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Nach Covid-19 ist wie vor Covid-19 – nur anders: Michael Kruppe, General Manager des Shanghai New International Expo Centre (SNIEC) im Gespräch mit GTAI über Messen in Shanghai.
09.06.2020
Von Corinne Abele | Shanghai
Wann war Ihre letzte Messeveranstaltung vor dem Ausbruch des Coronavirus auf dem SNIEC-Gelände? Gibt es schon einen Termin für die erste Post-Covid-19-Messe?
Unsere letzte Messe vor der Pandemie war die Marintec China im Dezember 2019. Seither mussten wir rund 40 Messen absagen. Die Entscheidungsbefugnis liegt dabei allein bei der Wirtschaftsabteilung der Stadt Shanghai. Nun wird die Halbleitermesse Semicon China als erste Messe Ende Juni 2020 auf unserem Gelände stattfinden. Bislang ist rund die Hälfte unserer Einnahmen weggebrochen. Bis zum Jahresende 2020 sollten wir jedoch 50 bis 70 Prozent des Vorjahresniveaus erreichen können.
Manche sehen digitale Messen als Alternative. Welche Erfahrungen hat SNIEC damit gemacht?
Natürlich begleiten wir den digitalen Trend, aber wir gehen nicht von einer massiven Veränderung der Märkte aus.
Dass der persönliche Austausch auf Messen in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten ersetzt werden kann, sehe ich nicht.
Hier und da wird es Hybridversuche geben, Online- und Offline-Formate miteinander zu verbinden. Damit tatsächlich Geld zu verdienen, ist jedoch schwierig. Nach meiner Einschätzung dürften die damit erzielten Einnahmen in den nächsten fünf Jahren einen Umsatzanteil von höchstens 10 Prozent erreichen.
Schon vor Covid-19 hat die Regierung die Bereiche E-Commerce und Digitalisierung stark vorangetrieben. Jetzt ist eine gute Möglichkeit, diese Trends auch im Messewesen zu testen. SNIEC ist seit Mai 2020 vollständig auf 5G umgerüstet. Wir sind quasi auf Stand-by. Auch denken wir darüber nach, zwei Hallen zu "virtuellen Hallen" umzurüsten. Firmen könnten sie als permanente Showrooms und auch für Online-Messen nutzen.
Covid-19 beschleunigt die Digitalisierung. Müssen auch Messeveranstalter digital aufrüsten, um beispielsweise stärkeres digitales Tracking von Besuchern und Ausstellern zu ermöglichen?
Auch das war bereits vor Covid-19 ein Thema. Die Antwort lautet daher bereits seit etwa sechs Jahren "Ja". Besucher-Tracking können wir schon lange. Aber keiner hat bislang ein richtiges Geschäftsmodell, wie damit Einkünfte zu erzielen sind.
Den Besucherstrom mithilfe von Gesichtserkennung nachzuverfolgen, wird kommen. Wir können uns dieser Quasi-Auflage als öffentlicher Veranstaltungsort nicht entziehen.
Unser Joint Venture-Partner, die Lujiazui Development Group, ist direkt unter der Shanghaier Regierung angesiedelt.
Chinas Internetgiganten sind nicht zu bremsen. Sehen Sie in ihnen neue Wettbewerber im Messewesen?
Sie sind bereits da. Erst kürzlich war ich zur Gründung des digitalen Messe-Joint Ventures von Alibaba und der Stadt Shanghai eingeladen. Bereits zuvor konnte ich mich einmal persönlich mit Jack Ma (Anmerkung: Gründer von Alibaba) unterhalten. Von der Finanzierungsseite ist das für die Internetgiganten alles kein Problem. Aber sie wissen kaum wie digitale Messen funktionieren – geschweige denn physische Messen. Sie können nicht Firmen und Branchen so zusammenbringen, dass konkrete Lösungen und neue Produkte entstehen. Erst danach kommen digitale Plattformen ins Spiel. Daher sehe ich das physische Messewesen als Industrie auch für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre bestätigt. Sind die Produkte und Lösungen da, dann kommen die elektronischen Plattformen ins Spiel.
Viele Messen in Shanghai wurden durch den Covid-19-Ausbruch vom Frühjahr 2020 in den Herbst verschoben. Ist das realistisch?
Absolut. Wir haben jetzt grünes Licht von der Regierung erhalten und unser Kalender ist im 2. Halbjahr 2020 voller als ursprünglich geplant. Die Reisebeschränkungen bleiben natürlich ein Problem. Manche Messen werden dies mit lokalen Besuchern und Ausstellern kompensieren können, andere nicht.
Aber obwohl 70 bis 80 Prozent der Messen von SNIEC internationale Messen sind, kamen im letzten Jahr mindestens 90 Prozent der 8 Millionen Besucher aus China, etwa 5 Prozent aus Asien und nur etwa 2 bis 3 Prozent aus westlichen Ländern. Insgesamt ist die Lücke daher gering. Hinzu kommt, dass alle großen internationalen Firmen in China vertreten sind. Anstatt des Managers aus Frankfurt kommt dann einfach der Kollege aus Dalian, Hangzhou oder Shanghai zur Messe. Ich gehe davon aus, maximal 10 bis 20 Prozent der Besucher zu verlieren.
Herr Kruppe, Sie sind Optimist. Gelingt der internationalen Messebranche in Shanghai noch 2020 der Wiedereinstieg in eine Art Normalität?
Ich bin da zuversichtlich. Wir haben mit der Regierung fast täglich Protokolle und Abläufe besprochen, um am "Tag X" fertig zu sein und – wie der Trailer des SNIEC zeigt – den Besuchern eine sichere Messe bieten zu können. Die Verantwortung dafür tragen Veranstalter und Betreiber des Messegeländes gemeinsam. Natürlich werden Masken verfügbar sein und bei jedem Besucher über Infrarot-Einrichtungen Fieber gemessen. Auch wird die Besucherzahl in den einzelnen Hallen begrenzt sein. Aber eine für jede Messe gültige Formel gibt es nicht.
Die Veranstaltungen – denken Sie nur an reine Fachmessen wie die Marintec oder an Publikumsmessen wie die China Joy – sind einfach zu unterschiedlich. Aber irgendwann werden die Abläufe und Kontrollen Standard werden. Und ihr Erfolg hängt dann letztlich vom Verhalten der Menschen ab.
Ich bin seit 30 Jahren in China und habe viele verschiedene Normalitäten miterlebt, die sich immer wieder verändert haben. Wir werden auch jetzt wieder eine neue Normalität erreichen.
Herr Kruppe, ich bedanke mich für das Gespräch.
Das Interview führte Corinne Abele in Shanghai.
Anmerkung: Das Messegelände Shanghai New International Expo Centre (SNIEC) ist ein 50:50-Joint Venture zwischen der Messe München, Messe Düsseldorf und Messe Hannover einerseits und der Shanghai Lujiazui Development Group andererseits. Dies ist in dieser Form in China einmalig. Mit einer Auslastungsquote von 75 Prozent ist SNIEC in dieser Kategorie Weltmarktführer. Im Dezember 2019 feierte es sein zwanzigjähriges Bestehen.