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Branchen | Russland | Chemische Industrie

Branchenstruktur

Polymerindustrie und Agrarchemie dominieren den Chemiesektor in Russland. Künftig soll die Spezialchemie eine wichtigere Rolle spielen.

Von Gerit Schulze | Moskau

Russlands Chemieindustrie ist traditionell auf große Volumina ausgerichtet. Sie hat eine starke Marktposition bei Düngemitteln, bei anorganischen Chemikalien wie Schwefelsäure oder Ammoniak sowie bei Standardkunststoffen.

Ziel der Regierung ist es, die Produktpalette zu vergrößern und mehr Erzeugnisse mit hoher Wertschöpfung auf den Markt zu bringen. Ein Schwerpunkt sind Spezialchemikalien mit einer Jahresproduktion bis 10.000 Tonnen. Die entsprechende Roadmap sieht bis 2030 die Umsetzung von 140 Investitionsprojekten im Gesamtumfang von 5 Milliarden Euro vor.

Branchenexperten betonen aber, dass die Realisierung bislang kaum vorankommt. Die Entwicklung der Spezialchemie ist wichtig, um Branchen wie Fahrzeugbau, Holzverarbeitung, Leder- und Textilindustrie mit essenziellen Ausgangsstoffen zu versorgen.

Henkel hat angekündigt, in Tosno bei Sankt Petersburg eine zweite Produktionslinie für Schmelzklebstoffe zu errichten. Ab Mitte 2022 sollen sich die Kapazitäten dadurch von 4.000 auf 9.000 Jahrestonnen erhöhen. Außerdem schafft der deutsche Konzern dort neue Verpackungsmaschinen an, um Plastik durch Karton zu ersetzen.

US-Konzern könnte Markt für Farben und Lacke dominieren

Der Markt für Farben und Lacke könnte nach der Übernahme der finnischen Tikkurila durch den US-Konzern PPG Industries in Bewegung geraten. Die Finnen haben bislang drei Werke in Russland, die Amerikaner eines. Zusammen beherrschen sie 15 Prozent des russischen Marktes für Farben und Lacke, den die Zeitschrift Ekspert auf ein Jahresvolumen von 3 Milliarden US-Dollar (US$) schätzt. Rund 1.000 Unternehmen sollen in der Branche tätig sein.

Die russischen Hersteller von Farben und Lacken klagen derzeit über die hohen Preise für ihre Roh- und Ausgangsstoffe wie Füll- und Zusatzstoffe, Phthalocyanine, Epoxid- und Acrylharze. Da es bei ihnen häufig keine inländischen Anbieter gibt, müssen sie teuer importiert werden. Einige Hersteller haben deshalb begonnen, Rohstoffe selbst zu produzieren, darunter Russkie kraski und die VMP-Holding.

Produktion ausgewählter chemischer Erzeugnisse in Russland (in Millionen Tonnen; Veränderung in Prozent)

Produkt(-gruppe)

2020

Veränderung 2020/2019

Veränderung 1. Halbjahr 2021 / 1. Halbjahr 2020

Kunststoffe

10,2

17,0

12,8

Synthetische Fasern

0,2

0,6

33,8

Kunstfasern und -garne

0,01

-10,8

-7,4

Synthetischer Kautschuk

1,5

2,5

18,3

Ethylen

3,4

50,0

6,6

Benzol

1,4

-2,1

-3,3

Schwefelsäure

14,0

4,4

1,8

Natriumhydroxid

1,3

-1,1

4,1

Düngemittel

24,9

5,0

7,4

Herbizide und Fungizide

0,1

22,1

17,5

Waschmittel

2,0

6,3

5,5

Farben und Lacke auf Polymerbasis

1,2

7,0

9,9

Quelle: Föderaler Statistikdienst Rosstat

Elefantenhochzeit in der Petrochemie

Die beiden größten Petrochemiekonzerne Russlands, Sibur und TAIF, wollen fusionieren. Die Antimonopolbehörde FAS gab im Sommer 2021 hierzu grünes Licht, jedoch mit der Auflage, dass die Produkte des Konzerns in erster Linie den Bedarf des Inlandsmarktes decken.

Der neue Chemiegigant wird weltweit zu den fünf größten Herstellern für Polyolefine und synthetischen Kautschuk gehören. Auf TAIF entfielen bislang zwei Drittel der russischen Kautschukproduktion und über ein Viertel der Kunststoffherstellung. Sibur ist vor allem in der Weiterverarbeitung von Erdgas tätig und produziert Olefine, Polyolefine, Kunststoffe und Elastomere.

Der neue Großkonzern plant gewaltige Investitionsvorhaben. Allein TAIF will 11,5 Milliarden Euro für neue Projekte ausgeben, darunter in der Verarbeitung von Ethen und Propen. Auch die Energieversorgung der Werke soll modernisiert werden. Bei künftigen Projekten will Sibur-TAIF einen höheren Automatisierungsgrad erreichen, um die Zahl der Beschäftigten in der Produktion zu reduzieren.

