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ChinaArzneimittel, Diagnostika
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Branchenbericht China Arzneimittel, Diagnostika
20.11.2019
Beijing (GTAI) - Mit einer Reihe administrativer Maßnahmen versucht die chinesische Regierung, die Arzneimittelsicherheit zu erhöhen und die steigenden Kosten in den Griff zu bekommen.
Im Vordergrund der chinesischen Gesundheitspolitik stehen derzeit zwei Fragen: Wie lässt sich das durch zahlreiche Skandale (etwa um gepanschte Impfstoffe) verlorengegangene Verbrauchervertrauen in lokale Erzeugnisse wiederherstellen und wie lassen sich die stark steigenden Kosten in den Griff bekommen?
Ersteres hat, abgesehen von der notwendigen Erhöhung der Arzneimittelsicherheit, überdies eine politische Dimension: Nur wenn die Patienten freiwillig lokale Arzneimittel solchen mit ausländischem Hintergrund vorziehen, kann die strategisch angestrebte Substitution ausländischer Arzneimittel durch lokale Erzeugnisse gelingen.
Darüber hinaus leidet die Volksrepublik an explodierenden Gesundheitsausgaben. Zugleich haben viele Chinesen wegen der hohen Behandlungskosten Angst davor, krank zu werden. Denn obwohl inzwischen laut offizieller Statistik fast 95 Prozent aller Einwohner von einer Krankenversicherung erfasst sind, deckt diese im Ernstfall bei Weitem nicht alle Kosten ab. Geringere Ausgaben - etwa für Arzneimittel - könnten mehr Menschen eine Behandlung ermöglichen.
Ein wichtiger Schritt für die Erhöhung der Arzneimittelsicherheit war die Zusammenführung verschiedener Zuständigkeiten unter dem Dach einer einzigen Institution: Seit März 2018 gehört der Bereich der Arzneimittelüberwachung zum Aufgabengebiet der neu geschaffenen, auch für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Superbehörde State Administration for Market Regulation (SAMR). Dem SAMR nachgeordnet ist das bereits genannte, aus der Chinese Food and Drug Administration staatliche hervorgegangene Zentralamt für Arzneimittelüberwachung (National Medical Products Administration; NMPA). Ihm obliegt unter anderem die Neuzulassung von Medikamenten.
Darüber hinaus wurde das Gesundheitsministerium in die National Health Commission umstrukturiert mit den Hauptaufgaben der Planung, Verwaltung und Regulierung öffentlicher Dienstleistungen im Gesundheitswesen. Außerdem erhielt die Kommission zusätzlich den Bereich der Altenpflege und der Tabakkontrolle.
Zu den Maßnahmen, die Kosten zu senken, zählen die Ausschaltung von Zwischenhändlern, Importzollreduktionen, eine Reform des Krankenabrechnungssystems sowie gebündelte Beschaffungen.
Seit 2017 wird im Arzneimittelhandel die "Zwei-Quittungs"-Politik (Liang Piao Zhi) umgesetzt. Sie beruht auf der Ausschaltung des Zwischenhandels. Auf dem Weg der Arznei vom Hersteller zum Endkunden sollen nur noch zwei Quittungen ausgestellt werden: vom Hersteller zum Händler und vom Händler an das Krankenhaus.
Eine 2018 begonnene Reduktion der Zollsätze für medizinische Rohstoffe, aber auch für ausgewählte Arzneimittel (zum Beispiel zur Krebsbekämpfung), soll die Behandlungskosten senken und die lokalen Firmen zu mehr Innovation bewegen. So wurden ab 1.Januar 2019 die Zollsätze für 63 verschiedene unverpackte Arzneimittel komplett abgeschafft (Zollsatz null). Hierzu gehören etwa das Antikrebsmittel Oxaliplatin sowie Penicillamine zur Rheumabehandlung.
