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Branchen | Vereinigtes Königreich | Chemische Industrie

Britische Chemieindustrie wächst auf Heimatmarkt

Die britische Chemieindustrie hat die Coronakrise bereits deutlich hinter sich gelassen. Auffällig ist die starke Binnennachfrage, während das Exportgeschäft langsamer wächst.

Von Marc Lehnfeld | London

Kaum eine britische Branche hat sich in der Coronakrise so robust gezeigt wie die Chemieindustrie. Nur in den drei schwierigsten Monaten der Krise verzeichnete die Branche leichte Produktionsrückgänge, während das verarbeitende Gewerbe historische Rückschläge erlebte. Schon seit Juli 2020 produzieren die Hersteller wieder über dem Vorkrisenniveau.

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Besonders gut läuft das Geschäft auf dem Binnenmarkt. Die Verkäufe der Branchenunternehmen auf dem Heimatmarkt sind im 1. Halbjahr 2021 um 24,7 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode gestiegen. Das spiegelt vor allem die schnelle Erholung der britischen Industrie wider, die sich nach dem dramatischen Produktionseinbruch von rund einem Viertel im April 2020 schnell wieder auf Erholungskurs begeben hat und im Juni 2021 nur noch 2,4 Prozent unter dem Vorkrisenniveau lag. 

Ein Blick auf die Geschäftszahlen der großen britischen Chemiekonzerne bestätigt das gute Geschäftsklima. Der Umsatz des Katalysator-Spezialisten Johnson Mattey stieg im 1. Quartal des Geschäftsjahrs um 63 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode, während das Unternehmen seine Geschäftsaktivitäten über Zukäufe im Geschäftsfeld des grünen Wasserstoffs und Partnerschaften bei Batteriematerialien diversifizieren konnte. Croda International steigerte seine Verkäufe im 1. Halbjahr 2021 um 38,8 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum in 2020 und profitierte dabei nicht nur von der Erholung der allgemeinen Nachfrage, sondern auch dem guten Zuliefergeschäft für die Impfstoffproduktion von Biontech/Pfizer. Allerdings plant das Spezialchemikalienunternehmen eine Fokussierung des Geschäfts auf die Sparten Life Sciences und Consumer Care, was eine Auslagerung der Produktion von Industriechemikalien bedeuten könnte. Die Auslagerung könnte drei Viertel des Konzernumsatzes betreffen.

Coronatests und Reagenzien treiben Binnennachfrage

Außergewöhnlich stark ist die Entwicklung in der Herstellung sonstiger Chemikalien, hinter der sich vor allem Laborreagenzien und Coronatests verstecken. Ihr Umsatz wuchs im 1. Halbjahr 2021 insgesamt um fast 33 Prozent, darunter legte der Inlandsumsatz überdurchschnittlich stark um fast 59 Prozent auf umgerechnet rund 2,6 Milliarden Euro zu.

Dabei kann die Inlandsnachfrage kaum durch die nationale Produktion gesichert werden, wie die Importstatistik offenbart. Im gleichen Zeitraum haben sich die Einfuhren sonstiger Chemikalien (SITC 59) mit rund 6,7 Milliarden Euro ebenfalls mehr als verdoppelt. Auch wenn die Güterkategorie neben Laborreagenzien zudem Insektizide, Stärke, Sprengstoffe und Hydraulikflüssigkeiten umfasst, dürfte der Coronaeffekt dominieren. Lieferungen aus China decken knapp 45 Prozent der britischen Importe aus dieser Kategorie ab.

Brexit: Marktanteil europäischer Lieferungen schrumpft

Mit der steigenden Binnennachfrage nehmen auch die Chemieeinfuhren zu, die im 1. Halbjahr 2021 um 11 Prozent über dem Niveau der Vorjahresperiode lagen. Bereinigt man die Gesamteinfuhren aber um die Kategorie "sonstige Chemie", blieben sie lediglich konstant.

Außerdem wird eine deutliche Verschiebung bei den Herkunftsregionen sichtbar. Der Marktanteil chemischer Lieferungen aus der Europäischen Union (EU) ist gegenüber 2018 von 74 Prozent auf 61,3 Prozent gefallen. Die Rückgänge betreffen alle Warenkategorien (SITC-2-Steller) und sind bei medizinischen und pharmazeutischen Produkten besonders deutlich. Ihr Marktanteil ist um fast 9 Prozentpunkte auf knapp 68 Prozent gefallen. 

