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Jüngster Bauboom steht auf schwachem Fundament

Viele Argentinier suchen im Kauf von Ziegelsteinen und Zement Sicherheit vor der Inflation. Der Staat plant viel, hat aber wenig Geld. Die Perspektiven nach der Wahl sind unklar.

Von Carl Moses | Argentinien

Argentiniens Bauwirtschaft war vom Covid-Lockdown ab März 2020 besonders hart getroffen, erlebte jedoch innerhalb kurzer Zeit eine V-artige Erholung. Gemäß dem vom Statistikinstitut Indec ermittelten Leitindikator für die Bauaktivität, ISAC, war die Aktivität schon Mitte 2020 wieder so stark wie vor Ausbruch der Pandemie. Im August 2021 lag der saisonbereinigte Wert des ISAC gar um 22 Prozent über dem Vor-Covid-Niveau. In den ersten acht Monaten 2021 akkumulierte sich ein Anstieg um 48 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum.

Privater Bauboom flacht ab

Im Verlauf von 2021 hat sich die Erholung der Bauaktivität insgesamt jedoch deutlich abgeschwächt, ab Jahresmitte kippte die Tendenz des ISAC laut Indec sogar in den negativen Bereich. Im August sank die Bauaktivität um 2,6 Prozent gegenüber dem Vormonat. Auch der Construya-Index, der vor allem die private Bautätigkeit widerspiegelt, ging im August und September 2021 um 2,5 und 4,6 Prozent gegenüber dem jeweiligen Vormonat zurück. Akkumuliert im Gesamtzeitraum Januar bis September 2021 gab es indes noch ein Plus von 38 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Vor allem kleine private Bau- und Renovierungsprojekte kamen nach dem coronabedingten Einbruch rasch wieder in Schwung, da sie der Flucht aus dem Peso in Sachwerte dienen. Viele Argentinier verfügen über hohe Dollarrücklagen, die für Bauprojekte eingesetzt werden können, wenn die Baukosten auf Dollarbasis niedrig sind wie zurzeit. Gemäß einem Bericht des Fachportals Reporte Inmobiliario sind die Kosten für den Bau von Mehrparteien-Wohnhäusern mit 633 US-Dollar (US$) pro Quadratmeter zum freien Wechselkurs derzeit auf dem niedrigsten Stand seit 2008 und nur noch etwa halb so hoch wie auf dem Höchststand 2017. Auf dem Parallelmarkt bekommt man für den Dollar doppelt so viele Pesos wie zum offiziellen Kurs der Zentralbank, der für normale Bürger kaum zugänglich ist.

Bauen ist billig in Dollar, aber teuer in Pesos

Dämpfend auf die private Baunachfrage wirkt dagegen der starke Rückstand der laufenden Peso-Einkommen im Vergleich zur rasant steigenden Inflation. Nach Berechnung des Beratungsunternehmens Invecq waren die durchschnittlichen Haushaltseinkommen im 1. Quartal 2021 um rund 10 Prozent niedriger als zwei Jahre zuvor. Für den Bau oder den Kauf einer Wohnung ist heute ein wesentlich größerer Teil des laufenden Einkommens nötig als vor einigen Jahren. Kredite stehen nur in geringem Umfang zur Verfügung. Vor allem fällt es vielen potenziellen Bauherren oder Immobilienkäufern schwer, die notwendigen Sicherheiten beizubringen.

Die Bauaktivität wurde zuletzt (im 3. Quartal 2021) stärker von öffentlichen und gewerblichen Bauvorhaben getragen, während sich die private Bautätigkeit etwas abschwächte. Das zeigt nach Einschätzung der Stiftung für Wirtschaftsforschung FIEL die Struktur des Zementabsatzes in den vergangenen Monaten. Der Absatz von Zement in Säcken (also für kleinere Bauvorhaben) lag seit Jahresmitte 2021 jeden Monat unter dem entsprechenden Vorjahreswert (September 2021: minus 9 Prozent). Dagegen lag das Volumen der Schüttgut-Lieferungen von Zement im September 2021 um 48 Prozent über dem Vorjahr. 

Die Baugenehmigungen in 60 repräsentativen Gemeinden waren laut Indec im Lockdown fast vollständig eingebrochen, erholten sich jedoch rasch und stabilisierten sich 2021 bei einem Volumen von 700.000 bis 800.000 Quadratmetern pro Monat. 

Asphalt soll den Weg zum Wahlsieg ebnen

Im Vorfeld der Parlamentswahlen am 14. November 2021 hat die Regierung den Aufschwung der Bautätigkeit durch höhere öffentliche Investitionen sowie durch die Vergabe subventionierter Baukredite nach Kräften befördert. Der Wert der öffentlichen Ausschreibungen von Baumaßnahmen ist in den ersten neun Monaten auf 8,2 Milliarden US-Dollar gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum auf das Achtfache gestiegen. Die meisten Projekte entfallen auf den Straßenbau. Die Produktion von Asphalt stieg im Zeitraum Januar bis August 2021 um rund 120 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum. Zum offiziellen Wechselkurs umgerechnet entspricht der Gesamtwert der Ausschreibungen rund 8,2 Milliarden US$, zum Kurs am Parallelmarkt etwa der Hälfte. Je nach Wechselkurs entsprechen der 2021 bislang ausgeschriebenen Investitionen 1 bis 2 Prozent des BIP. Etliche weitere Projekte wurden angekündigt. 

Die sehr begrenzte Finanzkraft des Staates engt den Spielraum zur Umsetzung dieser Projekte jedoch stark ein. Viele Ankündigungen von Bauprojekten könnten nach der Wahl erst mal wieder in den Schubladen verschwinden. Größere Finanzierungsspielräume könnte erst das seit einem Jahr angekündigte Abkommen über eine Refinanzierung der hohen Schulden gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) eröffnen.

In- und ausländische Investoren erhoffen sich von dem immer wieder aufgeschobenen IWF-Abkommen vor allem eine gewisse Sicherheit über den künftigen Kurs der Wirtschaftspolitik, dessen Rahmen mit dem Währungsfonds abgestimmt werden müsste. Vorerst herrscht jedoch große Unsicherheit über den Wirtschaftskurs nach den Wahlen. Dies hemmt die Investitionsbereitschaft privater Unternehmen erheblich. Entsprechend gedämpft läuft das Geschäft im gewerblichen Bau. Der Anlagenbau kann auf Impulse aus dem Bergbau sowie der Öl- und Gasindustrie hoffen. Argentiniens große Lithiumvorkommen locken ebenso wie die riesigen Erdgas und -ölreserven. 

Deutscher Fensterbauer investiert

Auf eine weitere Belebung der privaten Bautätigkeit setzte der deutsche Fensterbauer Rehau Windows Solutions, der nach eigenen Angaben rund 13,6 Millionen US$ in den Bau eines neuen Werkes in Argentinien investiert. „Indem wir vor Ort produzieren, können wir die regionalen Kundenerwartungen noch besser erfüllen, zum Beispiel mit einer deutlich stärkeren Individualisierung unserer Produkte“, erklärte Carsten Heuer, Divisionsleiter Window Solutions.

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