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Branchen | ASEAN | Medizintechnik
Die Gesundheitsmärkte der zehn südostasiatischen Länder entwickeln sich schnell. Deutschland zählt dort zu den bedeutendsten Medizintechniklieferanten.
01.09.2020
Von Anna Westenberger, Bernhard Schaaf | Berlin, Bonn
Die zehn Länder der ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) – Brunei Darussalam, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam - bilden zusammen einen der dynamischsten Wirtschaftsräume der Welt. Die realen Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beliefen sich in den letzten Jahren vor Ausbruch der Coronapandemie auf rund 5 Prozent. Die Wirtschaftsleistung lag 2019 schätzungsweise bei gut 3 Billionen US-Dollar (US$) und damit deutlich über der Frankreichs oder des Vereinigten Königreichs.
Der Staatenbund erstreckt sich über eine Fläche von rund 4,5 Millionen Quadratkilometern und ist damit größer als die Europäische Union (EU). Entsprechend heterogen ist die Struktur der Region - die Mitgliedsstaaten weisen große Unterschiede in ihren Kulturen, politischen Systemen sowie in ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung auf. Während das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 2019 in Kambodscha lediglich gut 1.600 US$ betrug, lag es in Singapur mit knapp 64.000 US$ etwa vierzig Mal so hoch.
Die fünf größten Volkswirtschaften der Region - Indonesien, Thailand, Malaysia, Singapur und die Philippinen - standen zuletzt für rund 87 Prozent des BIP. Die höchsten Wachstumsraten verzeichnen allerdings Märkte wie Vietnam, Kambodscha oder Myanmar.
Das kleinste Land der Region – Brunei Darussalam – hat nicht einmal eine Million Einwohner, und auch der Stadtstaat Singapur kommt nur auf knapp 6 Millionen. In Indonesien wohnen hingegen rund 270 Millionen Menschen. Insgesamt zählt die ASEAN rund 660 Millionen Einwohner – anderthalb Mal so viele wie die EU.
Die Bevölkerung wächst, und gleichzeitig steigt die Lebenserwartung. Zwar lag sie 2016 beispielsweise in Laos noch bei lediglich 66 Jahren; in Thailand oder Vietnam aber erreichte sie bereits 76 und in Singapur 83 Jahre. Ältere Menschen stellen einen immer größeren Anteil an den Gesellschaften: In Thailand und Singapur, wo die Bevölkerungen nur noch langsam wachsen, machen Menschen ab Mitte sechzig bereits weit über ein Zehntel der Bevölkerung aus. Altersbedingte Erkrankungen, beispielsweise des Bewegungsapparates, nehmen daher zu.
Auch Herz- und Kreislauferkrankungen werden häufiger - bedingt unter anderem durch veränderte Lebensgewohnheiten der wachsenden Mittelschicht. Deren finanzielle Möglichkeiten steigen und erhöhen den Spielraum sowohl für die staatliche Versorgung als auch für die privaten Gesundheitsausgaben.
Die gesamten Gesundheitsausgaben pro Kopf sind in den vergangenen Jahren kräftig gestiegen, variieren aber deutlich innerhalb der ASEAN. Laut Angaben von Fitch Solutions betrugen sie im Jahr 2018 in Singapur über 3.200 US$, in den anderen Ländern hingegen unter 700 US$. In den am wenigsten entwickelten Ländern der Region - Kambodscha, Laos und Myanmar – lagen sie sogar bei weniger als 100 US$.
Alle ASEAN-Regierungen setzen auf die Einführung beziehungsweise Ausweitung staatlicher Absicherung im Krankheitsfall: Thailand, Malaysia, Singapur und Brunei haben annähernd 100 Prozent ihrer Bevölkerung abgedeckt; Vietnam, die Philippinen und Indonesien erfassen mit sozialer (Pflicht-) Krankenversicherung bereits drei Viertel oder mehr. Teilweise sind die abgesicherten Leistungen allerdings noch begrenzt oder erfordern einen hohen Eigenanteil. In sechs ASEAN-Staaten gibt es umfassende Leistungspakete: Brunei Darussalam, Indonesien, Malaysia, Singapur, Thailand und Vietnam.
Die wachsenden Mittelschichten finanzieren ihre Gesundheit außerdem mit noch recht hohen direkten Out-of-pocket-Zahlungen, zunehmend aber auch mit privaten Krankenversicherungen. Alle drei Finanzierungsmechanismen - die soziale Krankenversicherung, die Privatversicherung und die aktuell noch hohen Direktzahlungen - führen zu einer Steigerung der Nachfrage nach mehr und besseren Gesundheitsdiensten durch größere Bevölkerungsteile.
Die Infrastruktur schränkt den physischen Zugang zu Gesundheitsleistungen ein. So stehen in Malaysia, Singapur, Thailand und Vietnam 1.000 Einwohnern im Durchschnitt nur zwei bis drei Krankenhausbetten zur Verfügung. Damit liegen die Länder zwar gleichauf mit Dänemark oder dem Vereinigten Königreich, aber deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von knapp fünf Betten. Die anderen Länder der Region kommen sogar nur auf rund ein Bett pro 1.000 Einwohner.
