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Argentiniens Energiemotoren stottern. Vor allem die zukunftsträchtigen Projekte erneuerbarer Energien spüren die Finanzierungsengpässe.
23.11.2020
Von Carl Moses | Buenos Aires
Argentiniens Energiewirtschaft gehört zu den Sektoren, die bislang verhältnismäßig gut durch die Coronakrise kommen. Die Branche verzeichnet in den ersten neun Monaten 2020 einen Rückgang der Aktivität um 1,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, während die gesamtwirtschaftliche Aktivität nach Schätzung der Beratungsfirma OJF & Asociados im selben Zeitraum um 9,4 Prozent eingebrochen ist.
Die Stromerzeugung lag im September 2020 um 2,6 Prozent unter Vorjahr. Der zeitweilige Einbruch des Stromverbrauchs der Industrie und anderer gewerblicher Nutzer wurde durch einen gestiegenen Konsum in den privaten Haushalten ausgeglichen. Im September 2020 lag der Stromverbrauch gewerblicher Nutzer rund 11 Prozent unter dem Vorjahresniveau.
Argentiniens Erdölproduktion sank seit dem Ausbruch von Covid-19 um 9 Prozent (August gegenüber März 2020). Im Vorjahresvergleich war die Produktion im August 2020 ebenfalls 9 Prozent niedriger. Die Förderung aus nicht-konventionellen Lagerstätten (Schieferöl) lag im August jedoch um 13 Prozent über Vorjahr, seit Beginn der Covid-19-Pandemie in Argentinien im März sank sie um 5 Prozent.
In langfristiger Perspektive könnte die Energiewirtschaft in Argentinien zu einem Wachstumsträger für die Gesamtwirtschaft werden, mit guten Chancen auch für den Export. Große Ausbaupotenziale bieten sich für erneuerbare Energien (EE) - etwa für Wind- und Solarenergie, Biomasse oder die Produktion von grünem Wasserstoff - aber auch in der Erdöl- und -gasindustrie. Durch die Coronakrise und durch die Entwicklung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen haben viele Zukunftspläne allerdings einen starken Dämpfer erhalten.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien (vor allem Wind und Sonne) hatte unter der Macri-Regierung einen starken Aufschwung erlebt. Das Gesetz 27.191 von 2015 zur Förderung der EE sieht vor, dass der Anteil Erneuerbarer am gesamten Stromverbrauch Argentiniens von 2 Prozent (im Jahr 2016) bis 2025 auf 20 Prozent und bis 2030 auf 25 Prozent ansteigen soll. Das Gesetz sieht steuerliche Investitionsanreize vor und legt zudem Mindestanforderungen für die lokale Wertschöpfung fest, um die Entwicklung einer lokalen Zulieferindustrie zu fördern. Auch ein von Branchenvertretern lange erwartetes Gesetz, das die Einspeisung von überschüssigem Strom privater Erzeuger und Verbraucher in das nationale Verbundnetz regelt, wurde verabschiedet.
Bei drei Ausschreibungen im Rahmen des Programms "Renovar" wurden insgesamt 4.788 Megawatt (MW) an neuen Kapazitäten zugeteilt. Weitere 1.093 MW wurden durch Terminkontrakte unter privaten Erzeugern und Abnehmern am argentinischen Terminmarkt "Mater" vereinbart.
Mit der rapiden Verschlechterung der makroökonomischen Bedingungen seit April 2018 wurde die Finanzierung der EE-Projekte indes schwer, wo nicht unmöglich. Eine Analyse der Stiftung für Wirtschaftsforschung FIEL ergab, dass bislang lediglich 30 Prozent der vereinbarten Kapazitäten in Betrieb genommen werden konnten. Dazu kamen Zahlungsrückstände der Gesellschaft Cammesa, die den Strommarkt verwaltet. Vor allem die EE-Projekte der letzten Ausschreibungsrunde (Renovar 2) haben sich größtenteils verzögert oder wurden ganz gestoppt.
Besser stehen die Chancen für die Realisierung von Kleinprojekten der letzten Ausschreibungsrunde Renovar 3 sowie für Projekte im Rahmen des Einspeisegesetzes. Neue Ausschreibungen sind laut FIEL vorerst kaum zu erwarten. Trotz der Rückschläge wird die Kapazität aus EE bis 2025 - je nach Szenario - auf 6.600 bis 7.800 MW zunehmen und damit einen Anteil von etwa 15 bis 17 Prozent des Stromverbrauchs decken. Das 20-Prozent-Ziel scheint bis 2025 indes nicht erreichbar. Link zur FIEL-Analyse: https://bit.ly/2F7LJjx
Argentinien ist ein wettbewerbsfähiger Produzent von Biotreibstoffen. Die Erzeugung von Bioethanol ist in den letzten Jahren stark gestiegen, von 125 Millionen Litern im Jahr 2010 auf 1.150 Millionen Liter im Jahr 2019. Die Biodieselproduktion ging 2019 dagegen um 12 Prozent auf 2,15 Millionen Tonnen zurück. Der Rückgang ist hauptsächlich auf den Rückgang der Exporte um 28 Prozent auf 1,02 Millionen Tonnen zurückzuführen. Argentiniens Biodiesel stößt immer wieder auf Handelsbeschränkungen auf wichtigen Absatzmärkten. Hersteller fordern darum eine Erhöhung der inländischen Beimischungspflicht von 12 auf 15 Prozent. Nach dem Regierungswechsel in den USA hofft Argentinien zudem auf eine Rücknahme der US-Dumpingzölle auf argentinischen Biodiesel und die Wiederaufnahme der Exporte an diesen wichtigen Abnehmer.
Wasserstoff spielte in den Planungen der argentinischen Regierung lange keine bedeutende Rolle, anders als etwa im Nachbarland Chile. Nun will Argentinien aufholen. Im Juli 2020 formierte sich unter Leitung der staatlichen Mineralölgesellschaft YPF ein Konsortium von rund 30 Unternehmen, die gemeinsam die Entwicklung der Wasserstoffindustrie in Argentinien vorantreiben wollen. Dem Konsortium H2ar gehören auch die deutschen Unternehmen Siemens Energy und Abo Wind an.
Das private argentinische Energieunternehmen Capsa-Capex arbeitet bereits seit 20 Jahren an der Entwicklung von marktfähigem grünen Wasserstoff, mit Blick auf globale Exportchancen. Das Tochterunternehmen Hychico (http://www.hychico.com/esp/index.html) hatte bereits 2008 bei Comodoro Rivadavia eine Anlage zur Produktion von sauberem Wasserstoff durch Elektrolyse in Betrieb genommen, nach Angaben des Unternehmens seinerzeit die drittgrößte Anlage dieser Art weltweit. Die Energie für die Elektrolyse liefert der firmeneigene Windpark Diadema, einer der Windparks mit dem höchsten Kapazitätsfaktor in Argentinien (>50 Prozent). Langfristig will Hychico viele Milliarden Dollar mobilisieren, um in die Installation eines Mega-Windparks sowie in Anlagen für die Produktion, die Lagerung und die Verschiffung von flüssigem Wasserstoff zu investieren.