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Aufwind für Russlands Flugzeugindustrie

Der russische Flugzeugbau soll zu neuen Höhenflügen ansetzen. Dafür stellt die Regierung mehrere Milliarden Euro bereit. Deutsche Anlagenbauer und Zulieferer können profitieren.

Von Gerit Schulze | Moskau

Russlands ziviler Flugzeugbau könnte in den nächsten Jahren deutlich zulegen. Die staatliche Transportleasinggesellschaft GTLK prognostiziert bis 2030 einen Inlandsbedarf von rund 650 Flugzeugen, der in erster Linie mit russischen Modellen gedeckt werden soll. Einheimische Maschinen hatten bereits 2020 die Nase vorn: Von 109 Neuanschaffungen inländischer Airlines entfielen 59 auf russische Flugzeuge.

Das Industrieministerium rechnet bis 2030 mit der Neuproduktion von 735 zivilen Flugzeugen, darunter auch für Aufträge aus dem Ausland. Um die Branche ausreichend mit Liquidität zu versorgen, sollen aus dem Nationalen Wohlstandsfonds und dem Staatshaushalt 1,84 Billionen Rubel (21 Milliarden Euro, Wechselkurs der EZB am 27. Juli 2021: 1 Euro = 87,17 Rubel) Subventionen und zinsgünstige Kredite bereitgestellt werden.

Vereinigte Flugzeugbauholding erhält 160 Bestellungen auf MAKS 2021

Über der Moskauer Flugzeugmesse MAKS, einer Leistungsschau der russischen Luftfahrtindustrie im Zweijahresrhythmus, lag im Juli 2021 zwar der Schatten der Covid-19-Pandemie und der weltweiten Krise im Flugverkehr. Die Branche demonstrierte jedoch ambitionierte Zukunftspläne. Die Vereinigte Flugzeugbauholding OAK, die zum Staatskonzern Rostec gehört, erhielt auf der Messe Aufträge für 160 neue Flugzeuge im Wert von 2,6 Milliarden Euro.

Deutsche Ausrüster gut im Geschäft

Das große Marktpotenzial hat einige deutsche Unternehmen veranlasst, ihre Produkte auf der Leitmesse MAKS zu präsentieren, darunter den niedersächsischen Anlagenbauer Broetje-Automation. „Wir haben langjährige Kundenbeziehungen in Russland und wollten mit dem Stand unser Bekenntnis zum Markt unterstreichen“, sagt Sprecher Norbert Steinkemper im Gespräch mit Germany Trade & Invest. Broetje-Automation hat bereits mehrere Montageanlagen für Flugzeugrümpfe und Flügel nach Russland geliefert.

Die Ausrüstungen kommen unter anderem in den Werken in Irkutsk und Komsomolsk-am-Amur zum Einsatz. „Wir spüren, dass sich die russische Luftfahrt deutlich im Aufwind befindet“, erklärt Steinkemper. Immer mehr Komponenten würden durch den Sanktionsdruck und die Bestrebungen zur Importsubstitution im Inland produziert. Hinzu kämen viele Projekte für neue Flugzeugentwicklungen, „sodass Russland für uns ein hochinteressanter Markt ist.“

Russland - aktuelle Projekte im Flugzeug- und Helikopterbau

Modell

Beschreibung

Flugzeuge

MS-21

Zweistrahliges Mittelstreckenflugzeug für 150 bis 230 Passagiere; Auslieferung an russische Airlines beginnt 2022; Endmontage bei Irkut in Irkutsk

SSJ 100 (Frachtvariante)

Frachtversion des Superjet 100; Projektdokumentation und Zertifizierung innerhalb der nächsten 2 Jahre; Interesse zeigen die Russische Post und große Online-Händler.

