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Auf der einen Seite wandert lohnintensive Fertigung aus der Exportprovinz Guangdong ab. Auf der anderen Seite investieren die verbleibenden Betriebe kräftig in ihre Maschinenparks.
29.01.2021
Von Roland Rohde | Hongkong
In der südlichen Provinz Guangdong schlägt das Herz der chinesischen Exportindustrie. Durch die Bildung der sogenannten Greater Bay Area (GBA) hat die Region weiter an Dynamik hinzugewonnen. Es handelt sich dabei um neun besonders wohlhabende Städte und Kreise in der Provinz sowie um die beiden Sonderverwaltungsregionen (SVR) Hongkong und Macau. Die Zentralregierung pusht die Region, denn hier soll langfristig das Silicon Valley Chinas entstehen.
Die Initiative hat für zusätzliche Impulse und Geschäftsmöglichkeiten gesorgt. Doch bezogen auf die Exportindustrie bedeutet das: Man will hier keine einfachen Lohnveredler mehr haben. Halbleiter statt Taschenrechner, Hightech-Textilien statt T-Shirts, heißt die Devise. Letztendlich ist das keine völlig neue Entwicklung. Schon seit vielen Jahren wandert die lohnintensive Fertigung einfacher Produkte wie Möbel, Keramik, Bekleidung oder Spielzeug entweder ins Landesinnere oder in Billiglohnländer ab.
Infolge des Handelskonfliktes zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik hat der Verlagerungsprozess zusätzlichen Rückenwind erhalten. Logistiker, Banken und Industrieverbände in Hongkong berichteten einstimmig, dass Fertigung im großen Stil nach Südostasien verlagert wurde. Das in der SVR beheimatete Handelshaus Li & Fung half seinen Kunden laut dem Geschäftsbericht aus dem Jahr 2019, die Abhängigkeit von chinesischen Zulieferungen zu reduzieren. In einem Fall fiel die entsprechende Quote innerhalb von zwei Jahren sogar von 70 auf 20 Prozent.
Vietnam hat sich als großer Gewinner des Zollstreits zwischen den USA und China erwiesen. Nach Aussagen von Landeskennern gab es einen regen Zustrom an ausländischen Investitionen. Dabei floss viel Geld in die Fertigung einfacher, arbeitsintensiver Produkte. Doch der Verlagerungsprozess erstreckte sich auch auf den Hightech-Sektor und auf entwickelte Länder. Ein Programm Taiwans, Unternehmen aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik zurück in die Heimat zu holen, übertraf 2019/20 alle Erwartungen. Südkorea und Japan haben inzwischen ähnliche Initiativen aufgelegt.
Die Coronapandemie hat zudem das Bewusstsein in Europa und Nordamerika bezüglich der Sensibilität von Wertschöpfungsketten erhöht. Firmen sind zunehmend bemüht, ihr Länderrisiko zu minimieren. Kritische Komponenten sollen nicht mehr nur aus einer einzigen Quelle kommen. Letztendlich ist Chinas Wirtschaft aber gestärkt aus der Krise hervorgegangen. Viel früher als der Rest der Welt konnte das Reich der Mitte weitgehend zur Normalität übergehen.
Trotz aller negativen Nachrichten darf nicht vergessen werden, dass in vielen Branchen zum Beschaffungsmarkt und Produktionsstandort China mittelfristig die Alternativen fehlen. Immerhin bietet das Land entscheidende Standortvorteile. Dazu zählen die moderne Infrastruktur, die breite industrielle Basis und ein großer Pool an Arbeitskräften. Da können andere Länder in der Region nicht mithalten. Selbst in Vietnam fehlt immer noch eine breit gefächerte Zulieferindustrie.
Letztendlich haben sich die wenigsten Produzenten komplett aus der Volksrepublik verabschiedet. Viele haben nur Teile ihrer Fertigung verlagert und insbesondere hochwertige Arbeitsschritte in China belassen. Wer preislich wettbewerbsfähig bleiben möchte, muss allerdings ständig in die Modernisierung und Automatisierung seines Maschinenparks investieren. Somit bleibt die Nachfrage nach Fertigungstechnik insgesamt betrachtet hoch.
Laut einem Bericht der South China Morning Post (SCMP) wurden 2020 landesweit rund 169.000 Industrieroboter installiert, ein Plus von einem Fünftel gegenüber dem Vorjahr. Gemäß Angaben der International Federation of Robotics lag China 2019 mit gut 140.000 neu installierten Einheiten weltweit gesehen mit weitem Abstand an der Spitze. Gemessen an der Roboterdichte erreichte die Volksrepublik aber nur Rang 15. In diesem Bereich besteht noch ein hoher Nachholbedarf.
Der in Guangdong beheimatete Hersteller von intelligenter Fertigungstechnologie, Topstar Technology, erwartet laut Angaben von SCMP, dass die Anzahl seiner Kunden 2021 um 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 15.000 steigen werde. Auch Industriebetriebe berichten von einem steigenden Automatisierungsbedarf. Dabei kommen die Anstöße teils aus unerwarteten Richtungen. Wie ein in Guangdong produzierender deutscher Süßwarenhersteller erläuterte, fände man keine Arbeiter mehr, die bereit seien, Nachtschichten zu übernehmen. Das Arbeitsethos der chinesischen Wanderarbeiter hat sich scheinbar fundamental gewandelt.
Der deutsche Produzent wird seine Produktion daher 2021 wohl oder übel stärker automatisieren müssen. Dabei seien technische und logistische Probleme nicht die eigentliche Herausforderung. Vielmehr sei es außerdem schwierig, geeignete Maschinenführer zu finden. In China gibt es keine Facharbeiterausbildung nach deutschem Maßstab. Die SCMP berichtete, dass es in der chinesischen Nahrungsmittelindustrie ebenfalls einen Automatisierungsboom gebe.
Die immer noch hohe Nachfrage nach Maschinen und Fertigungstechnologie vonseiten der südchinesischen Exportindustrie lässt sich in der Hongkonger Zollstatistik ablesen. Investoren aus der ehemaligen britischen Kolonie besitzen Zehntausende von Fabriken in der Provinz Guangdong. Die Beschaffung der Kapitalgüter wickeln sie dabei zumeist über ihr Hauptquartier in der SVR ab.
Laut Angaben des Hongkonger Statistikamtes stiegen die Reexporte von Maschinen und Anlagen nach China 2020 um 1,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 11,2 Milliarden US-Dollar (US$). In diesen Warenströmen sind jedoch auch Flugzeugtriebwerke enthalten. Ohne diese (sehr große) Position, gingen die entsprechenden Branchenlieferungen in die Volksrepublik 2020 um 6,3 Prozent auf 7 Milliarden US$ zurück.