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Branchen | Brasilien | Arzneimittel, Diagnostika

Folgenreiches Urteil für die Pharmaindustrie

Entscheidungen des obersten Gerichtshofs verkürzten die Laufzeit von Patenten. Brasiliens Generikahersteller investieren.

Von Gloria Rose | São Paulo

Änderung im Patentrecht verstärkt den Generikatrend

Nach dem brasilianischen Patentrecht beginnt die Laufzeit mit der Anmeldung. In der Praxis gewährte das brasilianische Patentamt aufgrund der Bearbeitungszeit deutlich längere Laufzeiten. Brasiliens oberster Gerichtshof entschied im Mai 2021, dass diese Fristverlängerungen unzulässig seien. De facto verkürzte sich dadurch die Patentlaufzeit in Brasilien. Für Pharmazeutika gilt der Beschluss sogar rückwirkend, so dass bereits gewährte Verlängerungen hinfällig wurden. Direkt betroffen sind 3.435 Patente und Gebrauchsmuster.

Für die deutschen Hersteller Bayer, Merck und Boehringer Ingelheim ist dies ein unerwarteter Rückschlag. Dahingegen begrüßte PróGenéricos das Urteil, das das Marktwachstum von Nachahmerpräparaten beschleunigen dürfte. Der Verband vertritt 16 Fabrikanten, die etwa 90 Prozent des Generikaabsatzes stellen, darunter der deutsche Hersteller Fresenius Kabi und Brasiliens Marktführer EMS. Die Marke der Gruppe NC Farma brachte nur eine Woche nach der Entscheidung ein Nachahmerprodukt zu dem Bayer-Arzneimittel Xarelto in Umlauf. 2021 will EMS sieben neue Medikamente auf den Markt bringen. 

Pharmaverkauf in Brasilien

Indikator *)

2017

2018

2019

2020

Veränderung 2020/2019 (in %)

Umsatz Medikamente insgesamt (Mrd. US$)

17,8

17,2

17,5

15

-14,3

Absatzmenge Medikamente insgesamt (in Mio. Einheiten)

3.924

4.162

4.356

4.719

8,3

Umsatz Generika (Mrd. US$)

2,3

2,3

2,5

2,3

-8

Absatzmenge Generika (in Mio. Einheiten)

1.269

1.393

1.482

1.645

11

*) basierend auf den Einkäufen von Apotheken und DrogerienQuelle: Sindusfarma/IQVia

Pharmaverkauf wächst ununterbrochen

In der Pandemie nahm der Konsum von Antidepressiva, Schlaf- und Beruhigungsmitteln und Vitaminpräparaten stark zu. Außerdem hielten Arzneimittel zur Behandlung chronischer Erkrankungen den Wachstumskurs. Dazu kam die hohe Nachfrage nach Covid-Medikamenten, also Arzneimittel zur Intubation oder zur vermeintlichen Vorbeugung wie Ivermectin, Chloroquin und Hydroxychloroquin. Somit stieg 2020 der Umsatz im Einzelhandel sowie im Direktverkauf an staatliche und private Gesundheitseinrichtungen jeweils um etwa 11,3 Prozent an. 

Etwa 60 Prozent des Umsatzes erzielt Brasiliens Pharmaindustrie im Einzelhandel über Apotheken, die ihre Kunden zunehmend auch online bedienen. Weitere 30 Prozent der Verkäufe gehen auf die Rechnung des öffentlichen Gesundheitswesens Sistéma Único de Saúde (SUS) und der Rest an private Gesundheitseinrichtungen.

Nach dem überraschend hohen Marktwachstum im Vorjahr erwartet das Marktforschungsinstitut IQVIA für 2021 eine Steigerung des Umsatzes in der Landeswährung Real (R$) um etwa 10 Prozent. Umgerechnet in US-Dollar ging das Marktvolumen jedoch zurück, da der brasilianische Real um durchschnittlich 30 Prozent abwertete.

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Laut IQVIA war Brasilien 2018 der siebtgrößte Markt weltweit, hinter den USA, China, Japan, Deutschland, Frankreich und Italien. Die wachsende und immer älter werdende Bevölkerung sowie die Zunahme chronischer und altersbedingter Krankheiten garantieren einen weiterhin stark steigenden Medikamentenbedarf. Bei jährlichen Wachstumsraten von 5 Prozent bis 8 Prozent erwartet IQVIA, dass das Land bis 2023 den fünften Rang vor Frankreich und Italien einnehmen wird.

Importabhängigkeit rückt in den Fokus

Obwohl Brasilien zu den Top Ten-Märkten gehört und 70 Prozent der Arzneimittel vor Ort produziert werden, importieren die Hersteller etwa 90 Prozent aller zugrundeliegenden Wirkstoffe und Vorprodukte. Drei Viertel der Importe stammen aus China und Indien. Entsprechend stark wirkt sich die Abwertung der Währung auf die Produktionskosten aus. Die Verteuerung der Wirkstoffimporte sowie Kostensteigerungen für Verpackungsmittel und auch im Transport werden aufgrund von Preisgrenzen nicht unmittelbar an die Verbraucher weitergegeben. Infolge niedrigerer Gewinnmargen kann die Industrie Investitionen überdenken, was sich insbesondere auf die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auswirken dürfte. 

