Der Investitionsbedarf im Gesundheitssektor ist gewaltig. Digital Health soll dabei helfen, die bestehende Versorgungslücke schneller zu schließen. Auch Start-ups engagieren sich.
Indien zählt zu den am schnellsten wachsenden Gesundheitsmärkten der Welt. Die Indian Brand Equity Foundation beziffert das Marktvolumen für 2017 auf 160 Milliarden US-Dollar (US$). Bis 2022 soll es sich auf 370 Milliarden US$ mehr als verdoppeln. Wachstumstreiber sind zum einen die steigenden öffentlichen Ausgaben im Gesundheitswesen. Die Regierung will bis 2025 den Anteil der staatlichen Ausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von derzeit 1,4 auf 2,5 Prozent steigern. Im Finanzjahr 2016/17 (1. April bis 31. März) lagen sie bei umgerechnet 23 Milliarden US$ und machen damit nur knapp ein Drittel der Gesamtausgaben aus.
Die privaten Gesundheitsausgaben hatten 2016/17 mit rund 50 Milliarden US$ einen Anteil von 70 Prozent, so die Angaben des National Health Accounts (NHA). Die Out-of-Pocket-Spendings dürften in den nächsten Jahren überdurchschnittlich stark steigen, da sich immer mehr Inderinnen und Inder private Gesundheitsdienstleistungen leisten können und das Angebot in diesem Segment sehr stark wächst.
Marktpotenzial für Digital Health könnte bis 2025 auf 35 Milliarden US$ steigen
Von der positiven Entwicklung im Gesundheitsmarkt profitiert auch Digital Health. Das Marktvolumen für entsprechende Produkte und Dienste soll bis 2025 auf umgerechnet 7 Milliarden bis 11 Milliarden US$ zulegen, so die Prognose von Netscribes. Aktuell liegt es bei 1,5 Milliarden US$. Der Marktforscher RedSeer hat errechnet, dass in den nächsten fünf Jahren zwischen 40 Millionen und 70 Millionen Haushalte digitale Gesundheitsdienste in Anspruch nehmen werden. Bereits heute sind 60 Millionen Haushalte E-Health-Ready, verfügen also über die technischen und finanziellen Möglichkeiten, Digital-Health-Dienste und -Produkte zu nutzen. Bis 2025 soll diese Zahl auf 140 Millionen steigen, so RedSeer. Dies würde ein Marktpotenzial von jährlich 35 Milliarden US$ eröffnen.
Für die positiven Wachstumsaussichten sprechen nach Einschätzung des Marktforschers zum einen die enormen Defizite in der Gesundheitsversorgung - insbesondere außerhalb der Ballungszentren. Hier können Digital-Health-Lösungen wie Telemedizin und Mobile-Health-Applikationen Lücken bei der medizinischen Versorgung der Landbevölkerung schließen. Zum anderen verfügt Indien bereits über ein IT-Ökosystem, an das E-Health technisch andocken kann.
Zahlreiche Krankenhausprojekte in der Pipeline
Indiens Gesundheitsversorgung ist ein Zweiklassensystem. Staatliche Krankenhäuser gelten als schlecht ausgestattet, und ihre Behandlungsqualität genießt oft keinen guten Ruf. In vielen privaten Kliniken hingegen arbeiten hoch qualifizierte Ärzte, und die technische Ausstattung befindet sich auf internationalem Spitzenniveau. Ungefähr 70 Prozent der Krankenhäuser sind in privater Hand. Auch wenn sich die Gesundheitsversorgung in der Breite in den letzten Jahren verbessert hat - mit 0,8 Ärzten und 0,5 Klinikbetten je tausend Einwohnern belegt der Subkontinent im globalen Vergleich weiterhin hintere Plätze.
Zwar schreitet der Ausbau der Krankenhausinfrastruktur voran, hinkt aber weit hinter dem steigenden Bedarf infolge der rasch wachsenden Bevölkerung, einer demografischen Entwicklung hin zu mehr alten Menschen sowie der Zunahme von Zivilisationskrankheiten hinterher. Laut Invest India befinden sich zurzeit allein im öffentlichen Sektor 90 Kliniken und Gesundheitseinrichtungen mit einem Investitionsvolumen von 900 Millionen US$ in der Projektpipeline. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Investitionsvorhaben der privaten Klinikketten Apollo Hospitals, Fortis Healthcare und MaxHealth.
