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Wirtschaftsausblick | Ungarn

Ungarns Wirtschaft wächst leicht

Die Rezession scheint überwunden, die Inflation geht zurück. Für 2024 verspicht die Auszahlung von EU-Geldern weitere wirtschaftliche Erholung. 

Von Kirsten Grieß | Budapest

Top-Thema: EU gibt 11 Milliarden Euro frei

Die Frage, wann und wie viel EU-Mittel Ungarn erhält, war 2023 politisches Hauptthema. Insgesamt stehen Ungarn im aktuellen EU-Haushalt 22 Milliarden Euro aus dem Kohäsionsfonds zu. Dazu kommen aus dem Wiederaufbaufonds Zuschüsse in Höhe von 5,8 Milliarden Euro, weitere 700 Millionen Euro aus dem REPowerEU-Plan und 3,9 Milliarden Euro an Darlehen. Ende 2022 stoppte Brüssel die Auszahlung aufgrund von Verstößen gegen europäische Rechtsstaatsprinzipien. Die Europäische Kommission fordert außerdem ein Reformpaket – mit Blick auf Menschenrechte, die Transparenz von öffentlichen Vergabeverfahren und die Wissenschaftsfreiheit.

Ende November 2023 gab es das erste positive Signal aus Brüssel: Die Kommission bewilligte den angepassten Maßnahmenplan zum Wiederaufbaufonds und machte den Weg frei für die Auszahlung von knapp 1 Milliarde Euro. Am Vorabend des EU-Gipfels Mitte Dezember kam dann die Nachricht, dass aufgrund der im Frühsommer beschlossenen Justizreform weitere 10 Milliarden Euro aus dem Kohäsionsfonds ausgezahlt werden können.

Ungarn braucht das Geld wegen der angespannten Haushaltslage dringend. Im Oktober musste das Finanzministerium das Defizitziel für das Gesamtjahr 2023  von 3,9 auf 5,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anheben. Wegen fehlender EU-Mittel wurden öffentliche Investitionen und Förderprogramme auf Eis gelegt oder ganz gestrichen. Staatliche Subventionen für private Energiekosten wurden notdürftig durch sektorale Gewinnsteuern gegenfinanziert. Die Freigabe der 11 Milliarden Euro kann nun die wirtschaftliche Erholung unterstützen.

Wirtschaftsentwicklung: Trendwende zum Jahresende

Nach vier Quartalen in der Rezession vermeldete Ungarns nationales Statistikamt positive Konjunkturzahlen. Auf Quartalsbasis wuchs das reale BIP im 3. Quartal 2023 um 0,9 Prozent. Für das Gesamtjahr prognostiziert die Europäische Kommission zwar einen Rückgang um 0,7 Prozent, das Plus im Herbst lässt aber auf eine Trendwende hoffen. Eine weitere wirtschaftliche Erholung hängt nun von zwei Faktoren ab: Die Inflation muss weiter eingedämmt und der private Konsum angekurbelt werden.

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Schwacher Konsum bringt Haushalt in Schieflage

Ungarn erlebte Mitte 2023 monatliche Preissteigerungen von über 22 Prozent. Mit 9,9 Prozent lag die Teuerungsrate im Oktober erstmalig wieder im einstelligen Bereich, bis Ende 2024 soll der Wert auf 5 Prozent zurückgehen. Nach starken Reallohnrückgängen wird der gesetzliche Mindestlohn im Dezember um 15 Prozent erhöht. 

Die Einkommensentwicklung könnte zur Jahreswende wichtige Impulse für den privaten Konsum liefern. Das ungünstige Zinsumfeld von über 10 Prozent bremst indes die Investitionen der Haushalte. Auch Unternehmen schrauben ihre Anlageinvestitionen stark zurück. Für den ungarischen Staatshaushalt bedeutet das: Die Lage bleibt angespannt. Ein Großteil der Einnahmen speist sich aus Verbrauchssteuern. Durch die Zahlungen aus Brüssel wird die Regierung wieder handlungsfähiger.