IL-114-300

Zweimotoriges Turboprop-Flugzeug für Regionalflüge; Serienproduktion ab 2023; Endmontage durch RSK MiG in Luchowizy bei Moskau

CR929

Großraumflugzeug für die Fernstrecke mit bis zu 14.000 Kilometern Reichweite; Gemeinschaftsprojekt mit der chinesischen Comac; Erstflug für 2023 geplant

„Baikal“ (LMS-901)

Nachfolger des einmotorigen Doppeldeckers An-2 für kurze Strecken in den Weiten Russlands; benötigt zum Starten nur eine Pistenlänge von 250 Metern und hat eine Reichweite von 1.500 Kilometern; soll spätestens in zwei Jahren vom Hersteller USGA gebaut werden, der den Bedarf bis 2030 auf bis zu 650 Maschinen schätzt

L-410

Zweimotoriges Kurzstrecken-Flugzeug, das von der tschechischen Aircraft Industries entwickelt wurde; Produktion jetzt auch in Jekaterinburg bei USGA; soll Basismodell für Russlands Regionalverkehr werden.

Be200

Modernisierung des Amphibienflugzeugs für Löscheinsätze

STR-40DT

Ersatz für den Kurzstreckenflieger Jak-40; soll komplett aus Verbundstoffen produziert werden; verantwortlich ist das Tschaplygin-Entwicklungsbüro SibNIA.

T500

Leichtmotorflieger für die Landwirtschaft; Entwickler ist ONPP Technologija)

Helikopter

Ka-32A11M

Modifikation des zivilen Hubschraubers Ka-32A11BC. Die neue digitale Bordsteuerung ermöglicht Flüge auch bei Nacht und unter schwierigen Wetterbedingungen.

Ka-226T

Modifikation des leichten Mehrzweckhubschraubers unter Einsatz von Leichtbaumaterialien und mit neuer Steuerungselektronik

Mi-173A3

Spezialausführung des Hubschraubers zur Versorgung von Offshore-Bohrinseln

Ansat-M

Modernisierung des leichten Mehrzweckhubschraubers; verbessertes Treibstoffsystem für mehr Reichweite und neue Avionik-Ausrüstung für Flüge bei schlechter Sicht

BAS-200

Unbemannter Hubschrauber mit einer Nutzlast von 50 Kilogramm und einer Reichweite bis 100 Kilometer; Einsatz im Frachtverkehr, in der Landwirtschaft und beim Katastrophenschutz geplant

Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

Renaissance für Suchoi Superjet 100

Das derzeit meistverkaufte russische Flugzeug ist der Superjet 100. Auf der MAKS 2021 konnte Hersteller Irkut mit russischen Airlines Kaufverträge und Absichtserklärungen für 58 neue Maschinen unterzeichnen. Bis Ende 2021 ist die Montage von 23 Einheiten geplant, im Jahr 2022 von weiteren 18 Einheiten. Bislang kommen 70 Prozent der Vorprodukte für den Superjet aus dem Ausland, nur 30 Prozent aus russischer Fertigung. Industrieminister Denis Manturow kündigte an, das Verhältnis umkehren zu wollen. Dabei soll vor allem das Triebwerk PD-8 die russisch-französischen Antriebe vom Typ SaM146 ersetzen. Die Zertifizierung des neuen Triebwerks soll Ende 2023 beginnen.

Die besten Perspektiven sehen Experten bei Russlands neuem Mittelstreckenflugzeug MS-21, für das schon 175 Vorbestellungen vorliegen. Ab 2025 sollen pro Jahr 36 Maschinen produziert werden, ab 2027 dann 72 Einheiten. Die Kompositmaterialien für die Tragflächen kann Russland inzwischen selbst produzieren, nachdem japanische und amerikanische Hersteller ihre Lieferungen auf Druck von Washington eingestellt hatten. Die Triebwerke für die ersten MS-21-Exemplare kommen hingegen noch von Pratt & Whitney aus den USA. Die Entwicklung des russischen Triebwerks PD-14 dauert an.

