Dieser Inhalt ist relevant für:
IsraelStraßenverkehr / Schienenverkehr / Branchen / Tiefbau, Infrastrukturbau
Branchen
Branchen | Israel | Bahnindustrie
Zwischen Tel Aviv und der Südmetropole Beer Sheva entsteht eine Schnellbahnstrecke. Auch weiter südlich kommt der Bahnbau voran. Zudem ist ein regionales Verkehrssystem geplant.
13.10.2020
Von Wladimir Struminski | Jerusalem
Die Planung und der Bau einer neuen Schnellbahnstrecke zwischen Tel Aviv und der rund 100 Kilometer südlich von Tel Aviv gelegen Stadt Beer Sheva werden beschleunigt. Das hat das israelische Verkehrsministerium (Ministry of Transportation and Road Safety) erklärt.
Ursprünglich war die Inbetriebnahme der Strecke für das Jahr 2040 geplant. Nunmehr aber wird ihre Fertigstellung vorgezogen und soll 2033 abgeschlossen sein. Das bedeutet, dass die Planungsarbeiten für das Projekt ohne Verzug in Angriff genommen werden.
Hintergrund dieser Änderung ist der von Verkehrsministerin Miri Regev gefasste Beschluss, das öffentliche Verkehrssystem im Großraum Beer Sheva beschleunigt auszubauen und aufzuwerten. Das gilt auch für die Bahnverbindung zwischen den Ballungsräumen Tel Aviv und Beer Sheva.
Der Entschluss hängt unter anderem mit der geplanten Verlegung von Armeestützpunkten vom Landeszentrum in den Landessüden zusammen. Wie ein Vertreter des Verkehrsministeriums gegenüber Germany Trade & Invest erklärte, wird diese Verlegung das Fahrgastaufkommen auf der Bahnstrecke zwischen dem Tel Aviver Ballungsraum und der Region um Beer Sheva steigern und höhere Beförderungskapazitäten verlangen.
Gegenwärtig sind Tel Aviv und Beer Sheva durch eine Doppelgleisstrecke verbunden. Diese kann zwar mit einer Höchstgeschwindigkeit von 160 Stundenkilometern befahren werden, doch halten die Züge an sechs Zwischenstationen. Deshalb dauert die Fahrt 65 Minuten.
Die neue Schnellstrecke wird einen anderen Verlauf nehmen und nur an zwei Bahnhöfen halten: dem internationalen Ben-Gurion-Flughafen und der Stadt Kiryat Gat. Zudem soll sie eine Höchstgeschwindigkeit von 250 Stundenkilometern zulassen. Im Gesamtergebnis wird die Fahrzeit auf 41 Minuten reduziert. Zugleich wird die neue Strecke den Verkehr von sieben Zügen pro Stunde erlauben, sodass die Gesamtzahl der Züge, die stündlich zwischen Tel Aviv und Beer Sheva in jeder Richtung verkehren können, auf zwölf steigen wird.
Eine genaue Schätzung der Projektkosten für die zweigleisige und etwas mehr als 100 Kilometer lange Schnellstrecke liegt bisher nicht vor, doch könnte die finanzielle Größenordnung des Vorhabens umgerechnet 3 Milliarden bis 4 Milliarden US-Dollar (US$) erreichen. Schätzungsweise 10 Prozent dieser Kosten werden auf die Planung, inklusive der Detailplanung, entfallen.
Parallel zur Verbesserung der Anbindung Beer Shevas ans Landeszentrum plant das Verkehrsministerium die Errichtung eines Regionalverkehrssystems, das Beer Sheva mit einigen umliegenden, kleineren Ortschaften verbinden soll. Allerdings steht bisher nicht fest, welches Verkehrsmittel dabei zum Einsatz kommen wird.
Eine Möglichkeit ist der Bau einer S-Bahn (light rail). Indessen wird auch die Verlegung einer Sonderstraße für BRT-Busse (Bus Rapid Transit) erwogen. Die Entscheidung wird unter anderem von der prognostizierten Entwicklung des Fahrgastaufkommens abhängen. Dabei schließen S-Bahn und BRT einander nicht unbedingt aus. Schließlich wird auch der Einsatz von ART-Fahrzeugen (Autonomous Rapid Transit) angedacht, wenngleich die diesbezüglichen Überlegungen bisher nicht weit gediehen sind.
Im Juni 2020 nahm ein anderes Bahnprojekt eine wichtige Hürde: der zweigleisige Ausbau der Bahnstrecke zwischen Beer Sheva und der rund 40 Kilometer südöstlich gelegenen Stadt Dimona sowie eine Fortsetzung der Bahnverbindung von Dimona zu dem 15 Kilometer weiter östlich gelegenen Industriestandort Mishor Rotem. Dieses Projekt wurde von der Planungs- und Baukommission für den Bezirk Süd im Grundsatz genehmigt.
Damit ist der Genehmigungsprozess nicht abgeschlossen, weil noch über etwaige Einsprüche von Organisationen oder betroffenen Bürgern beraten und entschieden werden muss. Allerdings rückt die Realisierung des Vorhabens mit der Grundsatzgenehmigung einen großen Schritt näher. Nach Angaben der Wirtschaftszeitung Globes werden die Projektkosten auf umgerechnet knapp 800 Millionen US$ geschätzt.
Die Bahnanbindung nach Mishor Rotem ist auch deshalb interessant, weil diese Strecke Teil einer künftigen Bahnverbindung ans Rote Meer werden könnte. Der Bau der Rotmeerstrecke wurde von der Regierung bereits 2012 beschlossen, doch wurden seitdem kaum konkrete Schritte zu seiner Realisierung unternommen, zumal seine Rentabilität umstritten ist. Sollte es aber realisiert werden, könnten sich bei dem grob geschätzten Investitionswert von umgerechnet rund 8 bis 9 Milliarden US$ zahlreiche Geschäftschancen für israelische wie für ausländische Unternehmen ergeben.
Der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes nach und im Süden des Landes ist Teil der Regierungspolitik, der dünn besiedelten Region ökonomische und demografische Entwicklungsimpulse zu geben. Der Unterbezirk Beer Sheva umfasst mit knapp 13.000 Quadratkilometern circa 60 Prozent des israelischen Territoriums, aber mit rund 770.000 Einwohnern nur 8 Prozent der Landesbevölkerung.
Ohne die beiden größten Städte, Beer Sheva und das am Roten Meer gelegene Eilat sind es sogar nur rund 500.000 Einwohner, was einer Bevölkerungsdichte von lediglich 39 Einwohnern je Quadratkilometer entspricht. Demgegenüber sind es landesweit rund 440 Einwohner je Quadratkilometer. Im Landeszentrum, zu dem der Bezirk Tel Aviv und der an Tel Aviv angrenzende Zentralbezirk gerechnet werden, liegt die Bevölkerungsdichte sogar bei knapp 2.600 Einwohner je Quadratkilometer. Bei dem schnellen Bevölkerungswachstum von 1,9 bis 2 Prozent pro Jahr und den zunehmend knappen Bodenreserven im Landeszentrum, gilt die Erschließung des Südens als ein unverzichtbares Ziel der Bevölkerungs- und Wirtschaftspolitik.