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Branchenbericht Nigeria Digitale Wirtschaft
Die voranschreitende Digitalisierung kann zur nachhaltigen Verbesserung der Lebensumstände der Menschen beitragen und das Land für Investoren zunehmend attraktiv machen.
29.09.2020
Von Corinna Päffgen | Accra
Nigeria ist geprägt von Gegensätzen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut, die Pandemie Covid-19 hat die Situation für viele Menschen noch einmal verschärft. Die Analphabetenrate beträgt etwa 30 Prozent, viele Kinder erhalten keine Schulbildung.
Trotzdem weist das Land eine hohe Internet- und Mobilfunkpenetrationsrate auf. Im 1. Halbjahr 2020 verfügten nach Angaben der Nigeria Communication Commission (ICC) 143 Millionen Einwohner über einen Internetzugang, das sind etwa 60 Prozent der Bevölkerung. Im Jahr 2019 gab es 184 Millionen Mobilfunkanschlüsse, was einer Telekommunikationsdichte von 96 Prozent entspricht.
Mit der kürzlich verabschiedeten National Digital Economy Policy and Strategy (2020-2030) verfolgt die Regierung Nigerias hochgesteckte Ziele. Mit Hilfe der Digitalisierung möchte die Regierung die Lebensumstände für die über 100 Millionen in Armut lebenden Nigerianer in den nächsten zehn Jahren signifikant verbessern.
Die digitale Roadmap wird dabei auf acht Säulen gestützt, die die digitale Wirtschaftsentwicklung beschleunigen sollen. Dazu gehört die Schaffung eines regulatorischen Rahmens des IKT- und Digitalsektors sowie die Bereitstellung einer sicheren und zuverlässigen Infrastruktur. Darüber hinaus sollen entsprechende Ausbildungsmöglichkeiten für den Erwerb digitaler Kompetenzen geschaffen und Unternehmen, die im Bereich neuer Technologien tätig sind, besonders gefördert werden.
Derzeit erwirtschaftet der Informations- und Kommunikationstechnologie-Sektor (IKT-Sektor) etwa 10 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP). Mit Hilfe der Digitalstrategie soll in den nächsten fünf Jahren der Anteil am BIP verdoppelt werden.
Die öffentliche Verwaltung durchlebt bereits einen digitalen Wandel, hier konnten in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt werden. Mit Unterstützung der Korean International Cooperation Agency (KOICA) in Höhe von 500 Millionen US-Dollar (US$) hat Nigeria 2019 einen E-Government-Masterplan auf den Weg gebracht, der als übergeordnetes Ziel eine Erhöhung der Transparenz des Regierungshandelns sowie die Verbesserung der Servicequalität und Kosteneffizienz des öffentlichen Sektors vorsieht.
Die Regierung hat bereits vor einiger Zeit die Notwendigkeit erkannt, die digitale Wirtschaft zu fördern und Verwaltungsprozesse in den Bereichen wie Unternehmensgründung, Bildung, Verteidigung, Landwirtschaft sowie in der Steuer- und Zollverwaltung digital zu ermöglichen. So wird die Ausstellung und Erneuerung von Dokumenten wie Führerschein, internationalem Reisepass, nationaler Identifikationsnummer (NIM) zunehmend digitalisiert. Laut der Independent National Electoral Commission (INEC) wird zudem das E-Voting für die Wahlen im Jahr 2021 eingeführt. Im Agrarsektor wurde ein E-Voucher-System eingeführt, um Subventionen für Saatgut, Dünger und andere landwirtschaftliche Betriebsmittel an Bauerngenossenschaften und -organisationen im ganzen Land besser verteilen zu können.
Durch eine junge und vor allem technikaffine Bevölkerung verfügt Nigeria über eine interessante und lebhafte Start-Up-Szene, die Metropole Lagos gehört neben Nairobi und Johannesburg zu den Städten mit dem besten Fintech-Ökosystem weltweit. Ausländische Investoren haben das Potenzial schon lange entdeckt und investieren jedes Jahr Millionen US$ in junge Unternehmen.
Der US-Riese Microsoft hat 2019 das African Development Center (ADC) in Lagos eröffnet und plant, 100 Millionen US$ in den nächsten fünf Jahren in die Entwicklung innovativer Lösungen in den Bereichen künstlicher Intelligenz (KI), maschinelles Lernen und Mixed Reality zu investieren und setzt dabei auf technische Talente vor Ort. Bis Ende 2023 sollen in Lagos und dem weiteren Standort Nairobi insgesamt 500 Ingenieure eingestellt werden. Durch die Präsenz vor Ort verspricht sich Microsoft eine bessere Marktbearbeitung vor Ort in den Bereichen FinTech, AgriTech und OffGrid Energy.
Die nigerianische Landwirtschaft, die in den 1960er Jahren einen Boom erlebte, soll nun mit aufwendigen Förderprogrammen der Regierung revitalisiert werden. Die Herausforderungen sind dabei enorm. Die nigerianische Landwirtschaft ist geprägt von Kleinbauerntum und Subsistenzwirtschaft. Im Schnitt verfügt ein Bauer über ein drei Hektar großes Stück Land, der Zugang zu mehr Land ist oft nur in begrenzten Maße möglich. Des Weiteren ist der eingeschränkte Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten eine große Hürde, 2018 wurden weniger als vier Prozent der vergebenen Kredite an Landwirte vergeben. Die große Abhängigkeit von einer regengespeisten Bewässerung, eine begrenze Akzeptanz moderner Technologien, unzureichende Lagermöglichkeiten und der schlechte Zugang zu Märkten führten dazu, dass der Agrarsektor hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt.
In den vergangenen Jahren hat eine steigende Anzahl von Agritech-Unternehmen begonnen, zunehmend auf die besonderen Herausforderungen abgestimmte digitale Lösungen anzubieten. Dazu gehören eine Verbesserung des Zugangs zu Finanzierungsmöglichkeiten (zum Beispiel Crop2Cash, Thrive Agric), zu Betriebsmitteln (beispielsweise qualitativ hochwertiges Saatgut) und Düngemitteln, Insektiziden und Pestiziden sowie zu Ausrüstungen (darunter BeatDrone, Hello Tractor). Zudem werden eine Reihe von Beratungsdienstleistungen angeboten, die auf eine Verbesserung von Anbaumethoden oder den Zugang zu Märkten abzielen, indem sie Farmer mit Verbrauchern zusammenbringen (unter anderem TradeBuza, Verdant AgriTech). Ob und wann die meisten Kleinbauern allerdings über die Finanzierung und die entsprechenden digitalen Fähigkeiten verfügen, um beispielsweise Precision-Farming, Precision-Livestock-Farming oder Smart-Farming-Technologien nutzen zu können, bleibt abzuwarten.