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Branchenbericht Brasilien Solarenergie
São Paulo (GTAI) - Die brasilianische Elektrizitätswirtschaft durchläuft einen tiefgreifenden Wandel. Privatisierungen und der Eintritt multinationaler Investoren verändern die Unternehmenslandschaft. Die Abkehr von großen Wasserkraftwerken erfordert den verstärkten Zubau anderer erneuerbarer Energien und Gasturbinenkraftwerke sowie den Ausbau und die Modernisierung der Netze. Infolge des steigenden Strompreises werden Energieeffizienz, der freie Strommarkt und die dezentrale Erzeugung immer wichtiger.
21.06.2018
Brasiliens Stromsektor zieht die Investoren an. Nach einer langen Phase ohne Interessenten nahm der Wettbewerb um die Konzessionen für den Ausbau des Überleitungsnetzes 2017 an Fahrt auf. Die vergebenen Verträge garantieren bis 2020 einen Ausbau um 15.000 Kilometer Transmissionsleitungen. Mitte 2018 sollen weitere 4.000 Kilometer über Konzessionen vergeben werden. Auf das Angebot langfristiger Stromlieferverträge für neue Anlagen mussten die Investoren lange warten. Entsprechend groß war der Andrang bei den beiden Versteigerungen im Dezember. Im April fand eine weitere sehr erfolgreiche Versteigerungsrunde statt, bei der hauptsächlich Solarenergieprojekte zum Zuge kamen.
Im Jahr 2017 vervierfachten sich die Zuströme der ausländischen Direktinvestitionen in den Stromsektor und die Erdgasversorgung. Besonders intensiv steigern die chinesischen Konzerne ihre Marktanteile, vorneweg State Grid und China Three Gorges. Der brasilianische Stromsektor rückte jedoch auch in den Fokus von Investmentfonds und Gesellschaften aus Indien, Frankreich, Spanien und anderen Ländern.
Die Regierung unter Präsident Michel Temer unterstützt die zunehmende Privatisierung des Stromsektors. Öffentliche Stromversorgungsunternehmen der brasilianischen Bundesstaaten, darunter Cemig, Cesp, Copel, CEB und CEEE, verkauften Aktiva beziehungsweise bereiten den Verkauf vor. Die Wahlen im Oktober erschweren die Abstimmung im Nationalkongress über den Verkauf von sechs Verteilungsgesellschaften des staatlichen Großkonzerns Eletrobras im Norden und Nordosten Brasiliens. Die Herausforderung einer Privatisierung von Eletrobras selbst dürfte an die nächste Regierung weitergereicht werden.
Brasiliens Energieversorgung wird zunehmend unabhängiger von großen Wasserkraftwerken. Der Anteil dieses Trägers an der installierten Gesamtleistung ging von 73 Prozent im Jahr 2008 auf mittlerweile 60 Prozent zurück. Die Energieplanungsbehörde Empresa de Pesquisa Energética (EPE) berechnet, dass große Wasserkraftwerke 2026 nur noch etwa die Hälfte der installierten Leistung stellen werden. Der Anteil der erneuerbaren Energien wie Biomasse, Solarenergie und Windkraft soll hingegen von derzeit 17,5 Prozent auf 27 Prozent steigen.
Bis 2026 wird EPE zufolge die installierte Windenergieleistung von derzeit 12 Gigawatt auf 28 Gigawatt und die Solarenergieleistung von derzeit 1 Gigawatt auf knapp 10 Gigawatt zulegen. Die Kapazität aller Biomassekraftwerke soll von derzeit 14 Gigawatt ebenso wie die der Gaskraftwerke von zurzeit 13 Gigawatt auf jeweils -17 Gigawatt steigen.
Nach zwei Jahren rückläufigen Stromverbrauchs stieg der Konsum 2017 wieder. Aber auch die bereits hohen Strompreise legen weiter zu. Infolge von Trockenheit ging die Erzeugung durch Wasserkraftwerke 2017 um 4 Prozent zurück, wodurch die teurere Erzeugung über Gasturbinenkraftwerke um über 20 Prozent gesteigert werden musste. Im Laufe des Jahres 2018 sollen die Tarife um voraussichtlich 15 Prozent angehoben werden.
Die hohen Strompreise am gebundenen Markt animieren immer mehr Verbraucher zum Wechsel in den freien Strommarkt, der mittlerweile fast 30 Prozent der Versorgung ausmacht. Dieser Trend wird sich bei einer Verabschiedung der Reform des Stromsektors noch verstärken. Der Gesetzesvorschlag sieht unter anderem die Öffnung des freien Strommarktes für kleine und mittelständische Unternehmen ab 2026 vor. Derzeit dürfen nur Großverbraucher Strom direkt von den Erzeugern kaufen.
Darüber hinaus treibt der Strompreis den Zubau in der dezentralen Stromerzeugung weiter voran. Im Laufe des Jahres 2017 verdreifachte sich die Zahl der Netzanschlüsse. Mehr als 21.000 Kleinanlagen, überwiegend Solarenergie, erzeugen bereits über 200 Megawatt. Bis 2020 erwartet die Stromregulierungsbehörde eine Zunahme auf etwa 640 Megawatt. Der deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband beobachtet ein stark steigendes Engagement insbesondere der Agrar- und Kreditgenossenschaften, von denen einige nicht nur für den Eigenverbrauch, sondern auch für den Strommarkt Energie erzeugen. Eigens gegründete Energiegenossenschaften gibt es bislang jedoch nur vereinzelt.
Während der Rezession richteten die Unternehmen ihre Aufmerksamkeit auf Kostenreduzierungen und somit auch auf das Thema Energieeffizienz. Großkonsumenten, die im Rahmen der ISO-Norm 50.001 in systematisches Energiemanagement investieren, sorgen für immer mehr Erfolgsbeispiele. Dazu zählt beispielsweise BASF in Guaratinguetá im Bundesstaat São Paulo.
Immer wichtiger für die Energieeffizienz, aber auch für die Netzstabilität bei der zunehmenden dezentralen Erzeugung, wird die Aufrüstung zu Smart Grids. Die Nutzung dieser Technologie beginnt in Brasilien gerade erst. In Barueri stattet der Energieanbieter AES Eletropaulo das Netz mit 62.000 Sensoren aus. Bis 2019 will Lateinamerikas größter Stromanbieter die erste Stadt Brasiliens flächendeckend über ein intelligentes Stromnetz versorgen.
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