstoffmobilität nennt die Strategie die hohen Kosten für Brennstoffzellenfahrzeuge und die fehlende Infrastruktur. Erste Wasserstofftankstellen sollen Ende 2021 eröffnen. Die zum polnischen Mineralölkonzern PKN Orlen gehörende Gruppe Orlen Unipetrol errichtet mithilfe von Fördermitteln der Europäischen Union (EU) entsprechende Anlagen in sechs tschechischen Städten und will die ersten in Prag und Litvínov noch 2021 in Betrieb nehmen. Ihr Plan ist, eine Wertschöpfungskette in Mitteleuropa aufzubauen.

EU-Fördermittel finanzieren saubere Autos und Ladestationen

Obwohl die Elektromobilität einen Schritt weiter ist, ist auch sie wegen dieser beiden Faktoren – Kosten und Infrastruktur – bei tschechischen Unternehmen und Bürgern noch nicht richtig angekommen. Hier sollen frische Mittel aus verschiedenen EU-Fonds Anreize setzen. Als erstes dürfte der Nationale Aufbauplan Gelder für Projekte zur Elektro- und Wasserstoffmobilität bereitstellen. Er speist sich aus der Aufbau- und Resilienzfazilität des Programms NextGenerationEU. Nach dem grünen Licht der Europäischen Kommission erhielt Tschechien für seinen Plan Anfang September auch die Zustimmung der EU-Finanzminister. Das setzte die erste Tranche frei.

Für die Entwicklung einer sauberen Mobilität sind im Aufbauplan bis 2026 rund 192 Millionen Euro eingeplant. Da die Mittel an Reformen gebunden sind, hat eine Novelle der öffentlichen Beschaffungsregeln ergänzend Quoten für emissionsfreie Fahrzeuge eingeführt. Mit den Aufbaugeldern will Tschechien unter anderem den Kauf von mehr als 5.000 sauberen Fahrzeugen und den Bau von 4.500 elektrischen Ladestationen unterstützen. Neben der öffentlichen Hand kommen Unternehmen zum Zuge. Speziell Ladevorrichtungen und dazugehörige Ausrüstungen unterstützt der Plan auch über das neue Gebäudeenergieeffizienz-Programm Nová zelená úsporám.

Die nationalen Ziele sind ehrgeizig: Bis 2030 will Tschechien 220.000 bis 300.000 Elektrofahrzeuge auf seinen Straßen haben (darunter 800 bis 1.200 Elektrobusse). Hinzu kommen 40.000 bis 50.000 Wasserstofffahrzeuge (800 bis 900 Busse). Um das Ruder in diese Richtung zu lenken, sollen weitere 625 Millionen Euro an Mitteln aus dem Kohäsionsfonds für den Aufbau von Ladestationen und den Einkauf von Elektrofahrzeugen durch Unternehmen und den öffentlichen Nahverkehr eingesetzt werden. Das ist nicht neu. Schon bisher basierten Tschechiens Subventionen alternativer Antriebe auf EU-Fördermitteln und richteten sich an Firmen, Kommunen und Betreiber des öffentlichen Nahverkehrs.

Entwicklung der Neuzulassungen elektrischer Pkw in der Tschechischen Republik (Stückzahl; Veränderung in Prozent)

Kategorie

2020

Veränderung 2020/19

2021*)

Veränderung 2021/20*)

Pkw insgesamt, davon

202.971

-18,8

147.659

12,4

   batterieelektrische Pkw (BEV)

3.262

331,5

1.604

8,6

   Plug-in-Hybride (PHEV)

1.978

320,85

2.708

174

*) Jeweils Januar bis August Quelle: Tschechischer Verband der Autoimporteure SDA

Systematische Hilfen erwünscht

Die Autohersteller wünschen sich mehr als das, um den Markt zu zünden. Der Verband der Autoimporteure SDA hat die Regierung im Sommer aufgefordert, den ökologischen Verkehr aktiver zu unterstützen. Tschechien liege bei der Anmeldung emissionsarmer Autos und mit einem im Schnitt über 15 Jahre alten Fahrzeugbestand weit hinter anderen Ländern. Obwohl die Registrierung von neuen Elektrowagen zunimmt, betrug ihr Anteil bei den Neuanmeldungen 2020 erst 2,6 Prozent. Im EU-Durchschnitt sind es SDA zufolge 11,4 Prozent.

Der Verband schlägt vor, den Kauf von neuen emissionsarmen Fahrzeugen zwei Jahre lang zu subventionieren - mit 200.000 Kronen (nicht ganz 8.000 Euro) für batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) und Wasserstoffautos sowie der Hälfte für Plug-in-Hybride (PHEV). Auch soll die steuerliche Belastung für Arbeitnehmer gesenkt werden, die im Fall der privaten Nutzung eines elektrischen Dienstwagens höher ist, als bei einem Diesel oder Benzin tankenden. Bestehende finanzielle Vorteile (kostenloses Parken in Städten wie Prag oder Ostrava, Befreiung von der Maut, Nachlass bei der Straßensteuer) reichten als Motivation weder für Privat-, noch für Firmenkunden aus.

Aktuelle Investitionsprojekte der Kfz-Zulieferindustrie in der Tschechischen Republik (Auswahl; Investitionssumme in Millionen Euro) *)

Vorhaben

Investitionssumme (in Mio. Euro) 

Projektstand

Anmerkungen

Continental; Erweiterung um ein Mehrzweckobjekt und eine Produktionshalle für Displays in Brandýs nad Labem

k.A.

Bau 2021 begonnen; Inbetriebnahme Anfang 2022

Continental

DGS Druckguss Systeme; neues Werk zur Produktion von Kfz-Metallteilen in Frýdlant

59

Bau 2021 begonnen; Inbetriebnahme 2022

DGS Druckguss Systeme

ZF; Erweiterung um mehrere Lager- bzw. Produktionshallen zur Produktion von Kunststoffteilen für die Autoindustrie in Hlavenec

k.A.

Baubeginn 2021, Fertigstellung 2025 geplant; keine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich

ZF Passive Safety Czech

Valeo; Werk zur Produktion spezieller Fahrzeugkameras für autonomes Fahren in Rakovník

22

Betrieb ab Mai 2022 geplant

Valeo

Faurecia; Anbau und Erweiterung der Produktion von Kunststoffteilen für die Autoindustrie in Pardubice

k.A.

Baubeginn 2021/2022 geplant

Faurecia Pardubice

Wilson - MTPark; Halle für die Produktion von Informations-, Kommunikations- und anderen Elektronikartikeln für die Automobilindustrie in Touškov

k.A.

Umweltverträglichkeitsprüfung; Baubeginn 2022, Betrieb 2023 geplant


Wilson Construction Group

*) Umrechnung anhand des Wechselkurses 1 Euro = 25,565 Kč (Tschechische Nationalbank, 30.8.2021)Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest; Pressemeldungen; ČIA-News; ČTK

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