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Branchenbericht Russland Software
Mit einer drastischen Steuer- und Abgabensenkung will Russland die einheimische Softwareindustrie wettbewerbsfähiger machen. Die Abwanderung der IT-Entwickler soll gestoppt werden.
24.07.2020
Von Gerit Schulze | Moskau
Mitten in der Coronakrise ist Russland auf der Suche nach Wachstumsbranchen, die die Konjunktur antreiben. Ein Hoffnungsträger ist der IT-Sektor mit der bislang boomenden Softwareindustrie. Die Branche konnte ihre Umsätze 2019 laut Verband Russoft um 17 Prozent auf 18,6 Milliarden US-Dollar (US$) steigern und erzielt fast zwei Drittel ihrer Erlöse mit Exporten.
Trotzdem hinterlässt die Pandemie auch in der IT-Branche tiefe Spuren. Die beiden Fachverbände Russoft und ARPP haben in einem Brief an Premierminister Michail Mischustin die kritische Lage beschrieben: Im Lockdown-Monat Mai 2020 sind die Umsätze der Softwareentwickler um die Hälfte im Vergleich zum Vorjahresmonat gesunken. Jeder zehnte Betrieb verzeichnete Rückgänge von über 90 Prozent. Dazu führten Zahlungsrückstände und Vertragskündigungen der Kunden. Im Gesamtjahr könnten die Einnahmen der IT-Branche um ein Drittel schrumpfen, schätzt die Consultingagentur IDC.
Der drohende Jobverlust in den Software-Unternehmen würde zu einer massiven Abwanderung von IT-Spezialisten führen, warnen die Branchenverbände. Sie schätzen den drohenden Braindrain auf bis zu 15.000 Talente in den Jahren 2020 und 2021.
Wohl auch dieses Szenario hat die Regierung veranlasst, der IT-Branche mit einer Steuer- und Abgabensenkung zu helfen. Die Gewinnsteuer soll auf 3 Prozent sinken und die Beiträge zur Sozialversicherung auf 7,6 Prozent (siehe Infokasten). Von den Präferenzen profitieren Softwarehersteller sowie Entwicklungsstudios für Mikro- und Funkelektronik.
Mit den neuen Steuersätzen tritt Russland in Konkurrenz zu IT-Standorten wie Irland, Zypern oder Indien. Sie sollen auch ein Signal an den Nachbarn Belarus sein, der mit dem High-Tech Park in Minsk schon fast 900 IT-Investoren angeworben hat.
Der Staat unterstützt die Entwicklung neuer Software auch mit direkten Zuschüssen. Dabei finanziert der Fonds zur Entwicklung von Informationstechnologien (RFRIT) aussichtsreiche Projekte mit 20 Millionen bis 300 Millionen Rubel.
Um den Fachkräftemangel abzumildern, plant Russlands Regierung mehr Studienplätze für IT-Spezialisten. Außerdem ist angedacht, die vom Staat verwalteten riesigen Datenmengen (Big Data) jungen Startup-Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Das soll im Rahmen von Public Private Partnerships (PPP) geschehen und die Basis für neue Softwareanwendungen werden.
Bedingungen:
Quellen: Entwurf für das Föderale Gesetz Nr. 990337-7, RSP International |
Russlands Steuergeschenk hat allerdings einen Haken: Im Gegenzug schafft Moskau zum 1. Januar 2021 die Umsatzsteuerbefreiung für den Verkauf ausländischer Software ab. Für einheimische Produkte gilt der Nullsteuersatz weiter, wenn sie im „Register der Softwareprogramme russischen Ursprungs“ geführt sind.
Das Verzeichnis wird vom Ministerium für Digitales und Telekommunikation gepflegt. Bislang war die Aufnahme in den Katalog nötig, um an staatlichen Ausschreibungen für Software teilnehmen zu können. Mitte Juli 2020 waren in dem Verzeichnis knapp 6.900 Produkte gelistet.
Deutsche Softwarehersteller sehen die geplanten Regelungen in Russland kritisch. „Wenn die Umsatzsteuerbefreiung für ausländische Software fällt, verteuert sich unsere Lösung durch die Mehrwertsteuer um 20 Prozent", sagt Michael Dobner, Geschäftsführer bei Omninet Russia and CIS in Moskau. "Viele Unternehmen wie Banken und Versicherungen können diese Mehrwertsteuer nicht geltend machen. Damit sind wir faktisch 20 Prozent teurer als zum jetzigen Zeitpunkt, die russischen Wettbewerber aber nicht. Das ist reiner Protektionismus und macht es noch schwieriger, Ausschreibungen zu gewinnen.“
Das fränkische Unternehmen entwickelt Software-Komplettlösungen für Businessprozesse. Eine Lokalisierung der Softwareherstellung in Russland ist aus Dobners Sicht schwierig, weil dann auch die Programmcodes und die weltweiten Vertriebsrechte an russische Körperschaften übertragen werden müssten. Der IT-Experte hält die Neuregelungen für kontraproduktiv: „Russische Hersteller sind jetzt nicht mehr zu Innovationen gezwungen, weil sie in einem geschützten Markt agieren können.“
Patrick Pohlit, Rechtsanwalt und Steuerberater bei der Kanzlei RSP International in Moskau, sieht die Steuer- und Abgabensenkungen zwar als wichtigen Schritt, um die Wettbewerbsfähigkeit der russischen Softwareindustrie zu stärken. „Genauso sollte aber in die IT-Infrastruktur investiert werden, in die Fachkräfteausbildung und in eine Startup-Förderung nach europäischen Vorbild.“
Wichtig sei ein Abbau von Bürokratie und staatlicher Kontrolle. „Immer noch müssen Unternehmen die Verwendung von Fördermitteln aufwändig dokumentieren. Außerdem gelten Subventionen als Erlöse, und damit sinkt der Anteil der Softwareverkäufe am Umsatz“, erklärt Steuerexperte Pohlit.
