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Argentinien will seine Stromversorgung auf eine breitere Basis stellen. Die durch Covid-19 weiter verschärfte Wirtschaftskrise bringt viele Pläne durcheinander.
01.12.2020
Von Carl Moses | Buenos Aires
In Argentinien müssen die Pläne und Prognosen für den Ausbau der Stromversorgung überarbeitet werden. Die Entwicklung nach dem Regierungswechsel Ende 2019 und dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie sowie die dramatisch verschärfte Wirtschaftskrise zwingen zu Plan- und Prognoseänderungen. Die letzten offiziellen Szenarien für die mittel- und längerfristige Entwicklung der Produktion und des Verbrauchs von Energie (bis 2030) wurden 2019 von der Macri-Regierung (2016 bis 2019) entworfen (http://datos.minem.gob.ar/dataset/escenarios-energeticos). Diese Szenarien haben allerdings nur noch begrenzten Aussagewert. Denn die Annahmen, auf denen sie basieren, erscheinen zum Teil nicht mehr realistisch. So wird das Wirtschaftswachstum im Prognosezeitraum bis 2030 voraussichtlich deutlich geringer ausfallen. Auch die Weltmarktpreise für Energie dürften eher niedriger als erwartet sein.
Zudem hat die seit Dezember 2019 amtierende neue Regierung unter Alberto Fernández andere Prioritäten, etwa bei der Balance zwischen Sozialpolitik und Investitionsanreizen. Bislang wurde keine Aktualisierung der offiziellen Energieszenarien veröffentlicht. Es zeichnet sich jedoch ab, dass die Entwicklung fossiler Energien im Vergleich zu den Erneuerbaren ein relativ stärkeres Gewicht haben wird als in den Plänen der Vorgängerregierung. Das neue Regierungsprogramm Plan Gas IV soll Anreize zum Ausbau der Erdgasförderung schaffen. Auch die Investitionen in fossile Energien werden indes deutlich hinter den ambitionierten Zielwerten der Macri-Regierung zurückbleiben.
Nach Einschätzung der Beratungsfirma Wood Mackenzie reichen die derzeit im Bau befindlichen Energieprojekte aus, um eine sichere Stromversorgung bis 2025 aufrechtzuerhalten. Allerdings wird die Kapazitätserweiterung mit 5,2 Gigawatt (GW) bis 2025 geringer als erwartet ausfallen, vor allem weil etliche Projekte der erneuerbaren Energien (EE) abgebrochen werden. Projektentwickler, die bei den verschiedenen EE-Auktionen der letzten Jahre einen Zuschlag erhalten hatten, haben insbesondere bei kleineren Vorhaben Schwierigkeiten, die Finanzierung für ihre Projekte sicherzustellen, beobachten die Fachleute von Wood Mackenzie. In der Pipeline für EE-Kleinprojekte bis 2025 stehen 391 Megawatt (MW). Solar führt dabei mit 140 MW, dicht gefolgt von Wind (129 MW) und Biomasse (89 MW).
Gasbetriebene Anlagen werden bis 2025 mit 1.818 MW den größten Beitrag zum Kapazitätsausbau leisten, meist durch die Vollendung der kombinierten Gas-und-Dampf-Zyklen in bestehenden Anlagen. Zwei große Wasserkraftprojekte werden 1.310 MW beitragen. Wind- und Solarprojekte aus Auktionen für erneuerbare Energien werden 1.328 MW und 695 MW hinzufügen.
Argentinien werde in den nächsten 15 Jahren einen Zubau von 23,8 Gigawatt (GW) an zusätzlicher Stromerzeugungskapazität benötigen, kalkulieren die Experten. In langfristiger Perspektive (2019 bis 2040) erwarten sie die höchsten jährlichen Wachstumsraten für Solarenergie (12 Prozent) und Wind (8 Prozent). Die Solarenergie werde in den nächsten zehn Jahren an Bedeutung gewinnen, während die meisten neuen gasbefeuerten Kraftwerke dazu dienen werden, alternde Einheiten zu ersetzen.
Bis 2040 werden EE (ohne Hydro) einen Anteil von 25 Prozent an der Stromerzeugungskapazität des Landes erreichen. Um in den nächsten 20 Jahren 6,4 GW Wind- und 5,9 GW Solarenergie ans Netz zu bringen, müsse Argentinien allerdings für die Vergabe- und Beschaffungspolitik einen Rahmen entwickeln, der ausländische Investitionen anzieht und Mängel der bisherigen Auktionsprogramme RenovAr und Mater behebt, meinen die Experten von Wood Mackenzie.
Trotz der Dynamik der erneuerbaren Energien wird Erdgas während des gesamten Prognosezeitraums die wichtigste Stromquelle des Landes bleiben, erwartet Wood Mackenzie. Bis 2040 werde Erdgas 41 Prozent der gesamten Stromerzeugung ausmachen (2019: 59 Prozent). Die Rate der tatsächlichen Nutzung von Gas werde sinken, da erneuerbare Energien die Volatilität des Systems erhöhen, und Gaskraftwerke verstärkt zur Sicherung der Grundlast sowie als Peaking-Einheiten zum Einsatz kommen. Hydro wird die zweitwichtigste Stromquelle bleiben und bis 2040 der Projektion zufolge 27 Prozent der gesamten Stromerzeugung beitragen.
Bis 2040 werde Argentinien 6,6 GW veralteter gasbefeuerter Einheiten stilllegen, kalkuliert Wood Mackenzie. Um sichere Reservemargen zu gewährleisten, würden 9,6 GW zusätzlich an gasbefeuerten Anlagen benötigt. Der Zubau an diesen Erzeugungskapazitäten wird sich in der Region um Buenos Aires (aufgrund der Nähe zum Verbrauch) und in der Region Comahue (aufgrund des günstigen Zugangs zum Erdgas) konzentrieren. Während kombinierte Zyklen die Grundlast tragen, erfordert die zunehmende Nutzung erneuerbarer Energien flexible Peaking-Einheiten. Damit der Strom aus EE zu den Endverbrauchern fließen kann, ist die Verstärkung der Übertragungsnetze im Großraum Buenos Aires ebenso wichtig wie eine bessere Verbindung der Metropolregion mit anderen Landesteilen.
Verschiedene andere langfristige Energieszenarien bis 2050 wurden 2019 von einem Verbund von Instituten, Nicht-Regierungs-Organisationen und Fachverbänden erarbeitet. Darin werden je nach wirtschafts-, energie- und umweltpolitischer Ausrichtung der jeweiligen Autoren sehr unterschiedliche Szenarien entworfen beziehungsweise empfohlen. Der Bericht ist abrufbar unter https://www.escenariosenergeticos.org/escenarios/.
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