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Entwicklungen im Gesundheitswesen

Nach langen Verhandlungen gibt es nun Fortschritte bei der geplanten Sozial- und Gesundheitsreform. Der Fachkräftemangel im finnischen Sektor bleibt eine Herausforderung. 

Von Niklas Becker | Helsinki

Finnlands Gesundheitssystem hat die Folgen der Coronapandemie insgesamt gut gemeistert. Um über ausreichend Kapazitäten in den Krankenhäusern zu verfügen, wurden im Laufe der Pandemie allerdings immer wieder nicht zwingend notwendige Operationen verschoben. Laut Gesetz muss die fachärztliche Nicht-Notfallversorgung in Finnland binnen von sechs Monaten beginnen.

Durch die coronabedingten Verschiebungen konnten diese Vorgaben in deutlich mehr Fällen als üblich nicht eingehalten werden. Zwischen 2013 und 2019 warteten im Schnitt rund 2.000 Patienten länger auf den Start der Behandlung als sechs Monate. 2020 waren es fast 18.000. Zwar konnte der Rückstau 2021 bereits abgebaut werden, Ende August 2021 warteten allerdings weiterhin mehr als 9.500 Bürger bereits länger als ein halbes Jahr auf den Beginn ihrer Behandlung. 

Nach 15 Jahren Verhandlungen kommt die lang erwartete Reform

"Das derzeitige finnische Gesundheitssystem ist komplex, dezentralisiert und fragmentiert." Zu dieser Einschätzung kommt ein von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und dem Europäischen Observatorium für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission (EK) erstellter Report.

Aktuell liegt die Verantwortung für die Organisation der Gesundheits- und Sozialdienste in Finnland bei 310 Gemeinden, denen nach Einschätzung der Regierung unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung stehen. Das Ziel, allen Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu den Dienstleistungen zu bieten, wird aus ihrer Sicht nicht erreicht. Durch eine Verwaltungsreform soll deshalb die Verantwortung für die Organisation der Sozial- und Gesundheitsversorgung auf 21 neue geschaffene Gesundheits- und Sozialregionen (hyvinvointialue) übertragen werden. Die Stadt Helsinki wird ihre Sozial- und Rettungsdienste weiterhin selbst organisieren.

Das finnische Parlament hat den jüngsten Regierungsvorschlag zu der seit vielen Jahren geplanten Umstrukturierung im Juni 2021 angenommen. Die Reform soll nun schnellstmöglich umgesetzt werden. Notwendige Gesetze hierfür sollen schrittweise in Kraft treten. Die ersten wurden bereits umgesetzt, die letzten sollen zum 1. Januar 2023 folgen. Ziel der Reform ist es, die Gesundheits- und Sozialversorgung landesweit auf ein einheitliches Niveau zu bringen. Dafür sollen Steuereinnahmen von den Großstädten in die dünn besiedelten Gebiete umgeleitet werden. Letztere haben oft einen geringen Anteil von Personen im erwerbsfähigen Alter, die Steuereinnahmen generieren, und auf der anderen Seite einen höheren Anteil an pflegebedürftigen und älteren Menschen. So dürften der Hauptstadtregion beispielsweise in Zukunft relativ betrachtet weniger Mittel zur Verfügung stehen. 

Nach der Umsetzung der Reform entfällt die Verwaltung der Gesundheits- und Sozialaufgaben in den Kommunen in Gänze und wird stattdessen von den neu geschaffenen Regionen übernommen. Entscheidungen innerhalb dieser werden von speziell gewählten Volksvertretern getroffen. Lediglich in Helsinki bleibt die bisherige Verwaltungsstruktur bestehen. Durch die Reform erhofft sich die Regierung, langfristig den Verwaltungsaufwand zu senken und so Kosten zu sparen. Nach Schätzungen des finnischen Finanzministeriums wird die Reform den öffentlichen Haushalt aufgrund der Umstrukturierungskosten zwar für eine gewisse Zeit belasten, ab 2035 dann aber zu Budgetentlastungen führen.