Die Produktionsleistung der ungarischen Industrie war zuletzt enttäuschend. Im September 2023 lag die Industrieproduktion laut staatlichem Statistikamt 5,8 Prozent unter dem Wert des Vorjahresmonats. Betroffen waren so gut wie alle Industriezweige mit Ausnahme der Automobilindustrie und der Elektroindustrie. Die Baubranche leidet unter den fehlenden öffentlichen und privaten Investitionen und schrumpfte ebenfalls deutlich. Positive Zahlen erwirtschaftete der Agrarsektor.

Keine Lösung des Arbeitskräftemangels in Sicht

Ungarns Arbeitslosenquote lag im Oktober bei 4,1 Prozent und damit etwas über dem Vorjahresdurchschnitt von 3,6 Prozent. Die Achillesferse der ungarischen Wirtschaft bleibt der Fachkräftemangel, vor allem in der Industrie. Budapest will dem Problem durch Mobilisierung bislang schlummernder Arbeitskräftepotenziale begegnen. Gleichzeitig sieht sich die Regierung gezwungen, verstärkt auf Arbeitsmigration zu setzen. Es gibt bereits vereinfachte Verfahren für Nicht-EU-Nachbarn und Drittländer in Südostasien. In der Öffentlichkeit kommt das aber nicht immer gut an: Arbeitsmigration wird in Ungarn kontrovers diskutiert.

Deutsche Perspektive: Wirtschaftspolitik verunsichert Investoren

Unangefochten bleibt die Rolle Deutschlands als wichtigster Handelspartner. Ungarn hat sich erfolgreich als bedeutender Hub für internationale Automobilhersteller und -zulieferer etabliert. Inzwischen verschieben sich die Großinvestitionen in die Elektromobilität und die Batterieproduktion, für 2024 kündigen sich weitere neue Projekte an. Die ungarische Regierung fördert die Ansiedlungen großzügig. Investoren kommen seit einigen Jahren vermehrt aus Südkorea, China und Japan. Laut staatlicher Investitionsagentur HIPA war Südkorea 2022 der größte Auslandsinvestor.

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Getrübte Stimmung unter deutschen Unternehmen

Niedrige Körperschaftsteuern und Arbeitskosten deutlich unter EU-Durchschnitt machen den Produktionsstandort wettbewerbsfähig. Negativ schlägt zu Buche, dass die Regierung immer häufiger in unternehmerische Freiheiten eingreift. Zuletzt trafen Sondersteuern und Preisdeckel die Baubranche und den Einzelhandel. Laut Herbstumfrage der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer verschlechterten sich die Geschäftserwartungen der befragten Unternehmen im letzten Halbjahr deutlich.

Nach einem sehr schwierigen Jahr mit Rezession, hoher Inflation und einem angespannten Haushalt verspricht 2024 eine Wiederbelebung der Konjunktur. Dennoch bleiben Risiken: Hinsichtlich des Fachkräftemangels, der Energiekosten und der Nachfrage – im Inland und vor allem in wichtigen Absatzmärkten Ungarns.

Barbara Zollmann Geschäftsführerin, Deutsch-Ungarische Industrie- und Handelskammer, Budapest

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Zukunftsbranchen bergen Chancen

Die Lebensmittelverarbeitung und die Logistik zählen zu den Zukunftsbranchen in Ungarn. Das erklärte im November der Minister für Bau und Verkehr, János Lázár. Er kündigte gezielte Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen beider Branchen an. Für den Schienenbau plane die Regierung Investitionen von bis zu 10 Milliarden Euro. Klar ist: Ohne EU-Gelder wird sich das kaum umsetzen lassen. Der Weg für erste Projekte ist nun frei. Das bietet auch Chancen für deutsche Unternehmen.

Weitere Informationen zu Ungarn finden Sie auf der GTAI-Länderseite.

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