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Die Automobilindustrie als führende japanische Branche will mit Leichtbau und neuen Materialien die internationale Wettbewerbsfähigkeit stärken.
09.09.2020
Von Jürgen Maurer | Tokyo
Japans Automobilunternehmen wie auch ausländische Kfz-Anbieter müssen die Kraftstoffeffizienz ihrer Modelle erhöhen und die Abgasemissionen senken. Dies verlangen die strikteren Standards, die Japan ebenso wie andere Länder erlassen haben. Daher investieren die japanische Automobilindustrie und die Materialanbieter viel in Forschung und Entwicklung, um bei Transportausrüstung eine Gewichtsverringerung zu erzielen.
Je leichter ein Fahrzeug, desto weniger Energie muss zur Fortbewegung aufgewendet werden und desto weniger Emissionen entstehen. Die Entwicklung und Produktion von entsprechenden Leichtbaukomponenten, wie etwa Faserverbundwerkstoffen, ist langwierig und teuer. Daher werden sie bislang hauptsächlich in Fahrzeugen der Oberklasse, Sport- und Rennwagen wie auch in der Luftfahrt eingesetzt. Jedoch ist die Verringerung des Gewichts nicht das einzige Ziel.
Nur wenn die Komponenten zusätzliche Funktionalitäten gegenüber herkömmlich verwendeten Materialien aufweisen, wie Hitzebeständigkeit, Stabilität etc. und sich zudem leicht verarbeiten lassen, dann eignen sie sich für den Massenmarkt - wie es der japanische Materiallieferant Toray zusammenfasst. Zudem erfordern neue Einsatzfelder Leichtbaukonstruktionen. Dazu gehört etwa die Entwicklung von fliegenden Autos und Taxis.
Laut dem japanischen Marktforschungsinstitut Fuji Chimera Research Institute dürfte der Weltmarkt für neue Materialien in Kraftfahrzeugen zwischen 2019 und 2030 um 23 Prozent wachsen. Das amerikanische Center for Automotive Research schätzt, dass neue Materialien im Auto (ausgenommen solche aus Metall) im Jahr 2040 etwa 15 Prozent aller Kfz-Teile auf Basis des Gewichts ausmachen; der Anteil betrug 2010 nur circa 1 Prozent.
Segment | 2019 | Veränd. 19/18 | 2030 | Veränd. 30/18 |
---|---|---|---|---|
Allzweckharz | 16,3 | -5,7 | 20,1 | 16,5 |
technische Kunststoffe, wärmehärtendes Harz | 25,2 | -3,1 | 33,8 | 29,8 |
Synthesekautschuk, Elastomer | 9,8 | -2,4 | 13,5 | 34,8 |
Eisen, Nichteisenmetall, Keramik | 106,0 | -2,4 | 130,6 | 20,3 |
Aluminiumlegierung | 24,4 | 0,1 | 31,4 | 29,1 |
Magnesiumlegierung | 0,4 | 0,2 | 0,8 | 100,2 |
Fertigprodukt, angewandtes Material | 12,6 | -1,9 | 16,8 | 31,3 |
Insgesamt | 169,9 | -2,8 | 214,9 | 23,0 |
Eine Reihe japanischer Unternehmen arbeitet seit vielen Jahren an der Entwicklung von neuen Materialien und Produktionsprozessen, sowohl die Kfz-Hersteller selbst als auch die Zulieferer von Vorprodukten. Nissan vermeldete am 3. September 2020, ein Verarbeitungsverfahren für kohlenfaserverstärkte Kunststoffe (compression resin transfer molding) entwickelt zu haben, das die Fertigung deutlich beschleunigen soll. Fehlende Verfahren zur Serienfertigung machen die neuen Materialien bislang meist teuer.
Nissan hat Anfang 2020 ein Material vorgestellt, welches Motor- und Straßengeräusche im Fahrzeuginnenraum verringert und gleichzeitig die Energieeffizienz erhöht. Dieses Isoliermaterial (acoustic meta material), das aus einer Gitterstruktur und einem Plastikfilm besteht, soll nur ein Viertel des Gewichts der bislang verwendeten gummibasierten Platten aufweisen.