Absolute Gesundheitsausgaben sollen steigen

Finnlands gesamte Gesundheitsausgaben (privat und öffentlich) beliefen sich 2020 laut erster Schätzung auf 22,7 Milliarden Euro. Das teilt das Gesundheitsministerium auf Anfrage mit. Im Vergleich zum Vorjahr entspräche dies einem Zuwachs um 3,1 Prozent. Gemessen am heimischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) erreichten die Ausgaben 2020 ein Niveau von 9,5 Prozent. Der im Vergleich zum Vorjahr höhere Anteil um 0,3 Prozentpunkte ist auf den Rückgang der finnischen Wirtschaftsleistung 2020 zurückzuführen.

Für das Jahr 2021 konnte das Ministerium Ende Oktober 2021 noch keine Schätzung abgeben. The Economist Intelligence Unit (EIU) prognostiziert einen Anteil von 9,5 Prozent. Bis 2025 werden die Gesundheitsausgaben nach Einschätzung von EIU auf diesem Level stagnieren. In absoluten Zahlen erwarten die Experten zwischen 2021 und 2025 allerdings einen jährlichen Zuwachs der Ausgaben von durchschnittlich 2,8 Prozent. 

Zahl der Ärzte soll trotz Fachkräftemangel steigen

Der finnische Ärztemangel hat sich laut Bericht der OECD, des Europäischen Observatoriums für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik und der EK seit den 2000er Jahren etwas entspannt. Das Verhältnis von Ärzten zur Bevölkerung bleibt im Land allerdings weiter unter dem EU-Durchschnitt. Nach Einschätzung von EIU wird das Verhältnis bis 2025 weiter steigen, sodass sich Finnland an das derzeitige durchschnittliche Niveau der EU-Mitgliedsstaaten annähern würde. Die Zahl des Pflegepersonals liegt in dem nordischen Land hingegen auf einem der höchsten Werte innerhalb der Union. Ihre Rolle in der Primärversorgung wurde schrittweise erweitert.   

Das soll dem Ärztemangel entgegenwirken und den Zugang zur Gesundheitsversorgung verbessern. Der Fachkräftemangel in Finnlands Gesundheitssystem bleibt allerdings ein großes Problem. Im öffentlichen Bereich fehlen vor allem Krankenpfleger. Nach Zahlen des Rentenversicherungsträgers Keva blieben 2020 in ganz Finnland fast 8.300 Stellen unbesetzt. Bis 2030 soll die Lücke auf über 9.400 anwachsen.

Zusätzlich fehlen rund 1.000 Allgemeinmediziner und 800 Fachärzte. Bei ihnen soll der Mangel 2030 auf einem ähnlichen Niveau liegen. Eine weitere langfristige Herausforderung für das finnische Gesundheitssystem ist der demografische Wandel. Der Anteil der älteren Bevölkerung steigt. So zeigen Schätzungen der Regierung, dass die altersbedingten öffentlichen Gesundheitsausgaben von 6 Prozent des BIP im Jahr 2012 auf 7,4 Prozent im Jahr 2060 ansteigen werden. 

Eckdaten Gesundheitsmarkt

Indikator

Wert

Einwohnerzahl (2020 in Mio.)

5,5

Bevölkerungswachstum (2020 in % p.a.)

0,2

Altersstruktur der Bevölkerung (2020)

 Anteil der unter 14-Jährigen (in %)

15,6

 Anteil der über 65-Jährigen (in %)

22,7

Durchschnittseinkommen (2020 in Euro)

3.599

Gesundheitsausgaben

 pro Kopf (2019 in Euro)

3.983

 öffentlich (in %)

76,8

 privat (in %)

23,2

Anteil der Gesundheitsausgaben

 am BIP (2020 in %, Schätzung)

9,5

Medikamente (2019 in %)

15,2

Anzahl Krankenhäuser (2019), davon

239

 öffentlich 

166

 privat 

73

Ärzte/1000 Einwohner (2018)

3,8

Krankenhausbetten/1000 Einwohner (2019)

3,35

Quelle: Statistics Finland, Finnisches Finanzministerium (Valtiovarainministeriö, VM), Behörde für Gesundheit und Wohlbefinden (THL), Finnischer Ärzteverband (Lääkäriliitto), OECD

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