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Gesundheitssystem

Dank Zulagen aus Steuergeldern ist das dezentralisierte Gesundheitssystem für jeden zugänglich. Anders als die private Versorgung spielt die private Vorsorge nur eine Nebenrolle.

Von Michał Woźniak | Stockholm

Das schwedische Gesundheitssystem wird in seinen Grundzügen durch das Gesundheitspflegegesetz von 2017 geregelt. Dieses sieht eine noch stärkere Dezentralisierung vor als in den beiden Nachbarländern Dänemark und Norwegen. Seitens der Regierung werden größtenteils durch das Zentralamt für Gesundheits- und Sozialwesen (Socialstyrelsen) einzig die Eckpfeiler, Rechtsgrundlagen und Standards der Krankenpflege festgelegt. Sie bezuschusst zudem direkt die Gesundheitsausgaben der Regionen und Kommunen sowie die zahnärztliche Behandlung von Patienten ab dem 24. Lebensjahr.

Für die Zahnbehandlung jüngerer Patienten kommen die 21 Provinziallandtage (landstig) auf. Sie müssen ferner "den Einwohnern eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung und medizinische Betreuung bieten und sich für die Gesundheit der gesamten Bevölkerung einsetzen". Entsprechend obliegt ihnen die Sicherung der Gesundheitspflege insgesamt, deren Planung, Organisation sowie die Mittelverteilung. Die 290 Gemeinden übernehmen die Langzeit-, Behinderten- und Altenpflege.

Einer für alles

Das Fundament des Systems stellen die etwa 1.200 Gesundheitszentren (vårdcentral) dar. Jeder Besitzer der schwedischen Personalidentifikationsnummer (personnummer) kann sich frei aussuchen, bei welcher er sich einschreiben will und dies auch im Nachhinein ändern. Abgesehen von Notfällen sind sie die erste Anlaufstelle für Patienten. Termine werden üblicherweise telefonisch oder über das landesweite Gesundheitsportal 1177 vereinbart.

Dabei werden Patienten mit nahezu allen Beschwerden zuerst an eine Pflegefachkraft vermittelt, die die Ersteinschätzung übernimmt und auch Anweisungen bezüglich des Genesungsprozesses geben kann. Wiegt der Fall schwerer, gelangen Patienten zu Allgemeinmediziner:innen. Diese können rezeptpflichtige Medikamente verschreiben und gegebenenfalls Spezialuntersuchungen anordnen oder die Patienten an einen Spezialisten weiterleiten. Abgesehen von Pränatal-, Kinder- und Krebsmedizin sowie psychiatrischer Hilfe gilt allerdings eher das Gebot, zuerst Basisbehandlungen zu verschreiben.

Nicht ohne Eigenbeteiligung

Systematisch wird bereits dafür gesorgt, dass nicht wegen jeder kleinen Beschwerde das Gesundheitssystem eingespannt wird. Bei digitalen Erstkonsultationen wird keine Eigenzulage erwartet. Wer die vårdcentral in persona aufsuchen möchte, zahlt etwa 10 Euro für den Termin bei der Pflegefachkraft, etwa das Doppelte für eine Viertelstunde mit Allgemeinmediziner:innen und bis etwa 40 Euro für einen Spezialistenbesuch. Auch für Krankenhausaufenthalte gilt eine Selbstbeteiligung - etwa 12 Euro täglich für die ersten zehn Tage und etwa die Hälfte dieser Summe für jeden weiteren Tag danach.

Damit langfristige Beschwerden die Patientenfinanzen nicht zu sehr beanspruchen, wurden allerdings Obergrenzen für die Selbstbeteiligung aufgestellt, die zurzeit etwa ein Zehntel des monatlichen Durchschnittseinkommens betragen: Für Arztbesuche sind es knapp 120 Euro, für rezeptpflichtige Arzneimittel etwa 240 Euro, jeweils über einen Zeitraum von 12 Monaten.

Hauptsächlich öffentlich finanziert

In der Zahnmedizin sind die Obergrenzen gestaffelt. Personen, die älter als 23 Jahre sind, müssen entsprechende Kosten bis zu einer Summe von etwa 300 Euro über 12 Monate ganz aus der eigenen Tasche decken. Zwischen etwa 300 und 1.500 Euro übernimmt die Nationale Agentur für Sozialversicherung (Försäkringskassan) die Hälfte, darüber 85 Prozent der anfallenden Kosten. Diese werden allerdings nicht anhand der freigestaltbaren Preise der jeweiligen Praxis berechnet, sondern der Referenzpreisliste der Agentur für Zahnärztliche und Pharmazeutische Beihilfe (TLV). Zusätzlich wird am 1. Juli jeden Jahres ein sogenanntes "jährliches Zahnpflegegeld" zugesprochen, das durch ein entsprechendes Gesetz von 2002 geregelt wird. Je nach Altersgruppe beträgt dieses etwa 30 oder 60 Euro und verfällt bei Nichtinanspruchnahme nach zwei Jahren.

All die Zuschüsse und Gratisbehandlungen werden aus öffentlichen Mitteln getragen. Das Budget setzt sich dabei aus drei Basisteilen zusammen. Zum einen ist es der Krankenversicherungsbeitrag von 3,55 Prozent des Bruttogehaltes, der ausschließlich von Arbeitgebern getragen wird. Dieser wird hauptsächlich durch Einnahmen aus Regional- und Gemeindesteuern ergänzt sowie bei Bedarf aus Steuereinnahmen der Zentralregierung. Pandemiebedingt sind die letztgenannten deutlich gestiegen - für 2020 und 2021 dürften sie sich auf etwa 25 Milliarden Euro summieren.

Privat sind vor allem Dienstleister

Private Krankenversicherungen gewinnen zwar seit einiger Zeit an Zuspruch in Schweden, decken aber weiterhin nur einen Bruchteil der Ausgaben ab. Weit wichtiger sind private Dienstleister. Auf sie entfiel 2019 laut dem schwedischen Statistikamt SCB nahezu jede Fünfte für die Gesundheitspflege von den Regionen ausgegebene Krone. Der Anteil variiert dabei stark: In der Hauptstadtregion nähert er sich einem Viertel, in einigen kleineren Provinzen überschreitet er kaum 5 Prozent.

Laut Socialstyrelsen beschäftigen Privatdienstleister knapp 30 Prozent des medizinischen Personals in Schweden. Doch auch bei diesem Anteil bestehen große Unterschiede je nach Bereich und Posten. So ist etwa jede siebte Strahlentherapeut:in privat angestellt. In der biomedizinischen Wissenschaft oder der Sprachtherapie beträgt der Anteil jeweils etwa 20 Prozent, in der Psychologie und Psychotherapie etwa 50 Prozent. Der größte Privatisierungsgrad ist in der Physiotherapie zu finden - neun von zehn arbeiten hier privat.

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