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Ob Agrarrohstoffe oder verarbeitete Nahrungsmittel: Indonesien kann sich nicht selbst ernähren. Der streng regulierte Importmarkt muss sich weiter öffnen.
09.12.2020
Von Frank Malerius | Jakarta
In den ersten neun Monaten 2020 sanken Indonesiens Warenimporte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 18,2 Prozent. Von allen größeren Produktbereichen wurden nur Nahrungsmittel in größerem Umfang als zuvor eingeführt. Grund sind Versorgungsengpässe bei mehreren Grundnahrungsmitteln während der Coronapandemie und ein daraus resultierender Ausbau der Vorratshaltung. Zeitweise wurden dafür Einfuhrbeschränkungen außer Kraft gesetzt.
Dieses Plus bei den Nahrungsmitteleinfuhren gegen den allgemeinen Trend ist zwar nur eine Momentaufnahme, weist aber auf eine langfristige Entwicklung hin: Denn das Land muss immer mehr Nahrungsmittel importieren. Der letzte Außenhandelsüberschuss in dieser Produktgruppe datiert von 2006.
Bei allen Grundnahrungsmitteln ist der Archipel auf Einfuhren angewiesen, selbst die traditionelle heimische Küche ist in hohem Maße importabhängig. Reis muss bei schlechten Ernten auf dem Weltmarkt eingekauft werden. Die beliebten Instant-Nudeln werden aus Weizen herstellt, der im Land nicht angebaut wird. Nahezu der gesamte Knoblauch kommt aus China, und das Nationalgericht Tempeh (fermentierter Sojafladen) wird vor allem mit Soja aus den USA hergestellt. Zudem ist das Land weltgrößter Zuckerimporteur.
Im regionalen Vergleich sind die Nahrungsmittelimporte zwar noch gering. So lagen sie im Jahr 2019 nur um etwa 20 Prozent höher als die von Malaysia, Thailand oder den Philippinen und waren sogar geringer als die Vietnams. All diese Länder haben eine deutlich geringere Bevölkerungszahl und Wirtschaftsleistung als Indonesien. Jedoch entfallen in dem viel schwächer in den Welthandel eingebundenen Archipel knapp 10 Prozent seiner Importe auf Nahrungsmittel. In Malaysia, Thailand und Vietnam ist diese Quote nur etwa halb so hoch.
Ein Grund für diesen Rückstand ist die schwache Landwirtschaft. Deren Entwicklung steht zwar weit oben auf der politischen Agenda. Doch ist es fraglich, ob diese mit dem prognostizierten Wachstum der Bevölkerung um 25 Millionen Menschen in den kommenden zehn und um 43 Millionen Menschen in den nächsten 20 Jahren mithalten kann.
Ein möglichst hoher Selbstversorgungsgrad mit Lebensmitteln hat in Indonesien eine hohe psychologische Bedeutung. In der Realität allerdings ist eine Nahrungsmittelautonomie volkswirtschaftlich nicht sinnvoll. Denn seine Industrialisierung kann der Archipel nur mit den Exporterlösen von Cash Crops wie Palmöl, Kautschuk oder Kaffee vorantreiben. Würde auf deren Flächen wertschöpfungsschwächerer Reis, Zucker oder Soja für den Eigenverbrauch angebaut, wären wirtschaftliche Entwicklung und Armutsbekämpfung deutlich noch schwieriger.
Nahrungsmittel werden als Handelsgut oft unterschätzt. Deutschland liefert mehr Nahrungsmittel als Medizintechnik in die ASEAN-Länder. Nach Indonesien gingen 2019 aus Deutschland wertmäßig fast so viele Nahrungsmittel wie Kfz, Medizintechnik, Arzneimittel und Elektronik. Mehr als die Hälfte davon entfiel auf Milch.
Neben mehr Agrarrohstoffen wird Indonesien in Zukunft auch in größerem Umfang verarbeitete Nahrungsmittel nachfragen. Denn immer mehr Menschen steigen in die Mittelschicht auf und kaufen in Supermärkten ein anstatt auf traditionellen Märkten. Ein gut sortierter städtischer Supermarkt in Jakarta ist kaum von einem in Deutschland zu unterscheiden. Die Regale sind voll mit Importwaren und ausländischen Produktmarken. Auch deutsche Marken wie Haribo oder Ritter Sport sind fester Bestandteil des Sortiments.
Dennoch ist der Markt für Importprodukte im Nahrungsmittelsektor ausgesprochen schwierig. Ausländische Einzelhandelsunternehmen gibt es nur wenige. Branchenvertreter klagen über eine systematische Benachteiligung gegenüber den einheimischen Marktteilnehmern. Frankreichs Carrefour und das südkoreanische Lotte sind zwei Ausnahmen. Außerdem versucht die Regierung, ausländische Nahrungsmittel, die nicht der Grundversorgung dienen, möglichst aus dem Land zu halten.
Allerdings haben Handelsabkommen eine teilweise Öffnung erzwungen. Zudem ebnen manchem Produkt harte ökonomische Interessen der Importeure den Weg ins Land. Dennoch kann von einem nachfragegetriebenen Handel keine Rede sein. Denn Nahrungsmittelimporte werden vielfach über die Vergabe von Importlizenzen gesteuert. Wenn beispielsweise bei Milch und Milchprodukten die Einfuhrquoten verringert werden, kostet eine 200-Gramm-Packung Butter mancherorts 5 US-Dollar (US$).
Derzeit bereitet Nahrungsmittellieferanten - und auch heimischen Herstellern - das im Oktober 2019 in Kraft getretene Halal-Gesetz Kopfzerbrechen. Es verlangt nach islamischen Regeln konforme Produkte. Doch auch fünf Jahre nach der Ankündigung dieser Regulierung sind die konkreten Anforderungen und Prüfungskompetenzen in vielen Bereichen noch immer nicht klar. Derzeit gilt im Nahrungsmittelsektor für eine Halal-Zertifizierung eine fünfjährige Übergangsfrist bis Oktober 2024.
Unklarheit gibt beteiligten staatlichen und religiösen Institutionen einen Freibrief für eine strenge Auslegung, die dann die Wirkung nichttarifärer Handelshemmnisse entfaltet. Denn welcher Hersteller eines verarbeiteten Nahrungsmittels kann schon die genaue Herkunft jeder Zutat nachweisen, möglicherweise auch noch die Halal-Verwendung von dessen Produktionstechnologie?
Das denkbar positivste Szenario wäre eine pragmatische Umsetzung, die Zutaten wie Schweinefleisch, Alkohol und Gelatine beschränkt oder kennzeichnet, aber auf eine eingehende Prüfung unverdächtiger Nahrungsmittel verzichtet. Damit bliebe Indonesien auch weiterer Streit mit der Welthandelsorganisation WTO erspart.