Die neuen Regelungen reihen sich ein in Russlands Bestrebungen, den Softwaremarkt gegen ausländische Konkurrenz abzuschotten. Staatliche Unternehmen dürfen künftig nur noch einheimische Programme beschaffen. Ursprünglich war die Frist dafür 2021, diese wurde nun auf 2024 verschoben. Experten bezweifeln, dass es bis dahin einheimische Alternativen zu komplexen Produkten wie 3D-Modellierungen für Planungsbüros geben wird.
Ebenfalls verschoben wurde die verpflichtende Vorinstallation russischer Software (Browser, Suchmaschinen, Kartendienste) auf elektronischen Endgeräten wie Smartphones, Computern und Fernsehern. Damit sollte am 1. Juli 2020 begonnen werden. Der neue Starttermin ist nun ein halbes Jahr später.
Quelle: Wirtschaftszeitung Kommersant |
Auf einigen Gebieten sind russische Entwickler schon jetzt führend. Dazu zählen Sicherheitssoftware (Kaspersky, Positive Technologies), neuronale Netze und maschinelles Lernen (Abbyy, Vision Labs), Enterprise-Resource-Planning / ERP (1C). Aktuell arbeiten russische Entwickler verstärkt an Lösungen für Videokonferenzen und Telemedizin.
Unternehmen (Standort Zentrale) | Produkte | Umsatz mit selbst entwickelter Software 2019 (in Mio. Rubel) | Veränderung zum Vorjahr in % |
---|---|---|---|
1C Company (Moskau) | Software-Suite für Unternehmen, Computerspiele | 54,30 | 5,6 |
X Holding (Moskau) | Sicherheitssoftware, Analysetools, Zahlungssysteme | 44,40 | k.A. |
CFT Group (Moskau) | Software für Finanzsektor, Gesundheitswesen und Staatsverwaltung | 18,10 | 10,0 |
SKP Kontur (Jekaterinburg) | Software für Dokumentenverkehr, Buchhaltung und Betriebsführung | 15,40 | 14,9 |
Kod besopasnosti (Security code) (Moskau) | Sicherheitssoftware für Netzwerke, Server und mobilen Datenverkehr, elektronische Unterschriften | 5,86 | 59,1 |
Ramax Group (Moskau) | Internetportale, mathematische Modellierung, Optimierung von Geschäftsprozessen | 4,85 | 166,2 |
NII Voskhod (Moskau) | Softwarelösungen zur Digitalisierung des Staatssektors (eGovernment) | 4,67 | k.A. |
ICL-KPO WS (Kasan) | Buchhaltung, Finanz- und Materialbedarfsplanung | 4,59 | 42,5 |
Lanit (Moskau) | Software für Ressourcenplanung (ERP), Kundenmanagement (CRM), Product Lifecycle Management (PLM), E-Books | 4,46 | 6,8 |
I-Teco (Moskau) | Private Cloud, Dokumentenverkehr, Datenanalyse, KI-Analysen | 4,36 | 48,0 |
Projekt | Investition (Mio. Rubel) | Projektdauer / Fertigstellung | Unternehmen |
Entwicklung und Inbetriebnahme der digitalen Cloud-Plattform „Gostech“ für den öffentlichen Sektor (sogenannte „Gosoblako“) | 47.600 | 2020 bis 2021 | |
Entwicklung von russischen Blockchain-Technologien | 36.500 | 2020 bis 2030 | Staatliche Industrieholding Rostec |
Modifizierung der Bank-Software auf Basis von Java | 15.000 | 2020 bis 2022 | |
Software-Entwicklung auf Basis von Java für Bankdienstleistungen | 3.000 | ab 2020 | |
Digitalisierung der Abwicklungsprozesse der Post | 1.500 | 2020 bis 2021 | |
Anschaffung von 15.000 PCs auf Basis des Elbrus-Prozessors und mit russischer Software | 1.000 | ab 2020 | |
Entwicklung und Produktion von Router-Software | 992 | 2020 bis 2022 | Istok (gehört zu Rostec) |
Beschaffung von ausländischer Computertechnik und Software | 900 | 2020 | |
Inbetriebnahme des Application Performance Monitoring (APM), Modell Kljutsch-Astrom | 768 | ab 2020 | |
Entwicklung der Programmbibliothek RhoMBus für Robotersysteme | 313 | im Juni 2020 Förderzusage durch RFRIT | Innopolis University, Tatarstan |
Entwicklung der Programmumgebung TIM Credo (Datenmodellierung für Großprojekte) | 252 | 2023 (Förderzusage durch RFRIT im Juni 2020) | |
Entwicklung der Online-Seminar-Software Webinar Meetings | 200 | Testphase läuft | |
Entwicklung einer russischen Plattform für Videokonferenzen als Alternative zu „Zoom“ | k.A. | Absichtserklärung | Ministerium für Digitales und Telekommunikation der RF, Yandex, Mail.ru |
Entwicklung von Software zur Gesichtserkennung | k.A. | ab 2020 | Satellit Innovazija (Macroscop) |
Einsatz der mobilen App „Smart Timber“ | k.A. | ab 2020 | |
Entwicklung einer digitalen Plattform für KMU mit steuerrechtlichen und anderen Dienstleitungen | k.A. | ab 2020 |