Darüber hinaus wurde 2018 der Mehrwertsteuersatz (Value-added Tax, VAT) für ausgewählte Krebsmedikamente und 2019 für 21 Medikamente (plus vier undosierte Wirkstoffe/Bulk) gegen seltene Krankheiten von 17 auf 3 Prozent heruntergesetzt.
Vor Beginn der chinesischen Gesundheitsreform im Jahr 2008, schrieb The Lancet, lag der Anteil der Arzneimittelausgaben an den Gesamtgesundheitsausgaben bei 41 Prozent - während sich der Weltdurchschnitt gemäß OECD bei 16 Prozent bewegte. Darüber hinaus verdienten die Krankenhäuser gut an High-Tech-Tests und verschreibungspflichtigen Medikamenten, an die wiederum die Gehälter der Ärzte geknüpft waren. In der Folge wurden vielen Patienten zu teure oder unnötige Präparate verschrieben. Dies war nicht nur ihrer Gesundheit abträglich, sondern ließ überdies, da es sich nicht selten um Antibiotika handelte, die weltweit steigende Gefahr von Antibiotika-Resistenzen weiter anschwellen.
Zwischen 2012 und 2015 führte die Regierung die "Zero-Markup Drug Policy" ein, womit etwa der 15-Prozent-Aufschlag auf verschriebene Medikamente abgeschafft wurde. Zugleich wurden die Gebühren für arbeitsintensive Dienstleistungen (wie ärztliche Konsultationen und Pflege) erhöht und die Gebühren für Diagnose-Tests gesenkt. In der Folge reduzierte sich der Anteil an den Gesundheitsausgaben laut China Health Statistical Digest und National Health Commission bis 2016 auf 35,8 Prozent.
Nach wie vor finden viele Ärzte Wege, am Verkauf der von ihnen verschriebenen Medikamente mitzuverdienen - und sind wegen vergleichsweise niedriger Einkommen nicht selten auf solche Schlupflöcher angewiesen. Entsprechend gering ist nach wie vor das Vertrauen der Patienten.
Andererseits kommt es immer wieder zu Arzneimittelengpässen, berichtete die China Daily im August 2019. Betroffen waren beispielsweise Nitroglycerin-, Tretinoin- oder Allopurinol-Präparate. Der Staatsrat reagierte und veröffentlichte am 11. Oktober 2019 seine "Opinions on ensuring steady supply and stable price drugs in shortage", wobei diese "Meinungsäußerung" in der Praxis durchaus verbindlichen Charakter hat. Danach dürfen Unternehmen bei Arzneimitteln, die auf einer landesweiten oder provinzweiten Knappheitsliste stehen, Preisangebote unterbreiten.
Die Hoffnung ist, dass die Hersteller über hierbei zu erzielende höhere Preise einen Anreiz erhalten, mehr der knapp gewordenen Arzneimittel auf den Markt zu bringen. Allerdings sollen die Bäume nicht zu hoch in den Himmel wachsen. Um Missbrauch zu vermeiden, soll zugleich verstärkt gegen Monopole und illegale Preisabsprachen vorgegangen werden. Tatsächlich könnten zu aggressive Preisdämpfungsmaßnahmen die Innovationsbereitschaft der Arzneimittelfirmen senken.
Angesichts der Vehemenz, mit der China seine Pharmabranche national und international positioniert, und dem politischen Ziel, auch im Pharmasektor möglichst autark zu sein, werden es internationale Firmen auf lange Sicht schwerer haben. Allerdings wird es aufgrund des hohen Misstrauens, das in China gegenüber lokalen Produkten herrscht, zumindest absehbar immer eine Nische für ausländische Markenhersteller geben.
"Gegenwärtig braucht China unsere Produkte", so der Mitarbeiter eines deutschen Pharmaunternehmens. "Die chinesischen Patienten sind mit den gegenwärtigen Behandlungsmöglichkeiten nicht zufrieden, deshalb sehen wir jetzt einen deutlich verbesserten Marktzugang." Mit anderen Worten: "Die Regierung will uns, weil die Patienten uns wollen."
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