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Big Pharma muss sich in den USA auf sinkende Gewinne einstellen

Trotz Eingriffs der US-Regierung in die Preisgestaltung bei rezeptpflichtigen Arzneien bleibt der Markt lukrativ. Großfirmen mit starkem USA-Fokus könnten aber Nachteile erleiden.

Von Heiko Steinacher | San Francisco

Bayer will 2023 bis zu 1 Milliarde US-Dollar (US$) für Pharmaforschung in den USA ausgeben. Arzneimittel, die das Unternehmen eigenständig entwickelt, will es dort künftig selbst verkaufen, statt wie bisher in Kooperation mit US-Partnern. Seinen US-Umsatz erhofft der Pharma- und Agrarriese dadurch bis 2030 zu verdoppeln.

Auch der Novartis-Konzern richtet Neuentwicklungen stärker auf die Anforderungen des US-Markts aus. Die Schweizer wollen zudem mehr US-Patienten in klinische Studien aufnehmen.

Diese Ankündigungen fallen in eine Zeit, in der die US-Regierung bei der Preisgestaltung rezeptpflichtiger Arzneien eingreift. Ein Schritt, den die US-Pharmaindustrie zuvor immer abwehren konnte - mit dem Argument, dass bei zu geringen Einnahmen die Kosten für die Entwicklung neuer Medikamente nicht mehr gedeckt seien.

Neuheit in den USA: Der Staat interveniert bei der Preisgestaltung von Arzneien

Hintergrund sind außerordentlich hohe Arzneimittelpreise. Die Ausgaben für verschreibungspflichtige Medikamente haben sich in den USA seit 2000 verdreifacht. Die Pharmaindustrie steht dafür in der Kritik, unter anderem wegen der hohen Preise für Diabetesmittel. Anfang März 2023 kündigte der US-Pharmakonzern Eli Lilly an, die Preise für häufig verschriebene Insulinformen 2023 in den USA um 70 Prozent zu senken. 

Bisher gab es in den USA keine Preisregulierung. Mit dem Inflation Reduction Act of 2022 (IRA) setzt die US-Regierung nun aber auf einen Wandel im Gesundheitssystem. So müssen Preissteigerungen bei Arzneien künftig unterhalb der Inflationsrate liegen und Senioren für apothekenpflichtige Medikamente weniger zuzahlen als bisher. Zudem wird die US-Regierung ab 2024 über die Preise mehrerer Arzneimittel verhandeln, die für Medicare, die Pflichtversicherung für Rentenbezieher, besonders hohe Ausgaben verursachen. Die neu verhandelten Preise sollen dann ab 2026 gelten.

Laut der Ratingagentur Moody's könnte die Kreditwürdigkeit der Pharmaindustrie darunter leiden. Besonders stark auf die USA ausgerichtete Unternehmen wie Amgen, AbbVie und Gilead trügen ein höheres Risiko. Auch könnten sich durch das Gesetz Fusionen und Übernahmen in der Pharmabranche beschleunigen.

Zudem verlieren viele Arzneimittel in den nächsten Jahren ihren Patentschutz, darunter auch Biopharmazeutika, also mit Mitteln der Biotechnologie und gentechnisch veränderten Organismen hergestellte Arzneistoffe. Der US-Markt für Biosimilars, das sind Nachahmerpräparate von Biopharmazeutika, soll bis 2025 pro Jahr im Schnitt um etwa ein Viertel wachsen. So wird der Blockbuster Humira (Rheumawirkstoff Adalimumab) 2023 in den USA erstmalig mit mehreren Biosimilars konkurrieren.

Auf die USA entfällt rund die Hälfte des weltweiten Pharmaumsatzes

Dennoch ist der US-Pharmamarkt weiterhin sehr lukrativ. Laut dem IQVIA-Institut wurden dort 2022 Arzneimittel im Wert von 605 Milliarden US$ umgesetzt. Im Jahr davor waren es 556 Milliarden US$. Das entspricht rund der Hälfte des weltweiten Pharmaumsatzes.

Das Marktwachstum wurde 2022 vor allem von Impfungen getragen. Künftiger treibender Faktor dürfte vor allem die alternde Bevölkerung sein. Zumal der Oberste Gerichtshof der USA entschieden hat, den bis heute umstrittenen Patient Protection and Affordable Care Act ("Obamacare") aufrechtzuerhalten, sodass sich versicherungswillige Menschen auch teurere Medikamente leisten können. Allerdings dürften durch den IRA vor allem die Preise und damit die Margen einer Reihe von Arzneimitteln sinken.

