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Polens Gesundheitssystem gilt weiterhin als unterfinanziert. In Zukunft soll der Umsatz für Medizintechnik trotzdem wachsen. Dank EU-Gelder wird in Krankenhäuser investiert.
07.10.2020
Von Niklas Becker | Warschau
Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Fitch Solutions belief sich das Volumen des polnischen Markts für Medizintechnik 2019 auf etwa 2,5 Milliarden Euro. Pro Einwohner im Land entspricht das einem Wert von 66 Euro. Nach Prognosen von Fitch Solutions wird der polnische Markt zwischen 2019 und 2024 im Durchschnitt jährlich um 4,9 Prozent wachsen und im Jahr 2024 einen Wert von 3,2 Milliarden Euro erreichen.
Im Jahr 2019 war Fitch noch von einem durchschnittlichen Wachstum zwischen 2018 und 2023 von 6,9 Prozent ausgegangen. Grund für die geringeren Erwartungen sind die Auswirkungen der Coronakrise. Der Großteil der in Polen eingesetzten Medizintechnik wird importiert. Fitch beziffert den Anteil der Einfuhren auf über 95 Prozent. Ein entscheidender Wachstumstreiber des polnischen Gesundheitsmarktes sind europäische Fördermittel. Sie unterstützen sowohl beim Kauf neuer Ausrüstung als auch beim Bau und der Ausstattung neuer Krankenhäuser. Eine alternde Bevölkerung trägt ebenfalls ihren Teil zu einem steigenden Bedarf an Medizintechnik bei.
Polens Präsident Andrzej Duda hat im Rahmen des Wahlkampfes vor seiner Wiederwahl im Juli 2020 die Gründung eines Gesundheitsfonds angekündigt. Dieser soll unter anderem kostspielige Therapien, aber auch die Modernisierung der Krankenhäuser im Land unterstützen. 2020 soll dem Fonds ein Maximalbetrag von 450 Millionen Euro zur Verfügung stehen. In den Folgejahren bis 2029 sollen es dann jährlich 900 Millionen Euro sein. Weitere Details bezüglich der Aufteilung sind bisher nicht bekannt. Die Gelder sollen vom Gesundheitsministerium verwaltet werden. Ein entsprechender Gesetzesentwurf für den Gesundheitsfonds befand sich Anfang Oktober zur Abstimmung in der ersten Kammer des polnischen Parlaments.
Polens Regierung will aufgrund der Coronakrise die Produktion von persönlicher Schutzausrüstung im Land fördern und so wieder aufbauen. Die Agentur für industrielle Entwicklung (Agencja Rozwoju Przemysłu; ARP) plant deshalb in Warschau eine Maskenfabrik mit acht Produktionslinien zu errichten. Die neue Fabrik soll eine monatliche Produktion von 29 Millionen 3-Ply- und N95-Masken erreichen.
Auch die staatliche Materialreserveagentur (Agencji Rezerw Materiałowych; ARM) will als Reaktion auf die Pandemie stärker auf einheimische Lieferanten setzen. Sie ist für den Einkauf und die Verteilung medizinischer Ausrüstung inklusive persönlicher Schutzausrüstung zuständig. Vor der Krise kam der Großteil der eingekauften Waren aus dem Ausland, vor allem aus Asien. Wie die Agentur jedoch im Mai 2020 berichtete, soll der Anteil polnischer Lieferanten monatlich gesteigert werden.
Im März 2020 hat Polens Regierung zur Bekämpfung der Coronakrise und deren Auswirkungen ein sogenanntes Anti-Krisen-Schild ins Leben gerufen. Dieses sieht unter anderem zusätzliche Ausgaben für die Gesundheitsversorgung in Höhe von 1,6 Milliarden Euro vor. Weitere Informationen bezüglich der Auswirkungen der Pandemie auf das polnische Gesundheitswesen erfahren Sie in unserem Corona-Spezial.
Löhne und Beschäftigung sind in Polen in den vergangenen Jahren dynamisch gewachsen. Von den daraus resultierenden steigenden Beiträgen für die staatliche Krankenversicherung profitiert der für die Gesundheitsausgaben verantwortliche Nationale Gesundheitsfonds (Narodowy Fundusz Zdrowia; NFZ). Im Jahr 2019 korrigierte dieser beispielsweise im Laufe des Jahres sein Budget um 930 Millionen Euro nach oben. Zwar hat die Coronakrise die Entwicklungen auf dem polnischen Arbeitsmarkt vorerst gestoppt. Bereits ab 2021 ist allerdings wieder mit Lohnsteigerungen zu rechnen, wenn auch verhaltener als in der Vergangenheit.
Ein erster Entwurf für den NFZ-Finanzplan 2021 sieht Ausgaben in Höhe von umgerechnet 23 Milliarden Euro vor. Im Vergleich zu 2020 entspricht dies einem neuen Rekordanstieg von 12,5 Prozent beziehungsweise 2,5 Milliarden Euro. Von den zusätzlichen Geldern sollen vor allem Hausärzte und die spezialisierten Polikliniken profitieren. Den geringsten Anstieg gibt es bei den Geldern für Krankenhäuser. Sie sollen 11,8 Milliarden Euro erhalten. 2020 sind es 10,5 Milliarden Euro.
