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Branchen | Russland | Öl- & Gasindustrie

Ölförderung steuert auf ihren Höhepunkt zu

Russland produziert wieder mehr Öl. Konzerne investieren in die Erschließung neuer Lagerstätten. Die Abhängigkeit von der Branche sinkt jedoch.

Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau

Der Trend zur Dekarbonisierung in der Europäischen Union (EU), den USA und China bringt Russlands Ölförderung mittelfristig in Bedrängnis. Im konservativen Szenario ihrer Energiestrategie rechnet die Regierung bis 2024 mit einem Anstieg der Produktion auf rund 555 Millionen Tonnen pro Jahr, anschließend bis 2035 mit einem Rückgang auf 490 Millionen Tonnen. Im optimistischen Szenario legt die Fördermenge bis 2024 auf 560 Millionen Tonnen zu und geht bis 2035 leicht auf 555 Millionen Tonnen zurück. Den Rekord aus dem Jahr 2019 mit 560,3 Millionen Tonnen erreicht die Ölförderung nur im positiven Szenario. Russland dürfte Mitte der 2020er Jahre den "Peak Oil" erreichen.

Geringere Öleinnahmen schmälern Bruttoinlandsprodukt und Staatshaushalt

Der Anteil der Öl- und Gasindustrie an der Entstehung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sank im Jahr 2020 im Vorjahresvergleich um 4 Prozentpunkte auf 15,2 Prozent, meldet der Statistikdienst Rosstat. Der Öl- und Gassektor trug demnach mit rund 197 Milliarden Euro knapp ein Siebtel zur russischen Wirtschaftsleistung bei. Im 1. Quartal 2021 fiel der Anteil der Öl- und Gaseinnahmen am russischen Staatshaushalt mit etwa 17,4 Milliarden Euro auf den niedrigsten Stand seit 2011. Die Bedeutung der Branche für Russlands Wirtschaft und Staatsfinanzen korreliert eng mit der Entwicklung des Ölpreises.

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OPEC+ lockert Begrenzung der Fördermenge

Das Kartell OPEC+, dem Russland angehört, verlängerte im Juli 2021 die im Mai 2020 beschlossene Begrenzung der Fördermenge von Öl bis Ende 2022. Da die Nachfrage steigt und Lagerbestände weltweit abnehmen, wird die Produktion schrittweise erhöht. Seit 1. August 2021 darf Russland 400.000 Barrel pro Tag zusätzlich fördern. Für 2021 sind insgesamt 512,5 Millionen Tonnen Öl angepeilt. Ab Mai 2022 steigt die Quote um weitere 500.000 Barrel pro Tag. Damit erreicht Russland im Mai 2022 das Förderniveau vor Beginn der Pandemie. Das Wirtschaftsministerium erwartet 2022 im Vorjahresvergleich einen Anstieg um 7,3 Prozent auf 550 Millionen Tonnen Öl.

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Im Jahr 2020 belegte Russland bei der Förderung von Erdöl mit einem Anteil von rund 11 Prozent Platz drei und rangierte damit hinter den USA und Saudi-Arabien. Im Vergleich zum Vorjahr hat das größte Flächenland der Erde damit einen Platz eingebüßt. Branchenprimus ist Rosneft mit 204,5 Millionen Tonnen, trotz eines Rückgangs von 11,2 Prozent im Vergleich zu 2019. Russlands größter Ölkonzern hielt damit 6 Prozent an der weltweiten und 40 Prozent an der russischen Ölförderung, gefolgt von Gazprom Neft (einschließlich Joint Ventures), Lukoil, Surgutneftegaz und Tatneft.