Neben der Anzahl ist auch die regionale Verteilung der Einrichtungen problematisch. Für einen Besuch in einem Krankenhaus müssen die Menschen in abgelegenen Regionen oft lange Anfahrten in die Städte auf sich nehmen, und Spezialkliniken befinden sich – wenn überhaupt - in der Regel nur in den großen Metropolen. Um den Andrang auf die städtischen Krankenhäuser zu reduzieren, will unter anderem Vietnam den Ausbau der regionalen Krankenversorgung forcieren. Die Finanzierung der Pläne ist jedoch nicht gesichert; mitunter wird auf Gelder der Entwicklungszusammenarbeit zurückgegriffen.
Bei der Versorgung abgelegener Regionen kommen vermehrt auch Telemedizinlösungen zum Einsatz. In Singapur treiben die zunehmende Behandlung von Patienten in der eigenen Wohnung und der Personalmangel die Nachfrage nach digitalen Technologien und insbesondere mobilen Lösungen an. Die Coronapandemie verstärkt den Trend hin zu telemedizinischen Anwendungen.
Der gesamte Markt für Medizintechnik in der ASEAN soll laut Business Monitor International mit durchschnittlichen jährlichen Raten von knapp 10 Prozent zulegen und bis 2021 eine Größe von 8,5 Milliarden US$ erreichen. Die größte Nachfrage kommt dabei von den öffentlichen Einrichtungen, die in den meisten Mitgliedsstaaten die Grundversorgung sicherstellen.
Die Dynamik geht in der Regel aber von privaten Krankenhäusern und Praxen aus, die zum Teil in modernste Medizintechnik investieren. Wer es sich leisten kann, lässt sich dort behandeln. Eine wichtige Kundengruppe für die privaten Anbieter sind ausländische Patienten. Malaysia, Singapur und Thailand profitieren stark vom Medizintourismus. Insbesondere Thailand verfügt über Einrichtungen mit hohen medizinischen Standards bei vergleichsweise geringen Kosten. Private thailändische Klinikketten engagieren sich auch mit Krankenhausprojekten im Ausland, unter anderem in Kambodscha und Myanmar. Das Land möchte seine starke Stellung im Bereich Gesundheit und Wellness weiter festigen. Dazu gehört auch die anvisierte Entwicklung zum Medical Hub, also zur verstärkten Produktion von Gesundheitsgütern.
Die nationalen Hersteller von Medizintechnikprodukten in der ASEAN beschränken sich bislang zumeist auf Verbrauchsgüter sowie einfachere elektromedizinische Geräte und Krankenhausmöbel. Allerdings haben sich inzwischen viele ausländische (darunter auch deutsche) Branchenfirmen in der Region angesiedelt. Insbesondere Singapur konnte eine Reihe großer Medizintechnik- und Biopharmazie-Firmen mit Investitionen in Produktion sowie Forschung und Entwicklung anziehen. Malaysia hingegen entwickelt sich zu einem Zentrum für Medizintechnik-Auftragsfertigung, und Vietnam profitiert davon, dass internationale Firmen aufgrund niedriger Kosten Teile ihrer Produktion ins Land verlagern.
Der überwiegende Teil der Fertigung geht in den Export. Dies betrifft zum einen hochwertige Geräte, die von ausländischen Firmen vor Ort für ihre internationale Kundschaft hergestellt werden. Zum anderen sind die südostasiatischen Länder überaus wichtige Produzenten von Verbrauchsmaterialien für den Weltmarkt. Malaysia ist zum Beispiel der größte Lieferant von Handschuhen für den medizinischen Gebrauch weltweit. Insgesamt führten die zehn ASEAN-Länder 2018 Medizintechnik im Wert von 10 Milliarden US$ aus.
Gleichzeitig importiert die ASEAN in großem Umfang medizintechnische Produkte für den heimischen Markt – im Jahr 2018 im Wert von 7,4 Milliarden US$. Singapur dient dabei als Drehscheibe der Region. Aus Deutschland bezog die ASEAN 2019 Medizintechnik für 864 Millionen Euro, davon ging ein knappes Drittel allein in den Stadtstaat Singapur. Thailand und Vietnam nahmen 18 beziehungsweise 16 Prozent der Waren ab. Besonders stark gewachsen ist die Nachfrage nach deutscher Medizintechnik in den vergangenen Jahren in Vietnam und Indonesien.
Deutschland stand 2018 zusammen mit China an zweiter Stelle der wichtigsten Medizintechniklieferanten der ASEAN – auf beide Länder entfielen jeweils gut 12 Prozent der südostasiatischen Branchenimporte. Nur aus den Vereinigten Staaten importierten die ASEAN-Länder noch mehr Medizintechnik.
2010 | 2019 | (%) | |
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Deutsche Exporte insgesamt (Mrd. US-Dollar) | 1.268 | 1.493 | +17,7 |
Deutsche Exporte von Medizintechnik (Mio. US-Dollar) | 21.253 | 29.289 | +37,8 |
Deutsche Exporte von Medizintechnik nach ASEAN (Mio. US-Dollar) | 466 | 864 | +85,3 |