Big Data und KI werden für die Pharmaforschung immer wichtiger

Auch Life-Science-Unternehmen treffen auf ein erschwertes Marktumfeld. Trotz eines starken Jahresbeginns flossen in den USA laut Cushman & Wakefield 2022 nur knapp 36 Milliarden US$ Wagniskapital in diesen Sektor, das waren 28 Prozent weniger als 2021. Bereits im Zuge der allgemeinen Börsenschwäche sind auch Finanzierungen für Tech-Start-ups schwieriger geworden. Zudem brach Mitte März 2023 dann noch die SVB Financial zusammen, die Muttergesellschaft der Silicon Valley Bank (SVB), die quasi die Hausbank vieler Tech-Start-ups aus dem Silicon Valley war.

Die Biowissenschaften bieten große Potenziale, zum Beispiel für künstliche Intelligenz (KI). So hat die US-Regulierungsbehörde FDA bereits über 500 KI-gestützte Medizinprodukte zugelassen.

Die Analyse riesiger Datenmengen mittels KI bildet auch die Grundlage für eine personalisierte Medizin. Viel Bewegung gibt es daher auch bei neuartigen Zelltherapien: Nachdem die FDA in dem Bereich in den letzten Jahren einige Produkte neu zugelassen hatte, stiegen die Umsätze in dem Segment von 2,1 Milliarden US$ (2017) auf rund 7,7 Milliarden US$ (2022). Für 2028 sagt das Marktforschungsunternehmen IBISWorld ein anhaltendes, wenn auch etwas geringeres Wachstum auf 9,2 Milliarden US$ voraus. Im Gegensatz zu den in Deutschland dafür üblichen sechs bis zwölf Monaten werden klinische Studien bei Zell- und Gentherapien in den USA in der Regel schneller bewilligt. Laut einem Handelsblatt-Bericht, der sich auf Angaben der Strategieberatung Oliver Wyman beruft, hat die Zahl solcher Studien in den USA in den letzten zehn Jahren um 36 Prozent zugenommen.

In der Arzneimittelforschung rückt Quantencomputing stärker in den Mittelpunkt. Das von Wissenschaftlern aus Harvard und vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) gegründete Start-up-QuEra Computing hat einen Quantenprozessor mit 256 Qubits (Quantenbits, kleinste Informationseinheiten eines Quantenrechners) entwickelt. IBM will 2023 die 1.000-Qubit-Marke überschreiten, Google hat bis 2029 eine Maschine mit 1 Million Qubits angekündigt. Die Pharmaindustrie wird in den nächsten Jahren vermutlich Milliardensummen in Forschung und Entwicklung für Quantencomputer stecken. Dabei kooperieren Unternehmen auch immer stärker mit Hochschulen: Accenture, BASF, Eli Lilly, Hewlett-Packard, IBM Quantum, Intel und weitere Firmen haben sich dazu bereits mit staatlichen Stellen und Forschenden der Universitäten Indiana, Purdue und Notre Dame zusammengetan.

US-Import ausgewählter medizinischer und pharmazeutischer Erzeugnisse (in Millionen US-Dollar)

Warengruppe (SITC-Position)

2018

2019

2020

2021

2022

Glykoside; Drüsen und andere Organe und ihre Auszüge; Antisera, Vakzine und ähnliche Erzeugnisse (541.6)

37.479

43.508

53.176

58.898

55.899

     davon aus Deutschland

6.193

8.617

12.281

12.791

8.470

Arzneiwaren, Hormone oder andere Erzeugnisse der Untergruppe 541.5, jedoch keine Antibiotika enthaltend (542.2)

10.612

12.147

12.635

13.909

13.913

     davon aus Deutschland

1.949

1.672

1.392

1.347

1.149

Arzneiwaren, Alkaloide oder ihre Derivate, jedoch weder Hormone noch andere Produkte der Untergruppe 541.5 oder Antibiotika enthaltend (542.3)

1.716

1.674

1.569

1.284

1.302

     davon aus Deutschland

1.245

1.179

1.084

704

681

Arzneiwaren, a.n.g. (542.9)

57.211

61.401

63.036

65.968

60.423

     davon aus Deutschland

5.257

5.101

4.804

6.597

6.025

Quelle: U.S. International Trade Commission 2023

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