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Hohe Investitionen lassen den britischen Medizintechnikmarkt in den nächsten Jahren wachsen. Die neue Zollgrenze und der nationale Gesundheitsdienst erschweren den Marktzugang.
11.01.2021
Von Marc Lehnfeld | London
Trotz der neuen Zollgrenze sind die Aussichten für den britischen Medizintechnikmarkt gut. Nicht erst die Coronakrise hat die Unterausstattung des öffentlichen Gesundheitssystems offengelegt. Die britische Regierung hatte schon im Wahlkampf vom Herbst 2019 Investitionen in den nationalen Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) versprochen und im Jahr 2020 mit konkreten Investitionsprogrammen unterstrichen. Auch der NHS erlebt bis 2030 einen Investitionsschub in seinem Netzwerk öffentlicher Krankenhäuser. Bis dahin sollen über 40 Krankenhäuser neu gebaut, erweitert oder modernisiert werden, so die Ankündigung der britischen Regierung im Herbst 2020. Auch das E-Health-System der Briten erlebte in der Coronakrise einen Boom und wird in Zukunft weiter ausgebaut, wie dieses GTAI-Special zusammenfasst.
Der britische Medizintechnikmarkt wird als drittgrößter Absatzmarkt Europas und sechstgrößter der Welt auch in den nächsten Jahren weiter wachsen. Die Analysten von Fitch Solutions erwarten ein jahresdurchschnittliches Wachstum zwischen 2019 und 2024 auf Pfundbasis um 3,5 Prozent. Für 2020 schätzen die Fitch-Analysten das Marktvolumen auf rund 11,2 Milliarden Euro (beziehungsweise 10,2 Milliarden Pfund Sterling).
Besonders im Coronajahr 2020 hat das Marktvolumen deutlich zugelegt. Verantwortlich ist dafür hauptsächlich die teure und umfangreiche Beschaffung von Schutzausrüstungen im Kampf gegen die Virusausbreitung. Laut National Audit Office sorgt der außergewöhnliche Bedarf und der entsprechende Preisaufschlag beim NHS England für Mehrkosten von rund 15 Milliarden Pfund, die in der Fitch-Prognose noch nicht voll abgebildet ist.
Das mit einem Anteil von 21,9 Prozent (2019) größte Marktsegment der Verbrauchsgüter (Bandagen, Katheter, Nahtversorgung, usw.) profitiert aufgrund des großen Bedarfs an Schutzmaterialien in der Coronakrise 2020 von einem Umsatzwachstum um 47,1 Prozent. Wegen des Sondereffekts über den gesamten Zeitraum von 2019 bis 2024 wird es jahresdurchschnittlich um rund 4,2 Prozent zulegen.
Segment | in Millionen Euro | Anteil in Prozent | Angaben pro Kopf in Euro |
---|---|---|---|
Verbrauchsmaterialien | 2.307,0 | 21,9 | 34,2 |
Diagnostische Bildgebung | 2.130,5 | 20,2 | 31,6 |
Zahnmedizinische Produkte | 636,7 | 6,0 | 9,5 |
Orthopädie/Prothesen | 1.289,3 | 12,3 | 19,1 |
Medizinische Hilfsmittel für Patienten | 1.703,3 | 16,2 | 25,2 |
Sonstige | 2.457,9 | 23,4 | 36,3 |
Insgesamt | 10.524,7 | 100,0 | 155,8 |
Das zweitgrößte Segment, die bildgebende Diagnostik, wird ihren Marktanteil von rund einem Fünftel über den Prognosezeitraum halten und jahresdurchschnittlich um 3,8 Prozent wachsen. Möglich ist aber ein deutlicher Ausschlag nach oben, nachdem NHS England im Oktober 2020 einen Bericht veröffentlichte, der die Defizite in der Diagnostik aufzeigt. Danach ist eine Verdopplung der CT-Kapazitäten in den nächsten fünf Jahren erforderlich, um die Früherkennung von Krebs, Herz- und Lungenkrankheiten zu verbessern. Dafür sollen auch lokale Community Diagnostic Hubs aufgebaut werden.
Die langen Wartelisten von Patienten mit aufschiebbaren Behandlungen, darunter auch Hüftoperationen, sind durch die Coronakrise weiter gewachsen. Mehr als 111.000 Patienten warten bereits seit knapp einem Jahr auf einen Termin im Krankenhaus. Eine wichtige Rolle kommt deshalb auch den privaten Gesundheitsdienstleistern zu. "Wir gehen davon aus, dass die langen Wartelisten den Bedarf nach Selbstzahlerleistungen erhöhen und auch unsere Rolle im öffentlichen Gesundheitssystem stärkt", erklärt David Hare, Chief Executive vom Independent Healthcare Providers Network (IHPN). Die Eröffnung der Cleveland Clinic London im Herbst 2021 mit 184 Betten unterstreicht den Trend. Auch die deutsche Unternehmensgruppe Schön Klinik ist auf der britischen Insel tätig.