Analog zum europäischen Lieferrückgang haben sich die Einfuhren aus Drittstaaten um 57,1 Prozent erhöht. Einen großen Anteil daran haben Chemieimporte aus China, die sich verdreifacht haben, während Lieferungen aus den USA um 30,4 Prozent wuchsen. Dabei sind nicht nur die Einfuhren von "sonstiger Chemie" deutlich um 125,4 Prozent gewachsen, sondern auch die Importe der größten Gütergruppe der medizinischen und pharmazeutischen Produkte, die um 23,9 Prozent angestiegen sind.

Auch wenn der Einfuhranteil aus der EU hoch bleibt, ist bei steigender nationaler Chemieproduktion und zunehmenden Einfuhren aus Drittländern ein Brexit-Effekt nicht auszuschließen. Die zollrechtlichen Anforderungen an EU-Einfuhren werden zwar erst schrittweise angehoben, allerdings gilt mit UK REACH bereits seit Beginn des Jahres ein neuer britischer Regulierungsrahmen, der das europäische REACH-Regime abgelöst hat. Damit gehen auch zahlreiche neue Registrierungspflichten für britische Chemikalienimporteure einher.

Britische Importe ausgewählter chemischer Erzeugnisse 2022

Produktkategorie 1)

Importvolumen (in Mio. Euro) 2)

Veränderung 2022/ 2021 (in %)

Anteil Deutschlands (in %)

Veränderung der deutschen Importe 2022/2021 (in %)

Chemische Erzeugnisse, gesamt, davon

89.229

26,7

12,2

14,8

  51 Organische chemische Erzeugnisse

14.789

42,0

7,9

6,5

  52 Anorganische chemische Erzeugnisse

3.991

56,1

12,1

26,9

  53 Farben und Lacke

2.064

13,3

19,9

-8,4

  54 Arzneimittel

31.972

35,7

12,6

37,9

  55 Waschmittel/Kosmetika

8.814

20,7

10,0

15,1

  56 Düngemittel

2.451

128,5

8,5

127,0

  57 Kunststoffe (Primärform)

8.734

21,3

16,2

-10,3

  58 Kunststoffe (Halbwaren)

5.376

24,5

18,8

8,4

  59 Andere chemische Erzeugnisse

11.037

-9,1

11,3

0,7

1 SITC-Warenverzeichnis; 2 Rechnerischer Wechselkurs der Bundesbank für das Jahr 2022: 1 Euro = 0,85276 Pfund-Sterling (£).Quelle: Berechnungen von Germany Trade & Invest auf Basis von UK Trade Info/HM Revenue & Customs 2023

Hinzu kommen logistische Engpässe durch einen Mangel an Lkw-Fahrern, der mehrere Branchen betrifft. "Wir verzeichnen eine steigende Zahl von Berichten über verspätete Zustellungen unserer Mitgliedsunternehmen aus dem Chemiehandel und sind darüber alarmiert, dass sich die Situation so verschlechtert hat, dass Lieferungen schlichtweg ausfallen", erklärt Tim Doggett, Chief Executive beim britischen Verband der Chemieunternehmen CBA. Rund 96 Prozent der Verbandsmitglieder beklagen Lieferprobleme. Besonders sichtbar ist das Problem bei Kläranlagen, die über Versorgungsengpässe bei Eisen(III)-sulfat klagen, das für die Abwasserreinigung benötigt wird. 

Unterdurchschnittlich entwickeln sich die Exportumsätze britischer Chemiefirmen, die im 1. Halbjahr 2021 um nur 6,3 Prozent zulegen konnten. Ein vermuteter Brexit-Effekt lässt sich allerdings nicht feststellen. Obwohl die Ausfuhren in die EU bereits voll den neuen Anforderungen der Zollgrenze unterliegen, konnten sie im gleichen Zeitraum um 10,4 Prozent zulegen. Die Exporte in Drittstaaten sind hingegen um 3 Prozent gefallen. 

Weitere Informationen zur Chemieindustrie im Vereinigten Königreich fasst die Branche kompakt: Chemische Industrie zusammen.

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