Nicht nur im Kunststoff- und Faserbereich sind Fortschritte bei Gewichtsreduzierung zu vermelden. Zudem hat Nissan 2018 in Zusammenarbeit mit Nippon Steel & Sumitomo Metal Corp. einen ultrahochfesten Stahl entwickelt. Dieser soll laut Unternehmensangaben 2022 circa 25 Prozent des Fahrzeuggewichts ausmachen und die Emissionen neuer Modelle um 40 Prozent senken helfen.
Stärker auf Kunstharze und Kohlefasern setzen die Materialunternehmen wie Teijin, Toray und Asahi Kasei. Zur Umsetzung in Produkte hat beispielsweise Teijin mit dem australischen Start-up AEV Robotics Mitte 2019 vereinbart, auf der Basis des AEV-Elektrofahrzeugsystems ein Leichtbauauto zu entwickeln. Dabei wird Teijin viele strukturelle Komponenten und Design-Komponenten liefern, die auf Polycarbonat, Kohlefasern und Aramidfasern aufbauen.
Mit der Entwicklung von neuen Materialien beschäftigen sich unter anderem auch Papierhersteller. Beispielsweise erzeugt die Firma Daio Paper aus Zellulose Nanofasern (Cellulose Nano Fiber, CNF), die bereits in einem japanischen Rennwagen eingesetzt werden. Andere Branchenunternehmen, wie Nippon Paper und Oji Holdings, sind ebenfalls dabei, CNF zu Testzwecken zu produzieren.
Fast vollständig auf Basis von CNF hat ein Team der Universität Kyoto ein Auto gebaut, finanziert durch das japanische Umweltministerium, das auf der Tokyo Motor Show 2019 vorgestellt wurde. Eine Reihe von Japans Kfz-Herstellern testet die Teile auf Tauglichkeit für die Massenproduktion. Damit könnte nicht nur die Leichtbauweise, sondern auch die Nachhaltigkeit in der Kfz-Industrie verbessert werden.
Bei der Umsetzung von Leichtbautechnologien setzt Japan auch auf ausländische Expertise und Produkte. Beispielsweise hat der Hersteller von Kfz-Innenausstattung, Kotobukiya Fronte, Ende 2019 mit der belgischen EconCore eine Lizenzvereinbarung getroffen, deren innovative Produktionstechnologie für wabenförmige Sandwichplatten nutzen zu können.
Für Toyotas Konzeptauto LQ haben das deutsche Chemieunternehmen Covestro und die Toyota Boshoku Corporation gemeinsam einen faserverstärkten Kenaf-Polyurethan-Verbundwerkstoff entwickelt. Dabei ist Kenaf ein natürliches Produkt. Eine Gewichtssenkung von 30 Prozent gegenüber bislang verwendeten Materialien kann so erreicht werden, so eine Unternehmensmeldung vom Februar 2020.
Mittels neuer Materialien und Leichtbautechnologie soll die Einführung von Fahrzeugen der nächsten Generation beschleunigt und eine wettbewerbsfähige Zulieferindustrie erhalten werden. Damit beschäftigt sich in Japan seit 2013 ein von der staatlichen Forschungs- und Entwicklungsinstitution New Energy and Industrial Technology Development Organization unterstütztes Projekt.
Ziel ist, den Energie- und Materialverbrauch zu verringern, ohne die strukturelle Stabilität zu gefährden. Dazu haben sich verschiedene Akteure in der Innovative Structural Material Association zusammengeschlossen. Nach Jahren der Experimente mit verschiedenen Werkstoffen, wie Stahl, Metalllegierungen, Kohlenfasern und kohlefaserverstärkten Harzen, sowie deren funktionelle Verbindung, stehen ab 2020 praktische Umsetzungsmöglichkeiten im Vordergrund.