Während der Coronakrise haben private Anbieter im Jahr 2020 das Kapazitätsdefizit des NHS mit zusätzlich 8.000 Betten und Personal zum Selbstkostenpreis ausgeglichen. Damit konnten die privaten Anbieter den Einbruch kompensieren, der durch den Corona-bedingten Wegfall des wichtigen Gesundheitstourismus entstanden ist.
Projekt | Investitionssumme | Anmerkung |
---|---|---|
730 | grünes Licht für den Bau eines neuen Krankenhauses für Erwachsene sowie eines Kinderkrankenhauses wurde im Februar 2020 gegeben | |
562 | grünes Licht zum Bau einer neuen Klinik wurde im November 2020 gegeben. Geplanter Baustart: Frühjahr 2022 | |
393 | genauer Standort zum Bau des neuen Krankenhauses steht noch nicht fest. Geplanter Baustart: 2023 | |
393 | Neubau einer Spezialklinik für Augenkrankheiten soll gegenwärtige Einrichtung ersetzen | |
247 | in Planung. Neues Spezialkrankenhaus für Krebsforschung | |
225 | Bau eines neuen Kinderkrankenhauses in Cambridge. Geplanter Baustart: April 2023 | |
112 | in Planung. Neues Behandlungszentrum für Frauen und Kinder. Geplanter Baustart: Dezember 2021 |
Bei allen Veränderungen im Markt, bleibt der NHS mit einem Investitionsbudget für Ausrüstung und Gebäude von rund 6 Milliarden Pfund Sterling (2018) der größte Kunde, wegen seiner verschachtelten Struktur und weitgehend dezentralen Beschaffung aber auch als große Herausforderung für Medizintechnikanbieter. In den vier Landesteilen England, Wales, Schottland und Nordirland ist der NHS dezentral organisiert. Hinzu kommen zum Beispiel allein im Landesteil England rund 150 regionale Clinical Commission Groups, die den lokalen Versorgungsbedarf bestimmen und als Dienstleistung ebenfalls lokal beschaffen, darunter zum einen öffentliche NHS Trusts, aber auch private Gesundheitsdienstleister, die im öffentlichen Segment einen Marktanteil von rund 7 Prozent ausmachen.
Indikator | Wert |
---|---|
Einwohnerzahl (2019 in Mio.)1) | 67,5 |
Bevölkerungswachstum (2019 in % p.a.) | 0,6 |
Altersstruktur der Bevölkerung (2019)1) | |
Anteil der unter 14-Jährigen (in %) | 17,9 |
Anteil der 60 bis 74-Jährigen | 15,6 |
Anteil der 75-Jährigen und über | 8,5 |
Durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt (2017-2019) | Männer: 79,4; Frauen: 83,1 |
Durchschnittseinkommen (2019, £, brutto Wochenlohn, Jahresdurchschnitt) | 538 |
Gesundheitsausgaben pro Kopf (2018/Euro) | 3.648 |
Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP (2018 in %) | 10,0 |
Ärzte/100.000 Einwohner (2018) | 284 |
Zahnärzte/100.000 Einwohner (2018) | 53 |
Krankenhausbetten/100.000 Einwohner (2019), davon 1) | |
privat | k.A. |
öffentlich | 2,5 |
Beschaffungsprozesse werden teilweise gebündelt, wie zum Beispiel über NHS Supply Chain an den rund 800 Zulieferer angeschlossen sind oder NHS Shared Business Services für Dienstleistungen. Bei der Beschaffung von IT wird teilweise auf vorqualifizierte Zulieferer zurückgegriffen. "Bei innovativer Medizintechnik benötigen Unternehmen einen langen Atem", erklärt Dr. David Parry, CEO der regionalen Netzwerkorganisation SEHTA in Südostengland. "Es braucht viel Zeit, um ein lokales Netzwerk aufzubauen, den Bedarf zu identifizieren und präzise darlegen zu können, welchen Wert das Produkt für den Gesundheitsdienstleister hat." Einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil haben außerdem solche Anbieter, die bereits klinische Tests mit dem NHS durchgeführt haben. SEHTA informiert über den britischen Markt, zum Beispiel in seinem Guide "Accessing the NHS", und bietet mit zahlreichen Veranstaltungen eine Plattform für den Netzwerkaufbau.
Zu den ersten Anlaufstellen gehören auch die landesweiten Academic Health Science Networks (AHSN), die als regionale und öffentlich finanzierte Einrichtungen Unternehmen dabei unterstützen ihre medizintechnischen Angebote mit dem Bedarf der Gesundheitsdienstleister zu zusammenzubringen.
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