Übersicht über die Marktanteile der größten russischen Ölkonzerne

Fördermenge (in Mio. Tonnen)

Marktanteil an der Ölförderung in Russland (in %)

Rosneft

204,5

39,9

Gazprom Neft (einschließlich Joint Ventures)

96,1

18,7

Lukoil

80,1

15,6

Surgutneftegaz

54,8

10,7

Tatneft

26,0

5,1

Sonstige

51,3

10,0

Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

Konzerne investieren in neue Ölfelder

Russland liegt mit Erdölvorkommen im Umfang von rund 80 Milliarden Barrel im globalen Länderranking auf Platz acht. Nach Berechnungen des Umweltministeriums vom September 2019 haben die nachgewiesenen Erdölvorräte einen Wert von rund 1 Billion US-Dollar (US$). Die Öl- und Gasreserven im arktischen Schelf werden zusammen auf etwa 20 Billionen US$ geschätzt.

Die russischen Ölkonzerne investieren gegen den weltweiten Trend weiter in die Erschließung neuer Vorkommen. Im Jahr 2020 wurden in Russland rund 70 Prozent der weltweiten Öl- und Gasreserven entdeckt, meldet die Energieagentur Westwood. Um ein stabiles Produktionsniveau bis 2035 aufrechtzuerhalten, müssen laut Energieministerium bis 2025 mindestens 10,4 Milliarden Tonnen neu erschlossen werden. Der Anteil neuer Lagerstätten wird bis 2025 rund ein Viertel der Ölförderung einnehmen und bis 2035 auf ein Drittel steigen, prognostiziert Anton Rubzow, Direktor der Abteilung Öl- und Gasverarbeitung im Energieministerium. Hierzu seien bis 2035 Investitionen von knapp 19 Billionen Rubel (rund 220 Milliarden Euro) erforderlich.

Rosneft investiert 2021 circa 11,5 Milliarden Euro in neue Förderprojekte. Lukoil kalkuliert das Vorjahresniveau von rund 5,7 Milliarden Euro ein und will Ende 2021 seine Entwicklungsstrategie bis 2032 mit Investitionsprojekten im Umfang von 7 Milliarden US$ vorstellen. Gazprom Neft plant mit 4,8 Milliarden Euro etwa die gleiche Summe ein wie im Vorjahr.

Erschließung arktischer Lagerstätten technisch aufwändig

Die Ölvorkommen in der Wolga-Ural-Region und in Westsibirien gehen allmählich zur Neige. Zudem kann nicht jede Ölquelle wieder hochgefahren werden, die im Zuge der Fördermengenbegrenzung der OPEC+ im Mai 2020 außer Betrieb genommen wurde. Von der Stilllegung sind meist ältere Förderanlagen aus Sowjetzeiten betroffen.

Die Regierung legt in ihrer Energiestrategie den Fokus daher auf die Erschließung schwer zugänglicher Vorkommen. Betroffen sind rund 70 Prozent der Lagerstätten, davon der Großteil in der Arktis und im Kontinentalschelf. Dort lagern rund 83 Milliarden Tonnen Kohlenwasserstoffe. Fehlende Technologien aufgrund der EU- und US-Sanktionen gegen die russische Ölindustrie machen die Erschließung der Vorkommen auf dem Festlandsockel bis 2035 jedoch schwierig bis unmöglich, befürchtet das Energieministerium. Die Förderung arktischer Vorkommen mit den derzeit verfügbaren Technologien ist zudem erst ab einem Preis von 80 bis 90 US$ pro Fass rentabel. Das Energieministerium rechnet hingegen bis 2035 mit einem Preis von maximal 75 US$ pro Barrel.

Pawel Sawalny, Leiter des Ausschusses für Energie der Staatsduma, schlug Mitte April 2021 die Alternative vor, die bereits erschlossenen Lagerstätten maximal zu nutzen. Bei den aktuellen Fördermengen reichen ihre Vorräte noch etwa 59 Jahre, schätzt Umweltminister Alexander Kozlow. Doch auch bei den bereits erschlossenen Ölvorkommen kann nur rund ein Drittel profitabel gefördert werden, gibt der stellvertretende Energieminister Pawel Sorokin zu bedenken. Daher könnten die technisch förderbaren Reserven bereits im Jahr 2040 erschöpft sein, warnt Jewgenij Kiseljow, Leiter der Föderalen Agentur für die Nutzung von Bodenschätzen (Rosnedr).

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