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Im Flächenland USA fehlt es an Hochspannungsleitungen, um ausreichend Strom aus erneuerbaren Quellen in Industriezonen und Großstädte zu transportieren.
08.12.2020
Von Ullrich Umann | Washington, D.C.
Seit 2014 sind lediglich 3 Gigawatt an Übertragungskapazitäten hinzugekommen. Dabei handelt es sich um ein einziges Leitungsprojekt mit der Bezeichnung TransWest Express, das in naher Zukunft Windstrom aus Wyoming nach Arizona, Nevada und Südkalifornien transportiert.
Das US-Energieministerium DoE (U.S. Department of Energy) hat die Defizite bei Übertragungskapazitäten untersucht und dabei festgestellt, dass ein langfristiger Ausbau im Wert von bis zu 80 Milliarden US-Dollar (US$) nötig ist. Der wirtschaftliche Nutzen aus dieser Großinvestitionen würde der Untersuchung zufolge einen doppelt so hohen Betrag erreichen. Eine praktische Umsetzung ist bislang aber nicht erfolgt. Der Ingenieursverband ASCE (American Society of Civil Engineers) spricht abweichend vom DoE von einem Investitionsstau von 35,4 Milliarden US$, der bis 2039 aufgelöst werden sollte.
An Investoren, auch privaten, fehlt es nicht. Im Gegenteil wurden mehrere Anläufe unternommen, darunter die Vorhaben “Power from the Prairie”, “Grain Belt Express Clean Line” und “Zephyr Power Transmission”. Doch scheiterten alle Versuche an nicht erteilten Baugenehmigungen.
Dabei besteht das Ziel der Bauvorhaben nicht allein darin, Strom von A nach B zu transportieren. Es geht auch darum, mehr günstigen Strom aus erneuerbaren Quellen im gesamten Netz flexibel verfügbar zu machen. So könnte eine bestimmte Region, in der tagsüber günstig Sonnenenergie geerntet und abgegeben werden kann, nachts überschüssigen Windstrom aus anderen Landesteilen beziehen und damit eine ganztägige Versorgungssicherheit klimaneutral garantieren.
Regional betrachtet, könnte billiger Ökostrom in den Morgenstunden aus anderen Landesteilen an die Ostküste geliefert werden, wenn dort ein Spitzenverbrauch vorherrscht. Im Laufe des Tages zieht diese Verbrauchsspitze in Richtung Westküste ab. Netzplaner bezeichnen diese Art Stromswaps als virtuelle Speicher, wodurch die Errichtung von Erzeugerkapazitäten und physischen Energiespeichern auf ein Mindestmaß zurückgefahren werden könnte.
Hinderlich sind unter anderem die landesweit vorherrschenden Eigentumsverhältnisse in den Netzen und die sich daraus ergebende äußerst heterogene Interessenlage. Zulassungsbehörden auf bundesstaatlicher und Bundesebene, darunter die Federal Energy Regulatory Commission, verhalten sich daher sehr zurückhaltend. Daneben stellen Proteste der Anlieger, über deren Grundstücke die Hochspannungsleitungen führen sollen, eine juristische Hürde dar.
Um den Bau von Übertragungsleitungen voranzutreiben, hat sich eine Interessengemeinschaft unter dem Namen Americans for a Clean Energy Grid gegründet. An ihr nehmen der Windkraftverband AWEA (American Wind Energy Association), Investoren in erneuerbare Energien, Stromhändler und Energieunternehmen teil.
Im Auftrag der Initiative hat die Iowa State University ein Gutachten mit dem Arbeitstitel “Macro Grids in the Mainstream: An International Survey of Plans and Progress” erstellt. Es kam zu dem Ergebnis, dass die in den USA anzutreffende Dezentralisierung der Übertragungs- und Verteilungsnetze sich eindeutig nachteilig auf Genehmigungsverfahren für neue Hochspannungsleitungen auswirkt.
Laut Gutachten wird die Elektrizitätswirtschaft von einer Vielzahl von Entscheidungsträgern beeinflusst, darunter von über 200 im Besitz privater Anteilsinhaber befindlichen Versorgungsunternehmen, 10 landesweit operierenden Stromkonzernen, über 2000 öffentlichen Regionalversorgern, 900 ländlichen Elektrizitätsgenossenschaften, sieben regionalen Systembetreibern (Regional Transmission Organizations; RTO), 48 bundesstaatlichen Regulierungsbehörden sowie einer Vielzahl von Energieagenturen auf Bundes- und bundesstaatlicher Ebene.
Aber nicht allein die zerklüftete Eigentümerstruktur behindert das Entstehen virtueller Speicher, auch das Betriebsalter der bestehenden Übertragungslinien. Die Ingenieursvereinigung ASCE wies bereits 2017 darauf hin, dass die vorhandenen Anlagen in den 1950er und 1960er Jahren gebaut und für eine Betriebsdauer von 50 Jahren ausgelegt wurden. Zur damaligen Zeit konnte der Energiebedarf des 21. Jahrhunderts aber nicht vorausgesehen werden. Inzwischen wurde die garantierte maximale Betriebsdauer überschritten, ohne dass nennenswerte Modernisierungen erfolgten.
Innerhalb eines Bundesstaaten fällt es privaten Investoren oder auch öffentlichen Versorgungsunternehmen leichter, eine Baugenehmigung für Übertragungsleitungen zu erhalten. Im Staat New York zum Beispiel hat die zuständige Public Service Commission Reformen verabschiedet, die den Planungs- und Genehmigungsprozess beschleunigen sollen. Daraufhin konnte die New York Power Authority ein Projekt zum Bau von Übertragungskapazitäten in den nördlichen Regionen des Bundesstaates für 1.050 Megawatt an Strom aus erneuerbaren Quellen in Angriff nehmen.
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