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Argentiniens Regierung lässt sich Zeit mit Reformen und dem IWF
Die argentinische Wirtschaft erholt sich. Deutsche Unternehmen bieten sich als Zukunftspartner an. Doch die Unsicherheit über den künftigen Wirtschaftskurs ist groß.
06.04.2021
Von Carl Moses | Buenos Aires
Einiges deutet darauf hin, dass Argentiniens Wirtschaft sich bis zu den Parlamentswahlen im Oktober 2021 deutlich erholt. Der starke Anstieg der Preise für Soja, Mais und andere wichtige Exportprodukte Argentiniens spült zusätzliche Devisenerlöse ins Land und üppige Zusatzeinnahmen in die Staatskasse. Stärkere Regenfälle als erwartet mildern die Trockenheit und halten die Ernteeinbußen in Grenzen. Ein warmer Dollarregen winkt auch in Gestalt der zusätzlichen Liquidität, die der Internationale Währungsfonds (IWF) durch die Ausgabe von Sonderziehungsrechten über 650 Milliarden US-Dollar (US$) global zur Verfügung stellen will. Für Argentinien würden dabei 4,35 Milliarden US$ abfallen, die ohne Konditionierung zur Verfügung stünden. Die Mittel könnten für 2021 fällige Rückzahlungen an den IWF und den Pariser Club dienen.
Aufschwung bei Kfz und Bau
Die Prognosen für das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2021 haben haben sich innerhalb von vier Monaten von 4,5 auf mehr als 6 Prozent verbessert. Vor allem die Bauwirtschaft und die Kfz-Industrie erleben eine V-artige Erholung von dem Einbruch des vergangenen Jahres, in dem das BIP um 9,9 Prozent gesunken war. Voraussetzung für einen anhaltenden Aufschwung wäre eine relativ geringe Auswirkung der neuen Covid-19-Welle, die nun auch in Argentinien mit voller Kraft rollt. Anfang April war die 7-Tage-Inzidenz mit 260 registrierten Fällen je 100.000 Einwohnern bereits deutlich höher als in Deutschland. Bei den Impfungen liegt das Pampaland noch weit zurück. Bis zum 4.4.2021 hatten in Argentinien weniger als 10 Prozent der Bevölkerung mindestens die erste Impfdosis erhalten.
Wirtschaftsminister Martín Guzmán ist es in den letzten Monaten gelungen, die Abwertung des Peso auf den verschiedenen offiziellen und parallelen Devisenmärkten einzudämmen. Im Gesamtjahr 2021 will Guzmán die Abwertung des offiziellen Peso-Kurses auf 25 Prozent begrenzen, um so einen Anker für die Inflation zu setzen (Regierungsziel: 29 Prozent). Da diese Währungspolitik bisher jedoch nicht von einer klaren Perspektive zur Sanierung des Staatshaushalts begleitet wird, sehen die meisten Ökonomen die Inflationsrate weiterhin bei mehr als 40 Prozent.
Argentiniens Regierung scheint den internationalen Rückenwind nutzen zu wollen, um schmerzhafte Maßnahmen wie die überfällige Anpassung von regulierten Preisen bis nach den Parlamentswahlen Ende Oktober aufzuschieben. Das zunächst für März, dann für Mai angepeilte IWF-Abkommen zur Refinanzierung von 46 Milliarden US$ Schulden gegenüber dem Währungsfonds könnte sich darum entsprechend weiter verzögern. Die Unsicherheit über den künftigen Wirtschaftskurs hält somit an.
Regierung ringt um den Wirtschaftskurs
Innerhalb des Regierungsbündnisses wird um die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik offenbar heftig gerungen. Nach Einschätzung vieler Beobachter wird der Kurs immer deutlicher vom Lager der Vizepräsidentin Cristina Kirchner bestimmt. Diese hatte vorgegeben, dass die Tarife für Strom und Gas im Wahljahr 2021 nicht bedeutend angehoben werden dürfen und dass Löhne und Renten stärker steigen sollen als die Inflation.
Auch die Steuerpolitik ist auf die Ankurbelung des Konsums ausgerichtet. Eine geplante Reform der sogenannten Gewinnsteuer, die der deutschen Lohn- und Einkommensteuer entspricht, sieht höhere Freibeträge für Lohn- und Gehaltsempfänger vor, die durch erhöhte Steuern auf die Unternehmensgewinne finanziert werden sollen. Zusammen mit der Sonderabgabe auf Vermögen wird die Steuerbelastung der Wirtschaft abermals steigen.
Devisen bleiben knapp
Vorhersehbar ist in jedem Fall, dass Devisen in Argentinien auf absehbare Zeit knapp bleiben werden. Der stockende Zugang zu Devisen sowie Verzögerungen bei der Erteilung von Importlizenzen gehören zu der häufigsten Klagen der Unternehmen. Sorge bereitet auch die Einführung des Informationssystems SIPRE, bei dem große Unternehmen monatlich Angaben zu Preisen, Kosten, Lagerbeständen und anderen Daten an die Regierung übermitteln müssen. Das neue Kontrollsystem erhöht nicht nur den bürokratischen Aufwand der Unternehmen. Es nähert auch die Befürchtung, der Staat könne künftig noch stärker in die Preisgestaltung und andere Entscheidungen der Unternehmen eingreifen.
Bei einem Treffen mit Produktionsminister Matias Kulfas unterbreiteten Vertreter deutscher Unternehmen in Argentinien im Februar 2021 konkrete Angebote für eine langfristig orientierte Zusammenarbeit bei Innovation und Nachhaltigkeit. Große Chancen sieht Gastón Diaz Perez, Chef von Robert Bosch Argentina, in der durch die Pandemie beschleunigten Digitalisierung. Argentinien habe auf diesem Gebiet “viele Talente anzubieten”. Ein besonders großes Potenzial für digitale Innovationen bestehe im Gesundheitsbereich, erklärte Christophe Dumont, CEO von Bayer für die Region Cono Sur im März 2021 bei dem AHK-Webinar “Vision 2021”. Optimistisch mache ihn die gute Entwicklung der Agrarindustrie. “Wenn es der Landwirtschaft gut geht, geht es Argentinien gut”, so Dumont. Die Regierung müsse den Unternehmen allerdings “helfen, statt neue Hürden aufzubauen”, mahnte der Bayer-Chef.
Potenzial für grünen Wasserstoff
Siemens Energy nutze die Durststrecke der Pandemie um langfristige Projekte voranzutreiben, erklärte Javier Pastorino, CEO des Unternehmens für Argentinien. “Auf lange Sicht” seien die Perspektiven “super positiv”, so Pastorino. Bei der Entwicklung von grünem Wasserstoff könne Argentinien dem Beispiel Chiles folgen, wo im Rahmen einer Energiepartnerschaft mit Deutschland bereits ein erstes Pilotprojekt durchgeführt werde. Argentinien habe ein “drei- bis viermal so großes Potenzial” wie das Nachbarland, glaubt Pastorino, der für Siemens Energy auch das Geschäft in Chile und Uruguay leitet. Der größte Engpassfaktor bei allen Energieprojekten sei das hohe Risiko bei Finanzierungen in Argentinien.
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