Die Defizite im Gesundheitssektor sind im Zuge der Coronakrise deutlich geworden. Sowohl bei den Krankenhauskapazitäten als auch bei der medizintechnischen Ausstattung ist Indien sehr schlecht auf eine Pandemie vorbereitet, so die Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation. Die indische Regierung hat bereits angekündigt, ihre Anstrengungen im Bereich der Seuchenbekämpfung zu intensivieren und die öffentlichen Investitionen in das Gesundheitssystem zu steigern.
Zusätzlich 3 Millionen Betten bis 2025 benötigt
Indien will die Zahl der Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner bis 2025 von 0,5 auf 3 erhöhen. Ernst and Young gibt den Bedarf an zusätzlichen Betten bis dahin mit 3 Millionen an. Um dieses Ziel zu erreichen, will Indien in den kommenden fünf Jahren insgesamt 200 Milliarden US$ in die staatliche Klinikinfrastruktur investieren. Damit sollen unter anderem landesweit 150.000 Gesundheitseinrichtungen zur Primärversorgung sowie 200 Spezialkliniken eröffnet werden.
Die geplanten Gesundheitszentren dienen vor allem zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung außerhalb der Ballungszentren. Um auch Patienten in abgelegenen Regionen zu erreichen, sollen sie mit Lösungen zur Telediagnostik ausgestattet werden. Im öffentlichen Gesundheitssektor gibt es im Bereich Telemedizin noch Potenzial. Bislang sind erst 368 Einrichtungen, der Großteil davon Kliniken im ländlichen Raum, über das Telemedicine-Network der indischen Raumfahrtbehörde ISRO miteinander vernetzt. Zudem gibt es laut Telemedicine Society of India eine Reihe von Initiativen der Bundesstaaten - unter anderem in Uttar Pradesh, Madhya Pradesh, Odisha, Delhi und Rajasthan.
Telemedizinangebot wird ausgebaut
Bei den privaten Gesundheitsdienstleistern ist Apollo TeleHealth in diesem Bereich führend. Das Unternehmen betreibt indienweit 700 Telemedizinstellen - zum Teil als Öffentlich-private Partnerschaft - und bietet dort eine breite Palette von medizinischen Diensten an. Eigenen Angaben zufolge wurden 2019 insgesamt 700.000 ärztliche Beratungen durchgeführt.
Sowohl im privaten als auch im öffentlichen Gesundheitssektor weist das Segment Mobile Health (M-Health) das größte Wachstumspotenzial auf, so die Einschätzung von Netscribes. Dessen Marktanteil soll bis 2024 auf 41 Prozent zulegen. Der Großteil des Umsatzes entfällt dabei auf Mobile-Health-Applikationen und Wearables. Laut International Data Corporation ist Indien bereits heute einer der größten Absatzmärkte für mobile Fitness- und Gesundheitstracker weltweit.
Versicherungen statten Kunden mit Wearables aus
Die Nachfrage nach den Geräten wird verstärkt von Akteuren im Gesundheitssektor vorangetrieben. Die beiden privaten Krankenversicherer Kotak Mahindra und Max Bupa Health Insurance kooperieren beispielsweise mit dem US-Smart-Tech-Start-up GOQii, um ihre Kunden mit Wearables auszurüsten.
Das Marktpotenzial für elektronische Krankenakten schätzt Netscribes ebenfalls als sehr positiv ein. Zurzeit macht dieses Segment knapp ein Fünftel des Digital-Health-Umsatzes aus. Da es noch keine einheitlichen Standards für Electronic Health Records gibt, haben einige staatliche Krankenhäuser wie das Universitätsklinikum AIIMS und private Anbieter wie Fortis und Apollo Insellösungen entwickelt. Hier dürfte die Nachfrage erst richtig in Schwung kommen, wenn von der Regierung Richtlinien zur Erhebung und Verarbeitung von Patientendaten vorgegeben werden.
Von Boris Alex
|
New Delhi