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Covid-19 wird die Erstauslieferung des Mittelstrecken-Jets C919 kaum verzögern. Kommt es aber zu US-Lieferboykotten gegen den Hersteller COMAC, steht das Projekt auf der Kippe.
03.12.2020
Von Roland Rohde | Hongkong
China entwickelte einen nahezu unstillbaren Hunger nach neuen Flugzeugen. Daran hat auch die Coronakrise wenig geändert. Für die amerikanische und europäische Flugzeugindustrie sind dies gute Nachrichten. Allerdings wächst im Reich der Mitte auch ein Konkurrent heran: Unter der Federführung des staatlichen Herstellers COMAC wurde ein chinesischer Mittelstrecken-Jet namens C919 entwickelt und gebaut. Bereits vor geraumer Zeit fand der erste Jungfernflug statt.
Laut Recherchen der South China Morning Post steht die Musterzulassung Ende 2020 kurz bevor. Doch die anschließende Lufttüchtigkeitsprüfung durch die Luftfahrtbehörde Civil Aviation Administration of China (CAAC) dürfte sich noch etwas hinziehen. Die ersten Auslieferungen an die Airlines und die Aufnahme des Regelflugbetriebes könnten somit erst Ende 2021/Anfang 2022 erfolgen.
Nach Angaben von COMAC lagen im Mai 2020 insgesamt 815 Bestellungen vor. Die Regionalfluglinie China Express Airlines soll zudem laut Medienberichten den Kauf von weiteren 50 Jets erwägen. Damit entfielen 96 Prozent aller bisherigen Bestellungen auf chinesische Gesellschaften. Im Ausland hält sich die Begeisterung bislang in Grenzen. Es dürfte noch dauern, bis man internationale Airlines von der Sicherheit und Wirtschaftlichkeit des neuen Jets überzeugt hat.
Für die Qualität des Flugzeugs spricht allerdings, dass die Mehrheit der Kernkomponenten von renommierten ausländischen Herstellern stammt. Die Triebwerke werden etwa von einem französisch-amerikanischen Konsortium geliefert, an dem General Electric und Safran zu jeweils 50 Prozent beteiligt sind. Die South China Morning Post hat für zahlreiche wichtige Systeme des neuen Mittelstrecken-Jets internationale Zulieferer ausgemacht. Diese werden auch auf der Webseite von COMAC aufgeführt.
Komponente | Anbieter | Herkunft |
---|---|---|
Flugzeugzelle, Radar, Flügel | AVIC | China |
Triebwerke | General Electric/Safran | USA/Frankreich |
Schubumkehr-Triebwerke | French Aircelle | Frankreich |
Flugsteuerungs- und Kraftstoffsystem | Parker Aerospace | USA |
Flügelenteisung, Fahrwerks- und Luftmanagementsystem | Liebherr | Deutschland |
Flugschreiber | General Electric | USA |
Wetterradar, Simulationssysteme | Rockwell Collins | USA |
Elektrisches System, Hilfsstromaggregate, Fahrwerk | Honeywell | USA |
Cockpit | Eaton | USA |
Reifen | Michelin | USA |
Gate Signals | Crane Aerospace & Electronics | USA |
Feuermeldesystem | Kidde | Vereinigtes Königreich |
Der Handelsstreit zwischen den Vereinigten Staaten und China hat dem Projekt bislang nicht viel anhaben können. US-Lieferverbote für chinesische Firmen konzentrierten sich vor allem auf die Branche der Informations- und Kommunikationstechnologie. Laut Meldungen der Nachrichtenagentur Reuters von Ende November 2020 beabsichtigt Präsident Donald Trump aber, in seinen letzten Amtstagen noch Lieferboykotte gegen eine Reihe von chinesischen Unternehmen zu verhängen. COMAC und AVIC (ein chinesischer Zulieferer für den C919) sollen sich dabei auf der schwarzen Liste befinden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete kürzlich, in Beijing habe angesichts der drohenden Sanktionen bereits ein Krisentreffen stattgefunden. Man sei sich einig, dass sich die Massenproduktion des C919 dank Donald Trump erheblich verzögern werde.