Neben dem NFZ profitiert auch der private Gesundheitsbereich in Polen von den steigenden Haushaltseinkommen. Zusatzkrankenversicherungen für private Arztpraxen und Kliniken gewinnen vor allem in den größeren Städten deutlich an Beliebtheit. Immer mehr Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern diese Krankenversicherungen zudem als Zusatzleistung zum Gehalt an.
Die Zusatzversicherungen helfen zwar nicht bei einem öffentlichen Arzt, dafür ist aber der Besuch bei einem Mediziner in einer der Privatpraxen wie beispielsweise Luxmed oder Enelmed kostenlos oder vergünstigt. Dadurch lassen sich die langen Warteschlangen bei den öffentlichen Ärzten vermeiden. Zwar sind in den privaten Arztzentren neben Allgemeinmedizinern auch Spezialisten verfügbar, operative Eingriffe erfolgen aber fast ausschließlich in den öffentlichen Krankenhäusern.
Mithilfe von EU-Fördermitteln finden in Polen zahlreiche Investitionen im Gesundheitsbereich statt. Vor allem die Krankenhäuser im Land können davon profitieren. Während einige von ihnen Gelder für den Kauf neuer Medizintechnik bekommen, werden bei anderen umfassende Ausbau- und Modernisierungsarbeiten inklusive neuer Ausstattung finanziert. Teilweise entstehen auch ganz neue Krankenhäuser, wie beispielsweise das geplante Onkologische Krankenhaus in Wrocław (Breslau).
Polens Gesundheitssystem gilt als unterfinanziert. Die öffentlichen Gesundheitsausgaben liegen im Vergleich mit den anderen Mitgliedsstaaten der EU auf den letzten Plätzen. Bereits 2018 hat die Regierung deshalb eine stufenweise Erhöhung der öffentlichen Mittel für den Bereich bis 2024 beschlossen. Ab dann sollen jährlich 6 Prozent des BIP ausgegeben werden. Nach Haushaltsentwurf vom September 2020 sind für 2021 derzeit 5,3 Prozent vorgesehen. Ein Großteil der zusätzlichen Gelder wird allerdings für Gehälter vom medizinischen Personal aufgewendet werden müssen.
Ein großes Problem des polnischen Gesundheitssektors bleibt die finanziell angespannte Lage vieler Kliniken. Im Oktober 2017 hatte die Regierung ein Krankenhausnetz eingeführt und 593 der insgesamt 912 Einrichtungen in dieses aufgenommen. Die zum Netz zählenden Krankenhäuser erhalten bis Juni 2021 eine gesicherte Finanzierung. In Form von Pauschalbeträgen erhalten sie 93 Prozent der Mittel für die Krankenhauspflege aus dem Gesundheitsfonds.
Der Großteil der Einrichtungen, die in das Netz aufgenommen wurden, sind öffentliche Krankenhäuser. Die restlichen Kliniken in Polen müssen also um die verbleibenden 7 Prozent des Budgets konkurrieren. Die nächste Chance, dem Netzwerk beizutreten, erhalten sie 2021. Das Netz soll die Verteilung der Mittel im Gesundheitssektor effizienter gestalten und die Verschuldung der Krankenhäuser so minimieren. Nach Einschätzung von Experten werden die Mittel unter den Kliniken jedoch weiterhin ineffizient verteilt. Eine Reihe von Einrichtungen kämpft zudem weiterhin mit großen Finanzierungsproblemen.
Indikator | Wert |
---|---|
Einwohnerzahl (2019 in Mio.) | 37,9 |
Bevölkerungswachstum (2019 in % p.a.) | -0,1 |
Altersstruktur der Bevölkerung (2019) | |
Anteil der unter 15-Jährigen (in %) | 15,4 |
Anteil der über 64-Jährigen (in %) | 27,1 |
Durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt (2019 in Jahren) | 78 |
Monatliches Durchschnittseinkommen (2019 in Euro*) | 1.143 |
Gesundheitsausgaben pro Kopf (2018 in Euro *) | 822 |
Anteil der gesamten Gesundheitsausgaben am BIP (2019 in %) | 6,6 |
Ärzte/1.000 Einwohner (2017) | 2,4 |
Zahnärzte/100.000 Einwohner (2018) | 33,6 |
Krankenhausbetten/1.000 Einwohner (2017) | 6,6 |
Polens Regierung treibt die digitale Entwicklung der heimischen Gesundheitsversorgung stark voran. Sie sieht dies als große Chance für das unter fehlenden finanziellen Mitteln, aber vor allem fehlenden Ärzten leidende System. Krankschreibungen und Rezepte werden bereits elektronisch ausgestellt. Ab 2021 soll dies auch für Überweisungen zum Facharzt gelten. Zeitgleich soll auch die digitale Patientenakte eingeführt werden. Der Bereich der Telemedizin hat während der Coronakrise eine enorme Entwicklung zurückgelegt. Ausführliche Informationen zum Thema E-Health in Polen finden Sie in unserem Special.
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