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Wirtschaftsumfeld | Afghanistan | Konjunktur

Afghanistan braucht internationale Unterstützung

Die wirtschaftlichen Aussichten verdüstern sich. Die sich immer weiter ausbreitende Coronakrise erschwert die Situation zunehmend.

Von Heena Nazir | Dubai

Laut Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) verbuchte das Land im Jahr 2020 eine reale Abnahme des Bruttoinlandproduktes (BIP) von 5 Prozent. Aufgrund des weltweiten konjunkturellen Abschwungs kam es zu zahlreichen Entlassungen, vor allem im informellen Sektor (aus dem mehr als 80 Prozent der Bevölkerung ihr Einkommen beziehen). Infolgedessen ist die Zahl der Bedürftigen im Vergleich zu 2019 von 14,5 Millionen auf 18,4 Millionen Menschen gestiegen, das berichtet das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung von humanitären Angelegenheiten. Laut dem Global Health Security Index der Johns Hopkins University zählt Afghanistan zur Gruppe der am wenigsten auf die Pandemie vorbereiteten Länder.

Zwar wird für das laufende Jahr 2021 mit einer Steigerung des BIP um real 4 Prozent und für 2022 um 4,5 Prozent gerechnet. Aber die weitere wirtschaftliche Entwicklung bereitet Experten Sorgen. Denn das Land steht angesichts zunehmender politischer Unwägbarkeiten, sinkender internationaler Finanzhilfen und einer anhaltend unübersichtlichen Sicherheitslage vor gewaltigen Herausforderungen.

Wirtschaftliche Eckdaten

Indikator

2020 1)

2021 2)

2022 2)

BIP (nominal, Mrd. US$)

19,1

19,9

21,2

BIP pro Kopf (nominal, US$)

581

592

615

BIP (Veränderung in %, real)

-5,0

4,0

4,5

Bevölkerung (Mio.)

33,2

33,7

k.A

1) Schätzung, 2) PrognoseQuelle: Central Statistics Organization, Internationaler Währungsfonds (IWF), Weltbank

Afghanistan ist auf ausländische Zuschüsse angewiesen

„Mit dem Abzug der internationalen Truppen ist anzunehmen, dass sich die wirtschaftlichen Probleme des Landes verschärfen und die Sicherheitslage weiter verschlechtern wird“, sagte ein afghanischer Regierungsvertreter in einem Interview mit Germany Trade und Invest (GTAI). „Zudem wird über die nächsten Jahren eine verstärkte Abnahme der Zuwendungen der internationalen Gebergemeinschaft befürchtet, von denen das Land stark abhängig ist“, führte er weiter fort. Schätzungen zufolge tragen die globalen Finanzhilfen derzeit 80 bis 90 Prozent zum öffentlichen Haushalt bei.

Zu den größten Geldgebern gehören die Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Laut einer offiziellen Pressemitteilung des Weißen Hauses haben die USA seit 2002 fast 88 Milliarden US-Dollar (US$) für Sicherheit, 36 Milliarden US$ an ziviler Hilfe und knapp 3,9 Milliarden US$ an humanitärer Unterstützung bereitgestellt.

Deutschland kostete der Einsatz von 2001 bis Ende 2020 mehr als zwölf Milliarden Euro, berichtet das Bundesverteidigungsministerium. Dabei sind die Ausgaben für die Gehälter der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten sowie die Beschaffung von auch für den regulären Bundeswehrbetrieb genutztem Material nicht berücksichtigt.

Mit einem Zustrom von internationalen Hilfszahlungen und den hohen Militärausgaben seit 2002 konnte Afghanistan über ein Jahrzehnt lang ein schnelles Wirtschaftswachstum und eine Verbesserung bedeutender Sozialindikatoren aufrechterhalten. Der jährliche Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betrug zwischen 2003 und 2012 durchschnittlich 9,4 Prozent.

Zuwendungen seit 2009 rückläufig

Dass das Land am Hindukusch auch zukünftig mit ausländischen Zuwendungen in derzeitiger Höhe rechnen kann, ist kaum zu erwarten. Die Hilfsströme gingen laut Angaben der Weltbank im Jahr 2009 von rund hundert Prozent des BIP auf 42,9 Prozent im Jahr 2020 zurück. Bereits in der Vergangenheit führten unter anderem die sinkenden Zuschüsse zu einer anhaltenden Schrumpfung des Dienstleistungssektors mit einer damit verbundenen Verschlechterung der Beschäftigungschancen und des Einkommens. Hinzukommt nun der Wegfall der Militärausgaben.

Das BIP ist zwischen 2015 und 2020 durchschnittlich nur noch um 2,5 Prozent pro Jahr angestiegen und auch die Fortschritte der Entwicklungsindikatoren verlangsamten sich. Hinzu kommt die verschlechterte Sicherheitslage, seit die Taliban die Kontrolle über ein größeres Territorium erlangten und ihre Angriffe intensivierten. Laut der Weltbank gab es zwischen 2014 und 2019 mehr als 10.000 zivile Opfer pro Jahr. Durch den Abzug der internationalen Truppen wird befürchtet, dass die Sicherheitslage sich weiter verschlechtern könnte.

Die sinkenden Zuwendungen kann das Land am Hindukusch aus eigener Kraft nicht ausgleichen. Das Ziel, den Privatsektor zum Wachstumsmotor zu entwickeln, wurde nicht erreicht. Der afghanische Staat kann durch Steuereinnahmen kein ausreichendes Einkommen generieren - diese machen Schätzungen zufolge nur etwa fünf bis zehn Prozent des BIP aus.

Internationale Gemeinschaft kündigt Hilfe an

Auf der Afghanistan-Geberkonferenz 2020 in Genf im November vergangenen Jahres erneuerten zwar viele Länder ihre Zusage, die Islamische Republik weiter finanziell zu unterstützen. Allerdings nur für einen befristeten Zeitraum, der zwischen einem und vier Jahren liegt. “Was danach passiert bereitet uns Sorge. Die Haushaltslage der Geberländer hat sich aufgrund der Coronakrise verschlechtert – was wenn sie uns nicht mehr helfen können. Das hätte fatale Konsequenzen für die Wirtschaft,“ erklärte ein afghanischer Wirtschaftsexperte, in Gesprächen mit der GTAI.

Dem Afghanistan Security Forces Fund des amerikanischen Verteidigungsministeriums werden beispielsweise im Jahr 2021 über 3 Milliarden US$ bereitgestellt. Weiterhin wurden zusätzliche 300 Millionen US$ an ziviler Hilfe angekündigt. Der US-amerikanische Präsident Joe Biden hat für 2022 weitere Unterstützung in Höhe von 3,3 Milliarden US$ beim Kongress beantragt. Auch Bundesaußenminister Heiko Maas hat eine finanzielle Zusage für das Jahr 2021 in Höhe von bis zu 430 Millionen Euro sowie für die darauffolgenden drei Jahre (2022 bis 2024) einen Beitrag auf vergleichbarem Niveau angekündigt.

Die künftigen Beihilfen könnten allerdings geringer ausfallen als angekündigt, da sie an eine Reihe von Bedingungen geknüpft sind - unter anderem an das effektive Vorgehen gegen Korruption, die Armutsbekämpfung und die Förderung laufender Friedensgespräche.

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