Ob die drohenden Maßnahmen unter der Präsidentschaft von Joe Biden aufrecht erhalten bleiben, steht auf einem anderen Blatt. Zwar hat er ebenfalls eine harte Gangart gegenüber Beijing angekündigt. Doch die Lieferboykotte würden auch die ohnehin unter sinkenden Geschäften leidenden amerikanischen Unternehmen stark treffen, denn sie sind die Hauptzulieferer für den chinesischen Mittelstrecken-Jet. Auf chinesischer Seite müsste gegebenenfalls auf europäische Zulieferer ausgewichen werden. Doch ob das die US-Seite klaglos zulässt, ist ebenfalls unsicher. Letztendlich könnte damit das Gesamtprojekt auf der Kippe stehen.
Selbst wenn alles nicht so schlimm kommt, sind die Marktchancen des neuen chinesischen Jets nicht nur im Ausland schwer abschätzbar. Auch im Inland dürften die Airlines auf absehbare Zeit eine Mischflotte aus Maschinen von Airbus, Boeing und COMAC unterhalten. Zu groß ist andernfalls das Risiko, dass ein Jet plötzlich aufgrund von Sicherheitsmängeln ausfallen könnte.
Der größte Wettbewerbsvorteil des C919 soll der Preis sein. Er liegt laut Angaben der South China Morning Post bei weniger als 50 Millionen US-Dollar (US$). Vergleichbare Modelle von Boeing oder Airbus wären damit gemäß Listenpreis doppelt so teuer. Allerdings gewähren die Hersteller aus den USA und Europa ihren Kunden bei Großbestellungen hohe Rabatte.
Außerdem stellt sich die Frage, wie sich angesichts des hohen Wertanteils ausländischer Komponenten beim C919 die Preise der internationalen Konkurrenz rein rechnerisch so stark unterbieten lassen. In dieser Hinsicht könnte China frische Munition für den weiteren Verlauf des Handelskonflikts liefern, wenn es seine neuen Jets mit hohen Subventionen auf den Weltmarkt drückt.
Chinesische Hersteller denken sehr langfristig und entwickeln bereits einen Großraumjet namens CR929. COMAC tritt auf chinesischer Seite wiederum als federführender Partner auf. Mit der russischen United Aircraft Corporation gründete der Staatsbetrieb bereits ein Joint Venture. Gemäß Angaben von China Daily wurde die Stufe des konzeptionellen Designs im Herbst 2019 abgeschlossen. Seitdem liefen Verhandlungen mit potenziellen Zulieferern. General Electric und Rolls Royce werden dabei als mögliche Lieferanten von Triebwerken genannt.
COMAC hat im Übrigen auch einen Regionaljet namens ARJ21 im Angebot. Doch gilt er unter Luftfahrtexperten technisch als nicht wettbewerbsfähig. Auch die Fertigungskapazitäten waren anfänglich zu gering. Seit seiner Indienststellung Anfang 2019 wurden trotz voller Auftragsbücher lediglich drei Dutzend Maschinen ausgeliefert. Anfang 2020 wurde daher eine zweite Produktionsfabrik eröffnet.
Name | ARJ21 | C919 | CR929 |
---|---|---|---|
Typ | Regionaljet | Mittelstrecken-Jet (Single aisle) | Großraumjet (Dual aisle) |
Status | Flugbetrieb seit Anfang 2019 | Erstauslieferung Ende 2021/Anfang 2022 (im Falle von US-Lieferboykotten wesentlich später) | Frühes Entwicklungsstadium; Markeinführung nicht vor 2030 |
Sitze | 78 bis 90 | 158 bis 168 | 280 (Standardversion; kürzere und längere Version in Planung) |
Reichweite (in km) | 2.225 bis 3.700 | 4.075 bis 5.555 | 12.000 |
Kommerzieller Erfolg | 37 Auslieferungen, 616 Bestellungen, international nicht wettbewerbsfähig | 815 Bestellungen | - |