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Gesundheitssystem

In Tschechien sind alle Einwohner gesetzlich versichert. Unter der neuen Regierung soll es erstmals Raum für eine freiwillige Zusatzversicherung geben. 

Von Miriam Neubert | Prag

Tschechien bietet eine umfassende, günstige und zugleich qualitativ hochwertige medizinische Versorgung. Das Gesundheitssystem erfasst 10,6 Millionen Menschen mit einem Netzwerk von 194 Krankenhäusern für die Grund- und Akutversorgung, 120 Fachkliniken (einschließlich Reha und Hospize), 93 Kureinrichtungen sowie 27.700 ambulanten Einrichtungen und Arztpraxen. In den Krankenhäusern (ohne Kurbetriebe) wurden 2018 über 2,2 Millionen Menschen im Schnitt 6,6 Tage lang behandelt. Auf private Betreiber entfallen fast 18 Prozent der Klinikbetten. 

Gesundheitsausgaben ziehen an

Die Gesundheitsausgaben steigen von Jahr zu Jahr - trotz Preisregulierungen, Erstattungskatalogen und anderen Limitierungen. Sie haben bereits in den beiden Jahren vor Corona um jeweils gut ein Zehntel sprunghaft zugelegt, zuletzt 2019 auf 478 Milliarden Tschechische Kronen (Kč), umgerechnet 18,6 Milliarden Euro. Den Hauptanteil finanzieren mit 83 Prozent öffentliche Quellen: die Versicherungen (65 Prozent), der Staatshaushalt, der besonders die Langzeitpflege bezahlt (16 Prozent) sowie Etats von Regionen und Gemeinden (2 Prozent). An zweiter Stelle stehen die privaten Ausgaben der Haushalte mit einem Anteil von 13 Prozent. Nicht gewinnorientierte Firmen tragen 4 Prozent bei. 

Im tschechischen Gesundheitssystem sind alle Menschen pflichtversichert. Bei abhängig Beschäftigten zahlt der Arbeitgeber 9 Prozent des Bruttolohns, der Arbeitnehmer 4,5 Prozent. Insgesamt stemmen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Selbständige mehr als drei Viertel der Beitragsleistung. Nicht ganz ein Viertel zahlt der Staat – allerdings für mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Es handelt sich um Rentner, beim Arbeitsamt gemeldete Arbeitslose, Kinder, Auszubildende und Studenten, Frauen in Mutterschutz sowie andere nicht erwerbstätige Gruppen. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist Teil der Sozialversicherung. Hier zahlt der Arbeitgeber 2,1 Prozent des Bruttolohns.

Versicherungen 2020 mit Überschuss

Alle Einwohner sind bei der Allgemeinen Gesundheitsversicherung VZP oder einer der sechs Betriebskassen versichert. Der Wechsel ist einmal in zwölf Monaten möglich. Öffentliche und private Gesundheitsdienstleister haben mit diesen Krankenkassen Verträge abgeschlossen. Sie decken das gesamte Spektrum ab: Vorsorgeuntersuchungen, ambulante und stationäre Heilbehandlungen, diagnostische Untersuchungen, Rehabilitationen und Kuren, Rettungs- und Notfalldienste. Kosten für zahnärztliche Behandlungen werden nur begrenzt übernommen. Zuzahlungen fallen auch bei bestimmten Medikamenten und Zusatzleistungen an. Bei Inanspruchnahme der Notdienste beträgt die Gebühr 90 Kč (3,50 Euro).

Unter Corona sind die Ausgaben der Versicherungen gegenüber 2019 nominal um 15,6 Prozent, umgerechnet mehr als 1,8 Milliarden Euro in die Höhe geschossen. Um das System zu stabilisieren, griff die Regierung zu einem etablierten Rezept: Sie erhöhte die Beiträge für die staatlich Versicherten kräftig auf aktuell 1.767 Kč (69 Euro). Für das Jahr 2022 wurde eine weitere Erhöhung von 200 Kč (circa 8 Euro) verabschiedet.

System auf Dauer nicht nachhaltig

Trotz Covid-19 konnte das System dadurch 2020 im siebten Jahr einen Überschuss erwirtschaften. Er lag bei 219 Millionen Euro. Dem Finanzministerium zufolge hat sich inzwischen eine Reserve von 2,4 Milliarden Euro aufgebaut.

Doch warnt der Verband der Betriebsversicherungen davor, dass das System nicht nachhaltig ist, weil die Ausgaben schneller wachsen als das Bruttoinlandsprodukt. Diese Tendenz hat die Pandemie noch verstärkt. Einer Untersuchung des Instituts für wirtschaftliche Studien der Karlsuniversität zufolge könnte das System bei diesem Tempo 2024 mit einem Defizit von umgerechnet bis zu 3 Milliarden Euro dastehen. Die Arbeitgeber wehren sich angesichts ihres bereits hohen Abgabenanteils gegen weitere Erhöhungen auf ihrer Seite. Zusammen mit den Versicherern rufen sie dazu auf, das Ausgabenwachstum 2022 bis 2024 auf nachhaltigere 4 bis 5 Prozent pro Jahr zu begrenzen.

Neue gesundheitspolitische Akzente

Infolge der Parlamentswahlen kommt es zu einem Regierungswechsel. Die Parteien ODS, TOP 09, KDU-ČSL, Piráti und STAN unterzeichneten am 8. November 2021 den Koalitionsvertrag. Ihre Gesundheitspolitik will den Versicherungen mehr Verantwortung übertragen und eine Diskussion über Bedarf und Sinn eines Preiswettbewerbs unter ihnen starten. Es wird die Möglichkeit einer freiwilligen Zusatzversicherung geben. Beiträge für staatlich versicherte Gruppen werden regelmäßig angepasst.

Mehr Effizienz, Transparenz, Systematik und Kontrolle soll die Kosten zügeln. So wird das Preis-Leistungsverhältnis neuer Technologien und empfohlener klinischer Vorgehensweisen fortan systematisch bewertet. Finanzierung und Planung der Rückerstattungen sollen mehrjährig erfolgen. Seit 2016 läuft das Projekt DRG Restart, das das Erstattungssystem für die Krankenhauspflege in Tschechien methodisch optimiert und effizienter macht. Diese Transformation der Erstattungspauschalen für akute stationäre Leistungen wird fortgesetzt, wobei auch in anderen Segmenten Ungleichgewichte ausgeräumt werden sollen.

Elektronisierung wird großgeschrieben. Mit Hilfe der Versicherungen sollen Gesundheitsdienstleister ein elektronisches Monitoring-System für freie Kapazitäten einführen. Ein weiteres soll bei geplanten Operationen und Behandlungen die Wartezeiten organisieren. Besonderes Augenmerk gilt der Verfügbarkeit von Gesundheitsdienstleistungen in kleinen Gemeinden und weniger besiedelten Regionen. Das Gesundheitsministerium wird dort neue Praxen von Allgemein-, Kinder- und Zahnärzten massiv unterstützen und durch ein Bonus-System bei der Leistungserstattung motivieren.

Vor dem Hintergrund der Pandemie rückt die Vorsorge sowie die Unterstützung der Gesundheitskompetenz und eines gesunden Lebensstils nach vorn. Dafür sind finanzielle Anreize geplant. Zu Prävention und Management von kardiovaskulären, onkologischen, psychischen Erkrankungen und Diabetes sollen innovative Behandlungsformen beitragen.

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