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Branchenbericht Russland Öl, Gas
Das neue Öl-Megaprojekt Vostok Oil könnte der Wirtschaftsleistung Russlands einen kräftigen Schub geben. Neben Bauwirtschaft und Logistik profitiert der Schiffbausektor.
05.12.2020
Von Gerit Schulze | Moskau
Trotz des globalen Trends zur Dekarbonisierung hat Ölkonzern Rosneft Ende November 2020 mit der Umsetzung des gigantischen Rohstoffprojekts Vostok Oil begonnen. Konzernchef Igor Setschin teilte mit, dass die Erschließungsarbeiten nun laufen und die Planung einer 770 Kilometer langen Ölleitung und eines Hafens abgeschlossen seien.
Das Megaprojekt Vostok Oil umfasst die Ausbeutung mehrerer Lagerstätten im Norden der Region Krasnojarsk auf der Halbinsel Taimyr. Dazu zählen die Ölfelder Wankor und Sapadno-Irkinski, die Rosneft gehören, sowie die Fundorte Pajjacha (Neftegazholding) und Wostotschny Taimyr, wo Rosneft mit der britischen BP kooperiert.
Die erkundeten Reserven haben ein Förderpotenzial von bis zu 6 Milliarden Tonnen leichtem Rohöl. Schon 2024 will Rosneft 25 Millionen Tonnen aus dem Boden pumpen. Die volle Jahreskapazität von 115 Millionen Tonnen könnte bis 2030 erreicht werden. Das entspräche einem Fünftel der heutigen russischen Ölproduktion (2019: 560 Millionen Tonnen).
Interessant für deutsche Zulieferer ist das Vorhaben durch den enormen Bedarf an Infrastruktur. Vostok Oil sorgt für rund 100.000 neue Arbeitsplätze. Es müssen 15 neue Industriestädte aus dem polaren Boden gestampft, 2.000 Kilometer Fern-Pipelines verlegt und der Hafen Sever an der Westküste der Taimyr-Halbinsel ausgebaut werden. Das Terminal nahe der Stadt Dikson soll bis Ende 2024 fertig sein und eine Umschlagkapazität von 115 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr haben.
Der Abtransport der Rohstoffe soll hauptsächlich über die Nordostpassage erfolgen, die Russland derzeit dafür vorbereitet (siehe GTAI-Bericht Russland baut den Nördlichen Seeweg zur Handelsroute aus). Als Hauptabnehmer sieht Rosneft neben europäischen Kunden China und Indien. Die Zusammenführung der verschiedenen Lagerstätten im Cluster Vostok Oil soll dabei helfen, mehr Fracht auf die polare Wasserstraße zu bringen.
Die notwendigen Tanker der Eisklasse Arc7 produziert die neue russische Werft Swesda im Fernen Osten. In der Nähe des Schiffbaubetriebs an der Pazifikküste plant Rosneft ein neues Stahlwerk für 2,2 Milliarden US-Dollar, das Stahlblech für die Schiffe und Pipelineröhren für Vostok Oil produzieren soll.
Das Projekt Vostok Oil könnte Russlands Wirtschaftsleistung erheblich beflügeln. Nach Angaben von Rosneft stimuliert es die Lokalisierung von Zuliefertechnologie wie Bohrausrüstungen und Tankern und würde das Bruttoinlandsprodukt um zwei Prozent im Jahr vergrößern. Während der Erschließungsphase und beim Aufbau der Infrastruktur werden bis zu 400.000 Arbeitskräfte benötigt.
Nach Berichten der Tageszeitung Iswestija hat Rosneft bereits langfristige Lieferverträge für 100 Bohreinrichtungen mit russischen Herstellern unterzeichnet. Sie sollen mit speziellen Sensoren und Satellitenortung ausgestattet werden, um effizienter die Ölfelder anzapfen und mögliche Havarien vorhersehen zu können. Mit Lkw-Hersteller Kamaz hat sich Rosneft auf die Lieferung von schweren Lastwagen und Krantechnik geeinigt. Die staatliche Industrieholding Rostec soll Aufträge für Hubschrauber bekommen.
Die Gesamtinvestitionen für Vostok Oil schätzen russische Experten auf rund 110 Milliarden Euro, inklusive dem Bau der Städte, Flughäfen, Pipelines und Hafeninfrastruktur.
Rosneft sucht weltweit nach Partnern, die sich an dem Vorhaben beteiligen. Ende November 2020 hat der Aufsichtsrat des Ölkonzerns zugestimmt, 10 Prozent von Vostok Oil an das Rohstoffhandelsunternehmen Trafigura aus Singapur zu verkaufen. Die Einnahmen will Rosneft nutzen, um das Ölfeld Pajjacha vom derzeitigen Eigentümer Neftegazholding zu übernehmen und in den Cluster Vostok Oil zu integrieren.