Branchen | Ungarn | Baukonjunktur
Bauwirtschaft steht vor Aufschwung
Die Konjunkturerholung nach der Coronakrise wird Ungarns Bausektor ab 2022 zu kräftigem Wachstum verhelfen. Dazu werden in hohem Maße auch Gelder der Europäischen Union beitragen.
19.08.2021
Von Waldemar Lichter | Budapest
Die Signale, die derzeit von der Bauwirtschaft ausgehen, sind ermutigend. Für die erste Jahreshälfte 2021 meldet das ungarische Statistikamt KSH ein kräftiges Wachstum der Bauproduktion. Auch Auftragsbestand und -eingang zeigen stark nach oben.
So nahm die Bauproduktion im 1. Halbjahr 2021 um 7,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu, nach einem Minus von 9,7 Prozent im Krisenjahr 2020. Das Volumen der Neuabschlüsse war Ende Juni 2021 rund 11,9 Prozent und der Auftragsbestand der Bauunternehmen 21,2 Prozent höher als im Juni 2020. Der Sektor scheint damit die durch die Pandemie verursachte Krise überwunden zu haben.
Probleme auf dem Baustoffmarkt
Die sich erholende Baukonjunktur könnte allerdings ausgebremst werden. Denn starke Preissteigerungen vor allem bei Baustoffen, aber auch für Bauleistungen machen sich zunehmend negativ bemerkbar.
Diese Entwicklung hat die Regierung bereits zu scharfen Reaktionen veranlasst. So sollen Ausfuhren von Baustoffen stärker kontrolliert und bei einigen Produktgruppen möglicherweise sogar genehmigungspflichtig werden. Damit soll der Markt vor einer Baustoffknappheit geschützt werden. Zudem wurden Untersuchungen über mögliche Kartelle und Preisabsprachen eingeleitet. Experten befürchten, dass die Preisexplosion und Lieferengpässe bei Baustoffen so manches Investitionsprojekt verzögern könnten.
Wachstumsimpulse durch EU-Transfers
Noch ist nicht absehbar, wann und wie viel Geld aus dem Konjunkturpaket der Europäische Union (EU), der sogenannten Aufbau- und Resilienzfazilität, nach Ungarn fließen wird. Die Europäische Kommission hat dem ungarischen Aufbauplan noch nicht zugestimmt. Die Verhandlungen zwischen Budapest und Brüssel sind vorerst bis Ende September 2021 verlängert worden.
Ungarn rechnet damit, aus dem Wiederaufbaufonds insgesamt 7,2 Milliarden Euro zu erhalten. Weitere 22,5 Milliarden Euro könnten in Form von Kohäsionsmitteln im Rahmen des regulären mehrjährigen Finanzrahmens der EU von 2021 bis 2027 fließen.
Die Gelder aus Brüssel würden dem ungarischen Bausektor entscheidende Impulse geben. Allein aus der Aufbau- und Resilienzfazilität würden zwischen 2022 und 2026 rund 4,2 Milliarden Euro für Baumaßnahmen und -investitionen verwendet, so Berechnungen des europäischen Baunetzwerks Euroconstruct.
Ein nachhaltiger Aufschwung im ungarischen Bausektor sei ab 2022 zu erwarten - wenn die ersten EU-Gelder fließen. Dann werde die Bauproduktion um 7 bis 8 Prozent pro Jahr zulegen, prognostizieren Euroconstruct-Experten.
Tiefbau könnte sich 2022 erholen
Ungeachtet aller Regierungsmaßnahmen zur Förderung des Wohnungsbaus (Reduzierung der Mehrwertsteuer auf 5 Prozent, Zuschüsse für Familien) wird eine Trendwende im Wohnungsbau erst 2022 erwartet. Der Markt für Wohnungsrenovierung und -modernisierung profitiert bereits 2021 von einem umfangreichen Förderprogramm der Regierung. Die Bauleistung in diesem Bereich wird laut Euroconstruct um 15 Prozent zulegen. Der Neubau kommt dagegen erst 2022 und 2023 in Fahrt (plus 14 beziehungsweise 16 Prozent).
Für den Tiefbausektor sieht Euroconstruct zwar bereits 2021 erste Erholungstendenzen. Die Bauleistung in diesem Segment dürfte aber erst 2022 wieder wachsen (plus 9,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr) und könnte dann 2023 noch einmal deutlich zuzulegen (plus 13,1 Prozent). Der starke Anstieg in diesem Bereich wird zum großen Teil auf den erwarteten Beginn der Finanzierung von Tiefbauprojekten aus EU-Fonds zurückzuführen sein.
Außerdem dürften ab 2022 zwei der größten Investitionsvorhaben in Ungarn in Fahrt kommen - die Erweiterung des Kernkraftwerks Paks und der Ausbau der Bahnstrecke Budapest – Belgrad. Diese werden mithilfe russischer beziehungsweise chinesischer Kredite finanziert.
Bauproduktion in Ungarn nach Sparten (in Millionen Euro, reale Veränderung in Prozent)
Bauvolumen 2020 | 20202) | 20212,3) | 20222,3) | 20232,3) | |
---|---|---|---|---|---|
Hochbau | 10.715 | -4,0 | 1,6 | 7,1 | 5,1 |
Neubau | 6.066 | -4,5 | -3,8 | 5,6 | 6,9 |
Renovierung | 4.648 | -3,3 | 8,7 | 8,8 | 3,2 |
darunter | |||||
Wohnungsbau | 3.949 | -12,3 | -2,1 | 12,0 | 9,0 |
Neubau | 2.246 | -16,0 | -15,0 | 14,0 | 16,0 |
Renovierung | 1.703 | -7,0 | 15,0 | 10,0 | 2,0 |
übriger Hochbau | 6.766 | 1,7 | 3,8 | 4,4 | 2,8 |
Tiefbau | 5.007 | -13,2 | -7,6 | 9,9 | 13,1 |
Neubau | 2.887 | -16,0 | -13,0 | 18,0 | 20,0 |
Renovierung | 2.119 | -9,0 | -0,3 | 0,3 | 3,5 |
Insgesamt | 15.721 | -7,1 | -1,3 | 7,9 | 7,6 |
Tiefbauproduktion in Ungarn (in Millionen Euro, reale Veränderung in Prozent)
Bauvolumen 20201) | 20192) | 20202) | 20212,3) | 20222,3) | |
---|---|---|---|---|---|
Tiefbau insgesamt | 5.007 | 21,0 | -13,2 | -7,6 | 9,9 |
Transportinfrastruktur | 3.811 | 18,3 | -12,2 | -10,1 | 6,5 |
Straßen | 1.741 | 24,1 | -25,0 | -12,0 | 7,0 |
Bahnanlagen | 1.231 | 5,0 | 3,0 | -4,0 | 5,0 |
Übrige Verkehrsinfrastruktur | 840 | 25,1 | 2,0 | -15,0 | 8,0 |
Telekommunikation | 283 | 28,0 | 3,0 | 3,0 | 3,0 |
Energieversorgung | 287 | 18,9 | -6,0 | -8,0 | 40,0 |
Wasserversorgung | 469 | 61,9 | -20,0 | -2,0 | 12,0 |
Sonstiges | 157 | -1,6 | -40,0 | 20,0 | 35,0 |