Wichtige Unternehmen der russischen Chemieindustrie (Umsatz in Millionen Euro)

Unternehmen

Sparte

Umsatz 2019 2)

Sibur Holding

Olefine, Polyolefine, Kunststoffe, Elastomere

7.332

Eurochem Gruppe

Düngemittel, Industriechemikalien

5.515

PhosAgro

Phosphordünger

3.424

Nischnekamskneftechim1)

Synthetischer Kautschuk, Kunststoffe, Monomere1)

2.470

Uralkali

Düngemittel

2.287

Acron Gruppe

Düngemittel, Produkte der organischen Synthese, anorganische Stoffe

1.585

Uralchim

Düngemittel, Ammoniak, Säuren

1.473

Kazanorgsintez1)

Polymere

1.002

Henkel Rus

Waschmittel, Klebestoffe

944

Baschkirskaja sodowaja kompanija

Düngemittel, Produkte der organischen Synthese, anorganische Stoffe

873

1) gehört zur TAIF-Holding; 2) umgerechnet zum Jahresdurchschnittskurs der EZB: 1 Euro = 72,46 RubelQuelle: Rating RAEХ-600, 2020 (Ratingagentur Ekspert)

Steueranreize sorgen für Investitionsboom in der Petrochemie

Die Regierung unterstützt Großprojekte in der Petrochemie mit Steueranreizen. Bei der Verarbeitung von Flüssiggas (Liquified Petroleum Gas, LPG) und Ethan zahlt der Staat eine "umgekehrte Akzise" für jede im Inland verarbeitete Tonne.

Auch bei der Modernisierung von Raffinerien zahlt die Regierung einen Investitionszuschlag durch Rückzahlung der Verbrauchsteuer für Erdölprodukte. Anwendung findet die Regelung für Aggregate zum thermischen Cracken, Anlagen zum Delayed Coking, zum katalytischen Reforming, zur Isomerisierung von Benzin sowie zur Reinigung von Destillaten, Rohbenzin, Kerosin und Diesel. Bis 2026 sollen 30 Anlagen zur Benzin- und Dieselherstellung erneuert und hierzu über 9 Milliarden Euro investiert werden. Im Frühjahr 2021 hatte das Energieministerium Investitionsverträge mit sechs Werken abgeschlossen.

Unter anderem plant Lukoil laut Bericht der Zeitung Vedomosti in Nischni Nowgorod einen neuen Komplex zur Verarbeitung von Ölresten mit einer Anlage zur verzögerten Koksbildung sowie zur Hydroreinigung von Diesel und Benzin. Gazprom Neft will seine Raffinerien in Moskau und Omsk modernisieren und dafür über 2,3 Milliarden Euro investieren. Die Safmar-Gruppe steckt rund 1,2 Milliarden Euro in die beiden Raffinerien Afipski und Orsk. Tatneft modernisiert die Taneko-Anlagen in Nischnekamsk.

Ähnliche Investitionsverträge plant Novatek zur Modernisierung seiner Ölverarbeitungsanlage in Ust-Luga an der Ostsee. In seiner Raffinerie Perm erhöht Lukoil die Wertschöpfung seiner Produktpalette. Orsknefteorgsintes plant eine Anlage zur verzögerten Koksbildung im Gebiet Orenburg, in der jährlich 1,2 Millionen Tonnen Erdöl verarbeitet werden können.

Digitale Technologien kommen häufiger zum Einsatz

Große Chemiebetriebe setzen verstärkt auf digitale Technologien für ihre Produktionsprozesse. Sibur vermarktet inzwischen sogar eigene IT-Entwicklungen für Augmented Reality (AR), die eine Fernsteuerung von Anlagen und einfachere Bedienung ermöglichen. Außerdem bietet Sibur Drittkunden technische Lösungen für das Internet der Dinge (IoT) an.

Für das neue Gasverarbeitungswerk von Gazprom und RusGasDobytscha erhielten Linde Engineering und die türkische Renaissance Heavy Industries den Zuschlag für die Planung, Beschaffung und den Bau (EPC-Vertrag). Die ursprünglich ausgewählte Sibur-Tochter NIPIGAZ ist aus dem Rennen. In der Anlage sollen Flüssiggas, Ethan und Polyethylen produziert werden. Die Verarbeitungskapazität liegt bei 45 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr.

Thyssenkrupp Industrial Solutions soll die Projektdurchführung für ein Investitionsvorhaben von Sibur-Neftechim übernehmen. Geplant ist eine Modernisierung und Erweiterung der Produktion von Ethylenoxid und Glykolen in Dscherschinsk bei Nischni Nowgorod.

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