Die medizinischen Einrichtungen sind uneinheitlich mit digitaler Technologie ausgestattet und insgesamt unterversorgt. Die Engpässe während der Coronakrise könnten ein Umdenken herbeiführen.
Entlastung für die Krankenhäuser
Im Verlauf der Coronakrise ist Italiens Gesundheitssystem an seine Grenzen gestoßen. Die Krankenhäuser waren überfüllt, Covid-19-Patienten wurden nicht von anderen Patienten getrennt, viele Menschen trauten sich gar nicht mehr zum Arzt.
Die Zeit nach der Pandemie bietet nach Einschätzung von Experten die Chance, eine konsequente Strategie für die Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft aufzulegen. Ein erster Schritt sind die Tracing- und Lokalisierungs-Apps sowie Chatbots für Patienten, die mehrheitlich auf Initiative der Regionen auf den Weg gebracht worden sind.
Der Absatz für Digital Health lag nach einer Untersuchung des Politecnico Mailand im Jahr 2018 bei 1,39 Milliarden Euro, ein Plus von 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Jahr 2017 hatte der Zuwachs lediglich 2 Prozent betragen. Von 2018 auf 2019 ist der Umsatz jüngsten Prognosen zufolge um weniger als 7 Prozent gewachsen. Für 2020 ist im Zug der Coronakrise damit zu rechnen, dass Mittel in akutere Investitionsprojekte und weniger in Innovationen fließen. Für die kommenden Jahre ist hingegen mit steigenden Investitionen zu rechnen.
Weit verzweigte und fragmentierte Versorgungslandschaft
An Praxen, inklusive spezialisierten, verfügte Italien nach aktuellsten offiziellen Zahlen des Gesundheitsministeriums von 2017 über 3.514 öffentliche und 5.353 private Einrichtungen.
Hinzu kommen 3.086 Gesundheitsresidenzen, meist Alten- und Behindertenheime, die aber auch eine medizinische Funktion haben. In die Seniorenheime sind beim Ausbruch der Corona-Pandemie viele Kranke zur Behandlung geschickt worden und haben deren Einwohner infiziert.
Schließlich gibt es 4.086 semiresidentielle Gesundheitseinrichtungen, 874 Sanatorien/Reha-Kliniken und 5.586 andere territoriale - also lokale, über das Land verteilte - Gesundheitseinrichtungen, wie Dialysezentren, Thermalbäder oder psychologische Praxen.
Rund 1.000 Krankenhäuser im Land
Insgesamt verfügte Italien 2017 über rund 1.000 Krankenhäuser, davon waren 518 öffentlich beziehungsweise in das öffentliche Gesundheitssystem integriert. Die Zahl der privaten Krankenhäuser (Case di Cura) summierte sich auf 482.
Insgesamt 328 und damit die meisten der öffentlichen Krankenhäuser wurden im Jahr 2017 von den lokalen/kommunalen Gesundheitsorganisationen (Aziende sanitarie locali, ASL, ASST) verwaltet. Hinzu kommen 54 Häuser, die von staatlichen Krankenhausfirmen (Aziende ospedalieri, AO), sowie neun Häuser, die von privaten Krankenhausfirmen, die in das öffentliche Gesundheitssystem integriert waren, verwaltet werden. Weitere 16 Kliniken sind in Universitäten integriert. Hinzu kommen zwei private universitäre Polikliniken und 63 Häuser, die im Besitz wissenschaftlicher Träger waren. Weitere zwei Häuser gehörten zu Forschungsinstituten.
Komplettiert wird die Krankenhauslandschaft von 17 einfacheren staatlichen Hospitälern (Instituti presidi della ASL) im Besitz der ASL sowie von 27 als private klassifiziert/assimiliert Häusern der katholischen Kirche oder religiöser Orden, die also privat sind, aber denselben Standard wie die öffentlichen Krankenhäuser haben.
Uneinheitliche IT-Ausstattung/-Infrastruktur
Laut Politecnico Mailand fließt ein Großteil der öffentlichen Investitionen für die digitale Gesundheit in IT-Systeme der Abteilungen und in die elektronische Klinikakte (Cartella Clinica Elettronica). Die befragten Gesundheitsunternehmen setzen IT-Support für etwa 60 Prozent ihrer Aktivitäten ein, besonders für Bildgebung (88 Prozent) und Laboraktivitäten (86 Prozent).
In der Radiographie haben über 84 Prozent der Befragten über 60 Prozent aller Bilder multimedial digitalisiert. Etwas kleiner ist diese Zahl bei Ökographien (40 Prozent) und bei EGG/EEG (33 Prozent). Bei den nachgefragten digitalen Dienstleistungen stehen die Terminvereinbarung und Bezahlung im Vordergrund, die über Apps, die elektronische Krankenakte oder das Arztterminportal CUP ablaufen.
Eine Studie der Digitalisierungsagentur AGID zu den Ausgaben der öffentlichen Verwaltung für IT ergab leichte Unterschiede beim Ausgabeverhalten der lokalen Gesundheitsunternehmen (ASL) und der Krankenhausfirmen (AO).
Die ASL geben prozentual mehr für Software, Dienstleistungen und Softwareenwicklungsdienstleistungen aus als die AO. Zudem beschaffen die ASL prozentual mehr über die E-Procurement-Agentur Consip, während die AO mehr über direkte eigene Ausschreibungen beschaffen. Consip will nach eigenen Angaben künftig neue Modelle der Beschaffung einführen und sich stärker für Start-ups öffnen.
Besonders bei den Italienern, die jünger als 35 Jahre alt sind, gehören Gesundheits-Apps oder Smart Watches mit Gesundheitsanwendungen zur Normalausstattung. In einer Umfrage des Politecnico Mailand gaben 55 Prozent der Befragten dieser Gruppe an, Apps mit Gesundheitscoaching zu verwenden. Der direkte Kontakt mit Arzt läuft jedoch weniger digital ab: Selbst über Whatsapp kommunizieren erst 17 Prozent der Befragten mit ihrem Hausarzt.
Die elektronische Krankenakte könnte hier laut Experten ein Wegbereiter für mehr digitale Kommunikation und Dienstleistungen sein. Noch aber wird sie erst von 21 Prozent der Italiener genutzt. Dies liegt nach Einschätzung von Beobachtern vor allem daran, dass die elektronische Krankenakte zu wenig bekannt ist.
Erst vereinzelte Initiativen für Telemedizin
Trotz staatlicher Initiativen beschränken sich Telemedizin-Projekte in der Praxis bislang auf Einzelinitiativen meist privater Akteure. Erwähnenswert sind die Einsätze von Distanz-Dialysesystemen, koordiniert vom San-Lorenzo-Krankenhaus von Alba (Piemont) sowie vom Manzoni-Krankenhaus in Lecco (Lombardei). In den Privaträumen der Patienten wurden die entsprechenden Anlagen (Totems) aufgestellt. Diese werden von den Patienten mithilfe ihrer Angehörigen und unter Anleitung des Arztes via Bildschirm bedient. Weitere Anwendungsmöglichkeiten sehen Experten für chronische Erkrankungen, Krebsbehandlungen und die klinische Ernährung.
Von Oliver Döhne
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Mailand