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Die Kombination von Wind und Solar könnte neuen Schwung in den Ausbau der erneuerbaren Energien in Indien bringen. Bis 2023 sollen Hybridanlagen mit 12 Gigawatt ans Netz gehen.
21.12.2020
Von Boris Alex | New Delhi
Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Indien hat sich 2020 vor allem wegen der Corona-Pandemie verlangsamt. In den ersten sechs Monaten des laufenden Finanzjahres 2020/21 (1. April bis 31. März) gingen Wind- und Solaranlagen mit einer Leistung von 2,2 Gigawatt (GW) ans Netz - gerade einmal halb soviel wie im Vorjahreszeitraum. Ende November belief sich die installierte Kapazität aller erneuerbaren Energien auf rund 90 GW. Damit sind die ambitionierten Ziele der Regierung mit 175 GW bis 2022 und 450 GW bis 2030 in weite Ferne gerückt. Die Ratingagentur ICRA erwartet bis 2025 eine netzgebunden Leistung von höchstens 160 GW. Um dieses Ziel zu erreichen, sind Investitionen von umgerechnet 45 Milliarden Euro notwendig, so ICRA.
Im 2. Halbjahr 2020/21 dürfte der Zubau allerdings wieder an Fahrt gewinnen, da die im Zuge der Coronakrise gestörten Lieferketten inzwischen weitgehend wiederhergestellt sind und die Arbeit an den meisten der vorübergehend gestoppten Wind- und Solarprojekten weiterläuft. Für das gesamte Finanzjahr erwartet ICRA daher Neukapazitäten von bis zu 8 GW, davon entfallen 6 GW auf Photovoltaik und 2 GW auf Windkraft. Damit könnte die Solarenergie erstmals an der der Windkraft vorbeiziehen. Ende November lag ihr Anteil an den gesamten Erzeugungskapazitäten mit 41 Prozent noch zwei Prozentpunkte hinter der Windenergie. Für 2021/22 erwartet ICRA beim Zubau einen weiteren Anstieg auf 11 GW.
Doch nicht nur die Coronakrise macht der Branche zu schaffen. Seit der Einführung von Rückwärtsauktionen im Jahr 2017, bei denen der Bieter mit dem niedrigsten Abgabepreis pro Kilowattstunde (KWh) den Zuschlag erhält, hat sich der Wettbewerb in der indischen Wind- und Solarbranche verschärft. Der Preisverfall erreichte im November 2020 einen neuen Tiefststand: Bei der Ausschreibung von zwei Solarparks mit einer Leistung in Höhe von 200 beziehungsweise 400 Megawatt (MW) erhielt das Konsortium von Aljomaih Energy and Water Company (Saudi-Arabien) und Green Infra Wind Energy (gehört zu Sembcorp Singapur) mit einem Abgabepreis von 2 indischen Rupien (iR) pro KWh - umgerechnet 0,0224 Euro - den Zuschlag. Bis dahin lagt der niedrigste bezuschlagte Angebotspreis bei 2,44 iR.
Um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben, setzt die indische Regierung zunehmend auch auf technologieoffene Ausschreibungen. Das Marktpotenzial für Wind-Solar-Hybridanlagen wurde bislang kaum erschlossen, so die Einschätzung des Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA). Ende 2020 lagen die netzgebundenen Kapazitäten solcher Anlagen bei gerade einmal 150 MW. Diese könnten aber bis 2023 auf fast 12 GW steigen, prognostiziert das Forschungsinstitut. Aktuell befinden sich Vorhaben mit einer Leistung von 3,5 GW in der Projektpipeline. Berechnungen von IEEFA zufolge dürfte der Wirkungsgrad (Capacity Utilisation Factor) von Hybridanlagen mit 35 bis 50 Prozent deutlich über den von reinen Solar- und Windparks liegen. Die Investitionskosten pro MW bewegen sich mit gut 500.000 Euro ziemlich genau in der Mitte der beiden Standalone-Alternativen.
Im Mai 2018 hatte das Ministry of New and Renewable Energy (MNRE) in seiner National Wind Solar Hybrid Policy erstmals die Richtlinien für Hybrid-Projekte formuliert. Seitdem wurden Vorhaben mit einer Kapazität von insgesamt 2.500 MW durch die zuständige Vergabestelle Solar Energy Corporation of India (SECI) ausgeschrieben, allerdings bislang nur 1.440 MW vergeben. Ende November 2020 hatte das MNRE weitere 19 Standorte, an denen Wind-Solar-Hybrid- sowie reine Windparks entwickelt werden können, bekannt gegeben. Diese verteilen sich auf sieben Bundesstaaten, davon fünf in Gujarat, jeweils vier in Tamil Nadu und Karnataka, je zwei in Rajasthan und Telangana und jeweils einer in Madhya Pradesh und Andhra Pradesh. Die Anlagen sollten über eine Kapazität von mindestens 500 MW verfügen. Das Potenzial für die Standorte beziffert das Ministerium auf insgesamt 54 GW.
Doch nicht nur die Zentralregierung setzt auf die Kombination von Wind- und Solarenergie. Im westindischen Bundesstaat Gujarat - einem der Vorreiter insbesondere bei der Windenergie - legte Premierminister Narendra Modi im Dezember 2020 im Distrikt Kutch den Grundstein für eines der größten Vorhaben im Bereich erneuerbare Energien weltweit. Dort sollen in den nächsten Jahren Wind-Solar-Hybrid- und Windparks mit einer Leistung in Höhe von 30 GW entstehen.
Eine Reihe von Investoren haben bereits ihr Interesse bekundet. Der indische Projektentwickler Adani Green will Hybridanlagen mit einer Leistung von insgesamt 9.500 MW, Sarjan Realities (Suzlon) und die National Thermal Power Corporation (NTPC) mit jeweils 4.750 MW bauen. Die beiden regionalen Energieversorger Gujarat State Electricity Corporation und Gujarat Industries Power Company planen Wind-Solar-Hybrid-Parks mit Kapazitäten in Höhe von 3.325 MW und 2.375 MW.
Ob die Vorhaben im geplanten Zeit- und Kostenrahmen realisiert werden, bleibt abzuwarten. Der Landerwerb für Windparks und Freiflächenanlagen kann langwierig sein und so die Investitionskosten nach oben treiben. Auf der technischen Seite steht dem Ausbau der erneuerbaren Energien die mangelhafte Netzinfrastruktur im Weg. Die Einspeisung aus vielen dezentralen Kleinanlagen in das auf Großkraftwerke ausgelegte Übertragungs- und Verteilungsnetz wird immer mehr zum Flaschenhals für die Projektentwickler. Angesichts des schwierigen konjunkturellen Umfelds durch die Coronakrise dürfte sich zudem die Projektfinanzierung für die Investoren schwieriger gestalten, so die Einschätzung des Forschungsinstituts IEEFA.