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Die russische Hauptstadt treibt die Sanierung von Industriebrachen voran. Dadurch entstehen neue Wohnungen und neue verarbeitende Betriebe. Mehrere Pilotprojekte starten 2021.
28.01.2021
Von Gerit Schulze | Moskau
Moskau ist heute ein modernes Dienstleistungszentrum. Doch das industrielle Erbe der Metropole ist nicht zu übersehen. Industriegebiete nehmen eine Fläche von fast 19.000 Hektar ein.
Noch zu Sowjetzeiten war die Stadt ein industrielles Zentrum des Landes. Seit den 1990er Jahren haben viele Betriebe ihre Produktion geschlossen oder ins Umland verlegt. Die hinterlassenen Brachflächen sollen nun revitalisiert werden.
Ein Problem für die Sanierung sind häufig die unterschiedlichen Interessen der Eigentümer und die Vorlieben der Investoren. Sie bauen am liebsten Neubauwohnungen, weil diese den schnellsten Kapitalrückfluss versprechen.
Doch Moskau will die Struktur der "Schlafbezirke" aufbrechen und in den Außenbezirken wieder mehr Gewerbe ansiedeln. Ein wichtiges Instrument für die Sanierung der Brownfield-Flächen ist die „Integrierte Entwicklung von Territorien“ (russische Abkürzung: KRT). Für dieses Entwicklungsprogramm eignen sich laut Experten 5.400 Hektar in Moskau.
Davon sind zurzeit 1.900 Hektar (122 Flächen) in der Konzeptionsphase. Die Stadtverwaltung erwartet in diesen Gewerbegebieten 500.000 neue Arbeitsplätze und Gesamtinvestitionen von 7 Billionen Rubel (rund 76,4 Milliarden Euro, Wechselkurs am 25. Januar 2021: 1 Euro = 91,67 Rubel). Investoren bekommen finanzielle Anreize, wenn sie neben Wohnraum auch Gewerbeflächen schaffen. So kann beispielsweise die Abgabe für die Nutzungsänderung von Grundstücken erlassen werden (russisch: плата за изменение вида разрешенного использования).
Insgesamt könnten durch die Anwendung des KRT-Programms 37 Millionen Quadratmeter Wohnraum und neue Gewerbebetriebe entstehen, schätzt die Stadtverwaltung. Bei der Revitalisierung von Industriebrachen orientiert sich Russland auch an den Erfahrungen in Westeuropa.
Die Stadtverwaltung erstellt für die ehemaligen Industrieflächen Revitalisierungspläne und bietet den Grundstückseigentümern an, sich daran zu beteiligen. Diese haben dann sechs Monate Zeit, eine Finanzierung zu organisieren. Haben sie kein Interesse oder finden sie keine Geldgeber, bietet Moskau die Flächen Investoren per Auktion an.
Für die Planungs- und Projektentwurfsphase sollen keine öffentlichen Anhörungen nötig sein, was die Verfahren beschleunigt. Die Investoren müssen aber Auflagen zur künftigen Nutzung beachten.
Trotz seines starken Dienstleistungs- und IT-Sektors will Moskau nicht auf verarbeitendes Gewerbe im Stadtgebiet verzichten, um einen gesunden Branchenmix, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen zu erhalten. Angestrebt werden kompakte Fabriken in Technoparks, die innovative Produkte herstellen und die Umwelt möglichst wenig belasten. Immobilienexperten sehen gute Chancen für kleine Logistikzentren für den Onlinehandel, für Verpackungsdienstleister, Druckereien und Verlage. Ergänzt werden die Gewerbebauten durch Wohngebäude.
Die Stadtverwaltung hatte 2020 die ersten Verträge nach dem KRT-Verfahren unterzeichnet. Zu den Pilotprojekten gehört ein ehemaliges Stahlbetonwerk im Stadtviertel „Oktjabrskoje pole“. Auf sechs Hektar entstehen dort ein Technopark, ein Geschäftszentrum, Wohnungen und soziale Infrastruktur. Projektentwickler für den Wohnungsbau ist RG-Development.
Ein zweites Vorhaben ist die Industriezone Korowino. Sie umfasst 35 Hektar eines ehemaligen Wohnungsbaukombinats. Bis 2035 soll ein neues Geschäfts- und Gewerbezentrum für 13.000 Beschäftigte öffnen. Den Generalauftrag zur Umsetzung hat der Projektentwickler Inteko bekommen.
Weitere Vorhaben sind die Industriegebiete Bratzewo, Tschertanowo und Juschnoje Butowo mit mehr als 30 Hektar Fläche und Investitionen von 37 Milliarden Rubel. Für diese Gebiete will die Stadt noch in diesem Jahr Investitionsverträge abschließen.
Außerdem wird das riesige Areal des ehemaligen Fahrzeugherstellers SIL weiter umgestaltet. Dort soll bis 2023 für 4 Milliarden Rubel ein neues Industriegebiet mit über 1.000 Arbeitsplätzen entstehen.
Im Osten der Stadt steht die Industriezone Wychino mit einer Fläche von 3,9 Hektar zum Umbau an. Geplant sind 1.300 neue Jobs. In der Nähe befindet sich das Brownfield-Areal Perowo, wo Wohnungen für 1.400 Bewohner, Schulen, Kindergärten und eine Poliklinik gebaut werden sollen.
Für die beiden Gewerbegebiete Ostaschkowskoje schosse und Grajworonowo mit zusammen 35 Hektar läuft die Festlegung der Grundstücksgrenzen von Flächen, die nach dem KRT-Verfahren saniert werden sollen.
Beispiele für die erfolgreiche Umwandlung von Industriegebieten in Moskau sind die ehemalige Süßwarenfabrik „Krasny Oktjabr“, die heute ein Kultur-, Gastronomie- und Startup-Zentrum ist, und das Weinkombinat Winsawod, das jetzt Galerieräume beherbergt. Auf dem Gelände der Moskwitsch-Autofabrik AZLK steht inzwischen ein modernes Renault-Werk.
Die Modernisierung innerstädtischer Brachflächen soll künftig russlandweit schneller vorankommen. Die Staatsduma verabschiedete Ende 2020 das „Gesetz über die integrierte Entwicklung von Territorien“ (KRT). Es zielt vor allem auf baufällige Wohngebiete in den Regionalhauptstädten, die dringend saniert werden müssen.
Um die Revitalisierung solcher Stadtteile umfassend angehen zu können, dürfen nun auch Bewohner umgesiedelt werden, die in Gebäuden leben, die nicht als „baufällig“ eingestuft sind. Die betroffenen Wohnungseigentümer haben Anspruch auf eine mindestens gleichwertige Neubauwohnung. Den Stadtplanern ermöglicht das Verfahren, ganze Viertel abreißen und neu gestalten zu können.
Nach Angaben von Vize-Premierminister Marat Chusnullin beginnt das KRT-Verfahren 2021 in 15 Regionen, darunter Kasan, Tjumen, Nowosibirsk und Kemerowo. An den Projekten beteiligt sich der Fonds zur Unterstützung der Reform des Wohnungssektors.
Agentur für Industrieentwicklung der Stadt Moskau (APR), Abteilung für KRT-Verfahren |
Stadtverwaltung Moskau, Abteilung für die Revitalisierung alter Industriegebiete |
New view of Moscow (englischsprachige Informationen der Stadtverwaltung Moskau zur Umgestaltung von Industriegebieten) |