Laut dem Verband der Wirkstoffproduzenten Abiquifi werden derzeit lediglich 124 pharmazeutische Wirkstoffe vor Ort produziert, davon nur 15 gefördert durch öffentlich-private Produktionspartnerschaften. Die hohe Importabhängigkeit wurde in der Pandemie mehrfach thematisiert, insbesondere bezüglich der Versorgung mit Impfstoffen. Eine Arbeitsgruppe des Ministeriums für Wissenschaft, Technologie und Innovation und der Branchenverbände erarbeitete einen Aktionsplan mit 28 Vorschlägen, um die lokale Produktion von Wirkstoffen zu stimulieren. In der kurzen Frist wird das Außenhandelsbilanzdefizit weiter ansteigen. Die Regierung erließ den Zoll auf einige Wirk- und Impfstoffe, um den Preissteigerungen entgegenzuwirken.

Pandemie stößt Investitionen an

Zur Versorgung mit Impfstoffen ging das Institut Butantan eine Partnerschaft mit dem chinesischen Konzern Sinovac ein, die auch den Technologietransfer zur Wirkstoffproduktion vorsieht. Eine ähnliche Partnerschaft schloss die Stiftung Fundação Oswaldo Cruz (Fiocruz) mit AstraZeneca. Das Fiocruz-Institut Bio-Manguinhos nimmt ab Juni 2021 die Wirkstoffproduktion auf. Butantan will den Betrieb der neuen Produktionsanlage für Wirkstoffe Ende September aufnehmen.

Unter der Leitung von Fiocruz soll der größte und modernste Produktionskomplex für Vakzine und Biopharmazeutika in Lateinamerika entstehen. Der Bau des Complexo Industrial de Biotecnologia em Saúde (Cibs) in Santa Cruz (Rio de Janeiro) wurde Anfang Februar ausgeschrieben. Vorgesehen sind Investitionen von 660 Millionen US-Dollar (US$).

Darüber hinaus kündigten der Konzern Hypera Pharma, der Generikafabrikant Pratti-Donaduzzi und der multinationale Hersteller Sanofi mit seiner bedeutenden Nachahmermarke Medley umfangreiche Investitionspläne an. Im Juni kündigte Blau Farmacêutica den Bau einer neuen Fabrik im Nordosten des Landes an. Ende März übernahm die Gruppe União Química die Arzneimittelfabrik von Bayer in Cancioneiro (São Paulo).

Größte Arzneimittelproduzenten in Brasilien (Umsatz in Millionen US-Dollar, Veränderung und Marktanteil in Prozent)

Unternehmen

Umsatz1) der letzten 12 Monate,  Januar 2021

Veränderung2) im Vergleich zu Januar 2020

Marktanteil3)

NC Farma4)

3.001

14,8

11,5

Eurofarma

1.834

16,6

7,1

Hypera Pharma5)

1.733

7,9

6,7

Sanofi

1.468

3,9

5,6

Novartis

1.130

8,4

4,3

Aché

1.102

-1,8

4,2

Grupo Cimed

960

15,9

3,7

Biolab

546

23,0

2,1

Teuto Brasileiro

519

2,2

2,0

União Química

484

17,0

1,9

1) umgerechnet über den Durchschnittswechselkurs: 1 US$ = 5,36 R$; 2) bezogen auf Werte in R$; 3) bezogen auf Einheiten; 4) EMS, Germed, Legrand, Nova Química, Novamed und CPM; 5) Hypera CH, Mantecorp Farmasa und Neo QuímicaQuelle: Close-Up International

Große Herausforderungen für die Logistik

Bis April 2022 müssen alle Arzneimittel serialisiert sein. Das brasilianische Track-and-Trace-System sieht die Rückverfolgung entlang der gesamten Lieferkette vor. Brasiliens Gesundheitsaufsicht Anvisa besserte die Vorgaben 2020 nach. Neben den Vorgaben zur Fälschungssicherheit muss der Sektor nun auch eine Rücknahmelogistik umsetzen, die im Dezember 2020 in Kraft trat.

Kontaktadressen

Bezeichnung

Anmerkungen

Germany Trade & Invest

Außenhandelsinformationen für die deutsche Exportwirtschaft

AHK Brasilien

Anlaufstelle für deutsche Unternehmen

Ministério da Saúde (MS)

Brasilianisches Gesundheitsministerium

Agencia Nacional de Vigilância Sanitária (Anvisa)

Gesundheitsaufsichtsbehörde

Interfarma

Verband der Pharmaindustrie und -forschung

Sindusfarma

Branchenverband

Abiquifi

Verband der Wirkstoffproduzenten

FCE Pharma

Fachmesse in São Paulo, 30.11.-02.12.2021

Panorama Farmaceutico

Informationsportal zum Sektor

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