Hoffnungen ruhen außerdem auf dem neuen Turboprop-Regionalflugzeug IL-114-300, für das Aurora Airlines der Flugzeugbauholding OAK bei der MAKS einen Auftrag für 19 Maschinen erteilte. OAK plant eine Produktion von 12 Flugzeugen pro Jahr. Den Gesamtbedarf für die IL-114-300 schätzt das Unternehmen auf mindestens 150 Maschinen.

Fokussierung zunächst auf Heimatmarkt

Bei den Auslieferungen neuer Flugzeugmodelle konzentriert sich Russland zunächst auf den Inlandsmarkt. Das Passagierflugzeug MS-21 und weitere Superjet-100-Flieger sollen nicht vor 2025 ins Ausland geliefert werden, kündigte Industrieminister Manturow an. Damit reagiert die Branche auf die Probleme bei der Versorgung von Verschleiß- und Ersatzteilen, die bei der Markteinführung des Superjets weltweit zu Ausfallzeiten und unzufriedenen Kunden geführt hatten.

„Was die Flugzeugtechnologie anbelangt, so ist Russland absolut auf dem neuesten Stand der Technik“, erläutert Norbert Steinkemper von Broetje-Automation. „Probleme gab es in der Vergangenheit eher dabei, die Produktionsprozesse stabil auf gleichmäßig hohem Niveau zu halten.“ Deshalb wachse bei den russischen Flugzeugherstellern und ihren Zulieferern das Interesse an Automatisierungstechnik.

Aufschwung bei Drohnen und Helikoptern

Ein wichtiger Entwicklungstrend im russischen Flugzeugbau sind unbemannte Flugsysteme. Auf Tschukotka soll noch 2021 die Zustellung von Postsendungen mit Drohnen getestet werden. Das Unternehmen Industrialnye Drony hat auf der MAKS eine Absichtserklärung mit der Leasinggesellschaft GTLK unterzeichnet, um Drohnen für Industrieanwendungen auf Auslandsmärkte zu liefern. Die Hubschrauberholding Vertoljoty Rossii präsentierte im Rahmenprogramm der MAKS erstmals einen Flug des Drohnen-Helikopters BAS-200.

Ohnehin verzeichnen die russischen Hubschrauberproduzenten eine steigende Nachfrage. Der Nationale Luftrettungsdienst NSSA gab bis Ende 2022 bereits 65 neue Rettungshelikopter der Typen Mi-8 und Ansat im Wert von 320 Millionen Euro in Auftrag. Weitere 50 Hubschrauber vom Typ Mi-8 orderte die Fluggesellschaft UTAir. Sie werden vor allem Öllagerstätten in Sibirien anfliegen.

Gazprom und Vertoljoty Rossii haben die Lieferung von Hubschraubern Mi-171A3 für die Versorgung der Lagerstätten im arktischen Festlandsockel vereinbart. Das Modell ist besonders für Flüge über dem offenen Meer geeignet.

Weitere aktuelle Projekte der russischen Flugzeugindustrie

Entwicklung eines neuen Überschall-Passagierflugzeug durch das Entwicklungsbüro Tupoljew

Entwicklung eines Business-Überschall-Jets mit 30 Plätzen in Kooperation mit Mubadala (VAE)

Entwicklung von Elektro-Flugzeugmotoren am Zentralen Aerohydrodynamischen Institut und dem Moskauer Institut für Flugzeugmotorenbau ZIAM zusammen mit dem russischen Supraleiter-Hersteller Superox

Entwicklung von Flugtaxis durch das Startup Hoversurf (Skolkowo)

Neues Zentrum zur Ausbildung von Piloten und Bodenpersonal; Gemeinschaftsprojekt der Vereinigten Flugzeugbauholding OAK und des Moskauer Luftfahrtinstituts MAI

Großer Hangarkomplex zur Wartung der Flugzeugtypen Superjet 100 und MS-21 am Moskauer Flughafen Scheremetjewo; Bauausführung übernimmt die Irkut-Tochter Rapart Services

Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

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