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Polens Logistiksektor muss sich auf neue Marktgegebenheiten durch die Coronakrise einstellen. Geliefert wird verstärkt aus stadtnahen Lagerhallen, um Wege zu verkürzen.
23.04.2020
Von Beatrice Repetzki | Berlin
Durch die Coronakrise und den dadurch bedingten Boom beim Onlinehandel ändert sich die Art der benötigten Flächen. Laut Anna Glowacz, Direktorin der Abteilung Industrial bei der Immobilienfirma Axi Immo, erfolgt eine Neuorganisation der Lieferketten, indem immer mehr Lagerhallen und Fabriken in der Nähe der Zielmärkte entstehen.
Dieser Trend verleiht dem Lager- und Produktionsgewerbe neuen Auftrieb. An Bedeutung gewinnen Investitionen, die mit der Logistik der sogenannten letzten Meile verbunden sind. Der Druck wächst, Endkunden möglichst schnell zu beliefern.
Bereits vor der Coronakrise wurde in Polen kräftig in die Lager- und Logistikwirtschaft investiert. So haben alleine Firmen mit mehr als zehn Mitarbeitern 2019 rund 2,6 Milliarden Euro in Lager- und Logistikkapazitäten investiert, nach 2,5 Milliarden Euro im Jahr 2018, wie aus den Zahlen des statistischen Hauptamtes GUS hervorgeht.
Die Fertigstellung begonnener Bauprojekte für Lagerhallen und Logistikzentren ist nach Einschätzung von Glowacz durch die Coroankirse nicht bedroht, berichtet die Tageszeitung Rzeczpospolita. Laut Axi Immo befanden sich Ende 2019 mindestens 1,9 Millionen Quadratmeter Fläche im Bau. Dennoch dürften 2020 weniger Flächen übergeben werden als im Rekordjahr 2019 mit gut 2,7 Millionen Quadratmetern. Ende 2019 verfügte Polen laut Prologis über insgesamt 18,5 Millionen Quadratmeter an modernen Lagerflächen.
Investoren und Bauentwickler agieren nun aber mit mehr Vorsicht. Sie konzentrieren sich auf Pre-let-Verträge, bei denen ein Mieter für eine Fläche bereits gefunden wurde, beziehungsweise Built-to-Suit-Vorhaben (BTS), hier werden Hallen gebaut, wenn der Kunde bestellt hat. Bereits laufende Vorhaben würden zu Ende gebracht, allerdings gebe es weniger Projekte, die sich im Anfangsstadium der Verhandlungen befänden, sagt Glowacz.
Die Arbeit in den weitgehend automatisierten Lagerhallen ist durch die Coronakrise kaum eingeschränkt. Die wenigen Beschäftigten, die zum Betrieb nötig sind, können ausreichend große Abstände voneinander einhalten. Daher sind auch Multi-Let-Objekte mit mindestens zwei Mietern weiter in Betrieb, berichtet der Vorsitzende von Ideal Idea Formad, Jedrzej Duzynski.
Die Firma errichtete seit 2010 fünf moderne Business Parks in Warschau mit einer Gesamtfläche von über 100.000 Quadratmetern. Am Flughafen von Wrocław (Breslau) will sie im 4. Quartal 2020 den Ideal Idea City Park Wrocław übergeben. Hier ist der Energieverbrauch gering und es kann in einem gewissen Umfang produziert werden. Es handelt sich um ein Premium-Objekt, kategorisiert in der höchsten Klasse A.
Der größte Bauentwickler in Polen ist der US-amerikanische Konzern Panattoni Europe, der bislang rund 10 Millionen Quadratmeter Lager- und Industrieflächen in Europa errichtete, darunter 7,6 Millionen Quadratmeter in Polen. Im 1. Quartal 2020 unterzeichnete der Konzern dort Mietverträge über gut 425.000 Quadratmeter, rund 30 Prozent mehr als im 1. Quartal 2019. Am größten war die Nachfrage im oberschlesischen Ballungsgebiet mit 145.500 Quadratmetern, gefolgt von Warschau und Umgebung mit 80.000 Quadratmetern sowie Niederschlesien mit 57.500 Quadratmetern.
Der Baukonzern Panattoni konnte trotz Coronakrise im März 2020 rund 207.000 Quadratmeter Lager- und Logistikflächen vermieten. Logistikketten blieben die wichtigsten Mieter, ihre Tätigkeit war jedoch anders als zuvor vor allem mit dem Onlinehandel verbunden. Seine Bautätigkeit führt Panattoni Europe fort. Im 1. Quartal 2020 befanden sich über 1 Million Quadratmeter Lager- und Logistikflächen in Polen im Bau. Auch dabei stehen Oberschlesien und der Raum Warschau im Vordergrund, wo der A2 Warsaw Park und Panattoni Park Warsaw South Janki entstehen.
Auch nahe der deutschen Grenze entstehen neue Objekte. Die dänische Freja Transport & Logistics errichtet in Szczecin (Stettin) auf einem Grundstück von 8 Hektar Lagerflächen und einen Parkplatz für 250 Lkw. Als Standorte im Kommen sind auch Bydgoszcz (Bromberg) und Torun (Thorn), wo Panattoni den Park Torun II mit fast 60.000 Quadratmetern errichtet, von dem InPost einen Teil anmietet.
In der Region aktiv sind außerdem Goodman, Waimea, LCP Properties und AIG Lincoln. Zu den Projekten, die Prologis realisiert, zählen BTS-Magazine für die Handelskette EUROnet (Haus-, Audio- und Videogeräte) sowie für die Raben-Gruppe in Ruda Slaska. Amazon eröffnet im April 2020 sein achtes und bisher größtes polnisches Logistikzentrum in Gliwice (Gleiwitz).
Die neu gebauten Lagerhallen und Logistikobjekte werden mit modernen Lagersystemen ausgestattet und erhalten mitunter Umweltzertifikate. Gerade in der Coronakrise zeigen sich die Vorteile von automatisierten Prozessen und intelligenten Lösungen. Schon zuvor waren sie angesichts knapper Arbeitskräfte gefragt. Deutsche Anbieter entsprechender Ausrüstungen und energiesparender, „grüner“ Bautechnik haben gute Zulieferchancen.
Der Lager- und Logistiksektor arbeitet derzeit zu 110 bis 130 Prozent über den Plänen, um die Lieferketten aufrechtzuerhalten. Die Bevölkerung muss mit Nahrungsmitteln, Hygieneartikeln und medizinischen Produkten versorgt werden, um Versorgungsengpässe zu vermeiden. Das sagte der Experte bei der Immobilienfirma Cushman & Wakefield (C&W), Maciej Szczepanski, gegenüber Rzeczpospolita. Er erwartet keine wesentliche Vergrößerung des Leerstandes von Lager- und Logistikflächen, zumal es kaum spekulativ errichtete Objekte gibt, für die Mieter erst noch gesucht werden müssen.