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Erfahrungsbericht | Mexiko | Coronavirus
In der Krise musste Mexikos Kfz-Industrie die Produktion stoppen - auch die Firma Nettelhoff, Hersteller von Kommutatoren und Duroplastteilen. Dann kam die Idee mit dem Haken.
15.07.2020
Von Florian Steinmeyer | Mexiko-Stadt
Mexiko Kfz-Industrie ist besonders hart von der Coronakrise gebeutelt: Der gesamte Sektor durfte zwischen März und Mai für rund zwei Monate nicht produzieren, da er zunächst nicht zu den essenziellen Tätigkeiten zählte. Mitte Mai änderte das Gesundheitsministerium zwar die Bestimmungen, allerdings müssen aufgrund des weiter im Land grassierenden Virus strenge Hygienebestimmungen eingehalten werden. Erschwerend kommt hinzu: Im Gegensatz zu anderen Ländern der Region und weltweit stützt die mexikanische Regierung die Wirtschaft kaum. Zwar gibt es ein Programm für rund vier Millionen Mikrokredite, die sind aber eher für Kleinstunternehmen gedacht. Mittelständler und größere Unternehmen gehen leer aus.
Für Unternehmen der Branche ist also Kreativität gefragt, um die Effekte auf Umsatz und Beschäftigung möglichst gering zu halten. Der mexikanische Ableger des deutschen Teileherstellers Nettelhoff ist dafür ein Beispiel. Im Werk Querétaro, wo normalerweise Kommutatoren und Duroplastteile für Autos gefertigt werden, stellt das Unternehmen seit April das Assessoire "No Tocar" ("Nicht Berühren") her. Dabei handelt es sich um eine Art Haken beziehungsweise einen Griff, mit dem etwa Türklingen und Lichtschalter betätigt werden können, ohne sie mit der Hand zu berühren.
In Querétaro ist Nettelhoff seit dem Jahr 2000 mit rund 95 Mitarbeitern tätig. Weltweit beschäftigt das Unternehmen aus dem nordrhein-westfälischen Menden etwa 300 Personen. Germany Trade & Invest (GTAI) sprach mit Geschäftsführer Michael Nettelhoff zur Idee und Umsetzung von "No Tocar" sowie zur Situation des Unternehmens im Land.
GTAI: Wie stark hat Corona ihr Unternehmen in Mexiko und weltweit getroffen?
Nettelhoff: Die Krise hat schon erheblichen Einfluss auf unser Geschäft. In China war unser Werk insgesamt rund viereinhalb Wochen geschlossen, wobei davon zwei Wochen bereits zuvor für das chinesische Neujahresfest eingeplant waren. In Deutschland konnten wir durchgängig produzieren, allerdings mit Einschränkungen. Am stärksten war der Effekt in Mexiko. Hier mussten wir zwei Monate lang die Teileproduktion schließen. Das war eine schwierige Situation, die ich so in meiner Karriere noch nicht erlebt habe.
GTAI: Gehen Sie von einer schnellen Erholung des Teilegeschäfts aus?
Nettelhoff: Die Lage ist etwas paradox. Nach Ende des Lockdowns in Mexiko mussten wir vom einen auf den anderen Tag wieder zu 100 Prozent fertigen, da die Nachfrage so groß war. Im Moment sind 90 Prozent unserer Kapazitäten ausgeschöpft. Ich denke aber, dass die Auslastung in den kommenden Wochen und Monaten sinken wird, da die Nachfrage nach Pkw in Nordamerika angesichts von Corona wesentlich niedriger ist als in normalen Jahren. Das wird auch auf unser Geschäft durchschlagen.
GTAI: Um den Effekt abzumildern, haben Sie in Mexiko einen Teil der Produktion auf den "No Tocar"-Haken umgestellt. Wie kam es dazu?
Nettelhoff: Die komplette Stillegung unseres Werks in Querétaro war wie gesagt sehr schwierig, auch für die Stimmung unter unseren Mitarbeitern. Ich habe daher überlegt, was wir anstelle der Autoteile herstellen können und bin auf den Haken gekommen, da ich ein ähnliches Produkt schon mal in Deutschland gesehen hatte. Über Ostern habe ich dann einen Prototypen aus Holz gefertigt und ihn unseren Technikern gezeigt.
GTAI: Wie war die Reaktion Ihrer Mitarbeiter und wie groß der Aufwand für die Serienfertigung?
Nettelhoff: Alle Kolleginnen und Kollegen haben die Idee äußerst positiv aufgenommen und waren sofort dabei. Bedenken gab es eigentlich keine. Auch der Aufbau der Produktion war nicht schwierig. Nachdem wir den Prototypen hatten, mussten wir nur die passenden Werkzeuge bauen, die zum Gießen des Hartkunststoffs verwendet werden. Das Material ist das gleiche wie für unsere Autoteile und auch die vorhandenen Maschinen konnten wir für das neue Produkt nutzen. Die Herausforderung lag eher im Vertrieb.
GTAI: Inwiefern?
Nettelhoff: Wir sind es gewohnt, unsere Produkte zu 100 Prozent an Firmenkunden zu vertreiben. Der "No Tocar"-Haken ist aber für private Endkunden gedacht. Wir mussten uns also Gedanken über neue Vertriebskanäle machen. Dazu haben wir recht schnell eine Facebook-Seite aufgesetzt, die auch gut funktioniert. Zudem haben wir Mitarbeiter vor Supermärkten kleine Verkaufsstände aufbauen lassen. Ein wichtiger Schritt war auch, dass wir den Haken unseren bestehenden Firmenkunden angeboten haben, die ihn als Werbemittel nutzen. Dafür passen wir ihn fabrlich an und drucken nach Wunsch ein Logo auf.
GTAI: Wie geht es mit dem Produkt weiter? Wollen Sie den Geschäftszweig ausbauen?
Nettelhoff: Wir haben bisher einige tausend Einheiten verkauft, das ist für uns schon ein Erfolg. Der Haken wird weiter produziert, solange eine Nachfrage nach ihm besteht. Weitere Produkte in dieser Richtung oder eine Fertigung in anderen Werken planen wir aber nicht. Das wäre zu weit von unserem Kerngeschäft entfernt. Dennoch war "No Tocar" wichtig für uns, da wir früh die Produktion wieder aufnehmen konnten, wenn auch in sehr eingeschränktem Maß. Das half uns später dabei, den normalen Betrieb schneller hochzufahren.