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Für die US-Autoindustrie ist die Covid-19-Pandemie eine harte Probe. Pläne für neue Elektroautos bestehen fort, der Ausbau der Ladeinfrastruktur hinkt aber hinterher.
10.07.2020
Von Heiko Steinacher | San Francisco
Durch den Pandemieausbruch lagen US-Autofabriken rund zwei Monate still. Zwar dürfte der Fahrzeugabsatz in den USA im 2. Quartal 2020 um rund ein Drittel gesunken sein, doch „fangen die Menschen wieder an, mehr Autos zu kaufen“, sagte Anfang Juli Jessica Caldwell, Chef-Analystin beim Autohandelsportal Edmunds.com.
Umfragen vor der Covid-19-Pandemie legten nahe, dass rund ein Drittel der US-Autofahrer beim nächsten Autokauf zu einem Elektromodell greifen könnte. Die Autoindustrie verfolgt daher große Pläne, das Land zu „elektromobilisieren“. Viele E-Fahrzeuge wurden entworfen, meist mit Reichweiten um die 200 Meilen (etwa 320 Kilometer). Neben der Reichweite wurde auch die Laufdauer immer besser: Tesla und General Motors (GM) entwickeln bereits Akkus für 1 Million Meilen.
Heimat von Teslas neuer "Cybertruck"-Gigafabrik werde Austin, Texas, oder Tulsa, Oklahoma, berichten US-Medien. Nahe seinem Hauptwerk im kalifornischen Fremont plant der E-Auto-Pionier eine neue Einrichtung zur Batterieforschung, die 470 Mitarbeiter beschäftigen soll.
Im E-Pick-up-Segment tummeln sich bereits viele US-Anbieter. Mit Nikola wächst gerade ein neuer Konkurrent heran: Firmenchef Trevor Milton sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass die Produktion des Pick-ups Badger „2022 oder früher“ starten werde. Neben Pick-ups und Lastwagen mit Elektroantrieb entwickelt das Start-up aus Phoenix, Arizona, auch Schwerlast-Lkw mit Wasserstoffantrieb und kooperiert dabei mit dem deutschen Zulieferer Bosch.
Unterstützung kommt von einzelnen US-Bundesstaaten: So hat Kalifornien im Juni ein Gesetz verabschiedet, wonach Lkw-Bauer ab 2024 schrittweise auf emissionsfreie Antriebe umsteigen müssen. „Das wird der E-Fahrzeugindustrie die nötige Sicherheit geben, um trotz kurzfristig gesunkener Ölpreise gestärkt aus der aktuellen Coronakrise hervorzugehen“, sagt Marc Dörfer, Leiter des Entwicklungs- und Beratungsdienstleisters für zukünftige Mobilitätskonzepte PEM Motion USA in Sacramento. Bis 2045 soll dann jeder neue in Kalifornien verkaufte Lkw, Transporter und Pick-up emissionsfrei sein. Dörfer ist sicher: „Weitere Bundesstaaten werden diesem Beispiel bald folgen.“
Zwar halten die Autobauer an vielen Projekten für neue E-Modelle fest, die sie bereits vor der Coronakrise geplant hatten (siehe hierzu Online-Beitrag in „Markets International“, Ausgabe 4-20). Um Elektroautos für den Individualverkehr in der Breite einzuführen, braucht es aber bessere Lademöglichkeiten. So sind zum Beispiel Schnellladepunkte im Vergleich zu Normalladesäulen noch ziemlich rar: Nur etwa ein Fünftel der landesweit rund 64.000 Ladestecker kann eine leere Autobatterie in weniger als einer Stunde wieder aufladen, offenbart eine Analyse von Bloomberg News.
GM hat Anfang März 2020, also kurz bevor die Coronakrise in den USA richtig ausbrach, angekündigt, 3.500 neue Ladepunkte für E-Autos aufzubauen, aber nur an seinen USA- und Kanada-Standorten. Außerdem will GM, gemeinsam mit dem Anlagenbauer Bechtel Group, externe Investoren gewinnen für den Bau neuer Ladestationen. Ford setzt auf das Netz von Electrify America, das in 45 US-Bundesstaaten und dem District of Columbia geplant ist: Ihren ersten Ost-West-Schnellladekorridor hat die VW-Tochter bereits fertiggestellt, eine zweite Cross-Country-Route soll bis September 2020 folgen. Bis Ende 2021 soll das Netzwerk von Electrify America 800 Ladestationen mit 3.500 Schnellladepunkten umfassen.
Mit Ausnahme von Tesla, das sein eigenes Netz von Schnellladern aufgebaut hat, halten sich die Autobauer ansonsten zurück. Sie scheinen vielmehr auf Initiativen von Ladenetzwerken wie EVgo, ChargePoint und Greenlots zu warten. Andererseits entdecken immer mehr Energieversorger dieses Geschäftsfeld für sich: Laut der Fachzeitschrift „Automotive News“ haben Stromerzeuger bis Ende Mai landesweit bereits rund 245.000 Ladepunkte beantragt. Auch der Lebensmitteleinzelhandel dürfte in den nächsten Jahren stärker in Ladenetze investieren. Für einen E-Mobility-Durchbruch in der Breite genüge all das aber wohl noch nicht, sagen Experten.
Ob und wie Covid-19 sich auf die Finanzierung von Start-ups und Tech-Firmen – und damit auch auf die Entwicklung autonomer Fahrzeugtechnologien – auswirken wird, ist noch unklar. Amazon gab im Juni bekannt, den Roboterautoentwickler Zoox zu übernehmen – laut US-Medienberichten für mehr als 1,2 Milliarden US-Dollar. Finanzielle Engpässe und ausbleibende Testfahrten während der Pandemie verzögern indes die Forschung in diesem Bereich, sodass es womöglich in den nächsten Jahren noch keine eigenständig fahrenden Robotertaxis geben wird.
Andererseits deuten „Trends und Kapitalbewegungen darauf hin, dass Lieferroboter einen Schub bekommen“, sagt Sven Beiker, Geschäftsführer der Beratungsfirma Silicon Valley Mobility in Palo Alto, Kalifornien. „Auch Assistenzsysteme wie Autopiloten oder Spurhalteassistenten, die Unfallrisiken reduzieren, sind begehrt.“
Dass sie gegenüber Tech-Größen aus dem Silicon Valley noch viel aufzuholen haben, wissen deutsche Autobauer. So sind sämtliche Fahrzeuge von Tesla bereits vernetzt, und als Kunden von Googles Betriebssystem Android Automotive stehen bereits Volvo, dessen Tochter Polestar, GM und Fiat Chrysler Automobiles fest. Dabei handelt es sich um ein Multimediasystem, das die gesamte Cockpit-Elektronik steuert. Doch Kooperationen mit dem Internetgigant bergen die Gefahr, auf lange Sicht zum austauschbaren Hardware-Lieferanten zu werden. Um die Kontrollhoheit über Kundenschnittstellen und die in den Autos gesammelten Daten behalten zu können, entwickeln BMW, Daimler und VW daher ihre eigenen Softwareplattformen, die einmal sämtliche Funktionen in ihren Fahrzeugen zentral übernehmen sollen.